Kolumne:Gespenster

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Die letzten Terroristen der RAF sind Rentner mit Geldsorgen, für die Menschenleben keine Rolle spielen.

Von Carolin Emcke

"Es wächst sich besser unbeobachtet", schrieb die Schriftstellerin Terézia Mora in ihren Frankfurter Poetik-Vorlesungen, die unter dem Titel "Nicht sterben" veröffentlicht wurden. Es wächst sich besser, so ließe sich auch sagen, ohne unerwünschtes Publikum, ohne kommentiert oder korrigiert zu werden. Allerdings gilt der andere Fall noch mehr: Es stagniert sich besser unbeobachtet. Dabei betrachtet oder begleitet zu werden, wie man so bleibt wie eh und je, nicht wächst, nichts verändert, nichts lernt, wie das eigene Denken und Leben bloß in einer zähen Zeitschleife verfangen bleibt, das ist definitiv noch unangenehmer.

Diese Woche veröffentlichte die Staatsanwaltschaft Verden neue Fahndungsfotos der früheren RAF-Terroristen Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub. Gegen sie wird ermittelt wegen des Verdachts auf versuchten Mord und versuchten schweren Raub: Sie sollen gemeinsam mit der dritten Gesuchten, Daniela Klette, am 6. Juni 2015 versucht haben, mit zwei Kalaschnikows und einer Panzerfaust auf dem Parkplatz eines Real-Einkaufsmarkts in Stuhr in Niedersachsen einen Geldtransporter zu überfallen. Der Raubzug misslang, weil die Insassen des Transporters die Türen verriegelten und sich weigerten auszusteigen. Drei Schüsse wurden abgegeben: eine Kugel traf den Reifen des Fahrzeugs, zwei durchschlugen das Sicherheitsglas und die Panzerung - aber die Menschen im Wagen blieben glücklicherweise unverletzt. Im Fluchtfahrzeug der gescheiterten Täter, das später in einem Waldstück gefunden wurde, entdeckte die Polizei genetisches Material von Garweg, Klette und Staub. Im Januar diesen Jahres wurde die Öffentlichkeit informiert: Nach Jahrzehnten führt erstmals eine Spur zu den abgetauchten Ex-Terroristen.

Nicht einmal die Generalbundesanwaltschaft sah in diesem erfolglosen Raubüberfall noch Hinweise auf terroristische Absichten. Das Geld, das nicht erbeutet wurde, sollte nicht der Planung neuer Anschläge dienen, die Aktion war wohl reine Beschaffungskriminalität, die den Lebensunterhalt im Untergrund finanzieren sollte. Das letzte Mal, dass das Trio überhaupt in Erscheinung getreten war und sich mit Geld ausgestattet hatte, ist lange her. Im Jahr 1999 hatten Garweg, Klette und Staub bei einem Überfall in Duisburg eine Million Mark geraubt - das Geld, so vermuten Ermittler, ist inzwischen schlicht verbraucht. Für die Insassen des Geldtransporters in Stuhr, die eher durch Zufall als durch Rücksicht der Täter überlebten, spielt es allerdings keine Rolle, ob jene, die auf sie schossen, sich selbst als Revolutionäre oder als Rentner mit Geldsorgen begriffen. Entscheidend ist für die Opfer nur, dass sie als Menschen nichts zählten.

Auch wenn nun aktuelle Bilder die bisherigen schwarz-weißen Fahndungsfotos mit ihrer Achtziger-Jahre-Ästhetik ablösen, befreien sie die Geschichte der Suche nach Garweg, Klette und Staub doch nicht von dieser beklemmend-trostlosen Antiquiertheit. Man weiß wenig über diese drei, wie überhaupt über die dritte Generation der Rote Armee Fraktion: An welchen Anschlägen und Morden sie tatsächlich beteiligt waren, darüber gibt es mehr Spekulationen und Indizien als gesicherte Fakten. Die drei sollen gemeinsam mit Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams im Jahr 1993 am Sprengstoff-Anschlag auf das Gefängnis in Weiterstadt beteiligt gewesen sein. Daniela Klette wird zudem wegen eines versuchten Anschlags mit einer 45-Kilo-Autobombe auf ein Gebäude der Deutschen Bank in Eschborn gesucht. Dass damals keine Menschen verletzt oder getötet wurden, lag wohl lediglich an einem Defekt des Zünders.

Aber dass sie den Ausstieg aus dem Leben in der Illegalität verpasst haben, dass sie auch mehr als 16 Jahre nach Auflösung der Rote Armee Fraktion noch im Untergrund ausharren, das ist sicher. Dass sie mittlerweile nur noch propagandalos Straftaten begehen und für ihre Gewalt eine politisch-utopische Rechtfertigung nicht einmal mehr behaupten, das ist sicher. Sie scheinen nur noch als unzeitgemäße Gespenster ihrer eigenen Vergangenheit aufzutauchen in einer Gegenwart, in der sie keinen Resonanzraum mehr finden. Ob sie überhaupt noch an ihrer früheren Ideologie festhalten oder ob ihnen in den Jahren seither Zweifel gekommen sind, das lässt sich nicht sagen. Ob sie noch von Sympathie-Resten zehren, die es ihnen ermöglichen, immer wieder neue Unterkünfte zu finden, ist nicht bekannt. Aber dass sie aus der Spirale des Untergrunds, aus dem kollektiven Schweigen der RAF bis heute nicht aussteigen wollen, das ist sicher.

Es ist gut, dass der Prozess der voreiligen Historisierung der RAF unterbrochen wird

So irrlichtern sie weiter durch eine Gesellschaft, die sich für sie längst nicht mehr interessiert. Bis auf die Angehörigen der letzten Opfer der RAF, die noch immer nicht wissen, wer für die schrecklichen Taten verantwortlich ist, und für die diese Vergangenheit nicht vergehen kann ohne Aufklärung. Noch immer sind die Morde an Ernst Zimmermann (1985), Karl-Heinz Beckurts und Eckart Groppler (1986), Gerold von Braunmühl (1986), Alfred Herrhausen (1989) und Detlev Karsten Rohwedder (1991) nicht aufgeklärt. Noch immer treiben die Angehörigen Fragen um, die niemand beantworten möchte: Wer hat ihre geliebten Ehemänner, Väter oder Söhne getötet? Welche logistische oder technische Unterstützung hatten die Täter von Diensten oder Organisationen aus dem In- oder Ausland dabei? Welche Rolle hat die Stasi bei den letzten Attentaten gespielt?

Vielleicht ist das die einzige positive Wirkung dieser neuen Fahndungsfotos: dass der Prozess der voreiligen Historisierung der RAF unterbrochen wird. Die Geschichte, die viele gern vergessen oder verdrängen wollen, ist so wenig vorbei wie der Schmerz um den Verlust derer, die der Gewalt der RAF zum Opfer fielen. Sie dauert, solange es keine Aufklärung und keine Wahrheit gibt.

Die Autorin war Patenkind des von der RAF ermordeten Vorstandssprechers der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen. Über ihre Erfahrungen hat sie das Buch "Stumme Gewalt - Nachdenken über die RAF" geschrieben.

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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