Küken:Darum müssen Millionen Küken sterben

Männliche Küken sind Wegwerfware. Jetzt hat ein Gericht bestätigt: Das ist mit dem Tierschutzgesetz vereinbar. Warum es mit dem Verbot so schwierig ist.

Fragen und Antworten von Jan Schmidbauer

Das Töten männlicher Legehühner verstößt nicht gegen das Tierschutzgesetz. So hat es das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen am Freitag in zweiter Instanz entschieden. Das Schreddern oder Vergasen der Küken bleibt damit vorerst erlaubt. Eine brutale Praxis, sagen die einen. Eine Notwendigkeit, zu der es bislang keine Alternativen gibt, sagen die anderen. Die Hintergründe:

Worum geht es in dem Streit ums Kükenschreddern genau?

2015 wurden in Deutschland schätzungsweise 48 Millionen männliche Küken in der Legehennenproduktion direkt nach dem Schlüpfen getötet. Entweder wurden sie geschreddert oder mit Kohlendioxid vergast. Der Grund: Männliche Küken können keine Eier legen und setzen weniger Fleisch an als weibliche Küken. Für die Brütereien ist es deshalb nicht rentabel, sie großzuziehen. So begründete auch das Münsteraner Gericht seine heutige Entscheidung.

Warum war die Entscheidung wichtig?

Die Entscheidung aus Münster geht auf einen sogenannten Ministererlass aus Nordrhein-Westfalen zurück. Der nordrhein-westfälische Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) wollte das Kükenschreddern im Jahr 2013 per Ministererlass unterbinden. Dagegen zogen mehrere Brütereien vor Gericht. Das Mindener Verwaltungsgericht kassierte daraufhin den Ministererlass vorerst. Das Oberverwaltungsgericht entschied nun erneuet - und lehnte die Revisionen gegen das erste Urteil ab. Damit bleibt das Kükentöten vorerst erlaubt.

Wieso geben die Richter den Brütereien recht?

Nach Ansicht der ersten Instanz hat der Gesetzgeber im Tierschutzgesetz keine Ermächtigungsgrundlage für einen solchen Erlass geschaffen. Dem Verbot der Kükentötung stünden im Grundgesetz geschützte Interessen der Züchter entgegen, so die Argumentation damals.

So sahen es nun auch die Richter am Oberverwaltungsgericht. Das Kükentöten sei rechtmäßig, solange es dafür einen vernünftigen Grund im Sinne des Grundgesetzes gibt. Dieser liegt nach Ansicht der Richter vor. Technische Verfahren, bei der beispielsweise nur noch Eier mit weiblicher DNA ausgebrütet würden, seien noch nicht praxistauglich. Für die Brütereien sei der Aufwand bei der Aufzucht männlicher Küken "unverhältnismäßig".

Und aus strafrechtlicher Sicht?

Nach Anzeigen der Tierschutzorganisation Peta hatte die Staatsanwaltschaft Münster bereits beim Landgericht Münster Klage wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz eingereicht. Das lehnte das Gericht aber ab. Das Oberlandesgericht Hamm entschied ebenfalls so. Nach übereinstimmender Sicht der Richter hatte sich die beschuldigte Kükenbrüterei im Münsterland nicht strafbar gemacht. Zwar sehe das Tierschutzgesetz eine Strafe vor, wenn Tiere ohne vernünftigen Grund getötet würden. Dem stehe aber die Tierschutzschlachtverordnung aus dem Jahr 2012 entgegen, die zulässige Tötungsformen für Eintagsküken regelt. Außerdem liegt nach Ansicht des Gerichts ein vernünftiger Grund für die Tötung vor. Das Gericht wies damals darauf hin, dass der Gesetzgeber gefordert sei, wenn eine über Jahrzehnte ausgeübte Praxis nun strafrechtlich anders bewertet werden soll.

Warum handelt der Gesetzgeber bislang nicht?

Die Opposition im Bundestag hatte in der Vergangenheit bereits eine Änderung des Tierschutzgesetzes beantragt. Darin forderte sie, wirtschaftliche Interessen nicht länger als Grund für die Tötung der Küken zu akzeptieren. Der Antrag fand im Parlament allerdings keine Mehrheit.

Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) lehnt ein Verbot des Kükenschredderns zum jetzigen Zeitpunkt ab. Seine Meinung: Wer keine Alternativlösung anbieten könne, argumentiere unehrlich. "Bei einem Verbot würden die Brütereien in Deutschland schließen und ins Ausland abwandern", sagt Schmidt. Dort würden Küken aber ebenfalls geschreddert.

Welche Alternative sieht die Bundesregierung?

Die Bundesregierung hofft auf eine neue Technik, mit der männliche Küken bereits vor dem Schlüpfen erkannt und die Eier vernichtet werden. Minister Schmidt bewilligte dazu im vergangenen Jahr neue Forschungsgelder. Er strebt an, dass das Kükentöten ab 2017 aufhört. "Ich erwarte, dass wir noch in diesem Jahr die Anwendungsreife für das Verfahren im Massenbetrieb erreichen", sagte der Minister kürzlich. Sobald die Technik zur Verfügung stehe, greife das Tierschutzgesetz, wonach kein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund getötet werden darf. Das Kükenschreddern wäre dann verboten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: