Tierschutz:Wie Jäger die Rehkitze retten

Weil die Wiesen früher gemäht werden, fallen immer mehr neugeborene Tiere den Maschinen zum Opfer. Jäger haben Geräte entwickelt, um das Wild aufzuscheuchen - hilft das nicht, tragen sie die Jungen weg.

Von Ingrid Hügenell

Früher haben die Bauern ihre Wiesen im Juli gemäht und das Gras zu Heu getrocknet. Heute erfolgt der erste Schnitt oft schon im April, länger als bis Ende Mai bleibt kaum eine Wiese stehen. Bis Herbst werden manche sieben Mal gemäht. Für Jungtiere, die in dieser Zeit zur Welt kommen, bedeutet die Mahd häufig den Tod. Rehkitze, junge Hasen und Vögel, die am Boden brüten, sind gefährdet. Denn die Rehgeißen legen ihre Kitze im hohen Gras ab, wo sie für ihre natürlichen Feinde kaum auffindbar sind. Auch Hasenbabys liegen in Kuhlen im Gras. Die Jungtiere ducken sich bei Gefahr instinktiv tiefer ins Grün. Erst wenn sie etwa vier Wochen als sind, verlassen sie die Deckung.

Kitzrettung

Gerhard Kneißl hat ein Rehkitz gefunden.

(Foto: Gerhard Pumm/oh)

Was sie vor Raubtieren schützt, wird ihnen zum Verhängnis, wenn die Mähmaschine kommt, denn die neugeborenen Kitze und Häschen laufen auch dann nicht weg. Seit die Bauern ihre Flächen immer intensiver bewirtschaften, wird das Problem größer.

Solange der erste Schnitt relativ spät erfolgte, waren sowohl die Rehkitze als auch die Junghasen alt genug, um davonzulaufen, wenn die Mähmaschine kam, die Bodenbrüter waren flügge. Manche der neuartigen Maschinen haben eine Mähbreite von 18 Metern. An die 100 000 junge Rehe werden so in Deutschland pro Jahr getötet, schätzen die Jäger. Wie viele Hasen es sind, weiß niemand. Aber dass es immer weniger gibt, ist sicher. Der Bestand wird auf nur noch 60 bis 70 Tiere im Landkreis geschätzt. Die Jäger verzichten darauf, Hasen zu jagen.

Kitzrettung

Der Kitzretter "Lars" soll die Rehgeißen dazu bringen, ihre Jungen wegzuführen. Sonst muss die Wiese aufwendig abgesucht werden.

(Foto: Gerhard Pumm/oh)

Was mit den Rehkitzen geschieht, weiß man. "Denen werden die Bäuche aufgeschlitzt oder zwei oder drei Läufe abgeschnitten, da springen die noch rum, das ist grausam" sagt Hans Willibald, Jagdpächter aus Bad Tölz. "Wer das mal gesehen hat, der weiß, es muss was gemacht werden." Er hat mit dem Tölzer Künstler Marco Paulo sechs "Rehkitzretter" eines Penzberger Herstellers angeschafft und leiht sie nun an Bauern aus.

"Aus der Not heraus" haben die Jäger Gerhard Kneißl, Gerhard Pumm und Wolfgang Achtzehner von 2005 an die ersten derartigen Geräte entwickelt. Sie wollten die Rehjungen effektiver vor den Mähmaschinen retten können. "Die Mutter soll ihr Kitz aus der Wiese holen", erklärt Pumm das Prinzip. Die Geräte machen laute Piepgeräusche und blaue Lichtblitze, was die Rehgeißen erschreckt. Sie halten die Wiese für unsicher und bringen ihre Jungen weg. Kneißl, der auch Gutsverwalter des Hofguts Letten ist, sagt: "Das funktioniert ganz gut, aber nicht hundertprozentig." Neugeborene Kitze seien zu schwach, um ganz aus der Wiese herauszulaufen. Denn die Jungtiere liegen nicht nur am Rand, sondern auch mittendrin. "In großen Wiesen liegen acht bis zehn Kitze von fünf Geißen", erklärt Kneißl. Eine Hilfe sei "Lars" aber durchaus. Die Abkürzung steht für "Lettener Animal Rescue Service". Allerdings müssten die Bauern mitspielen und rechtzeitig sagen, dass sie mähen wollen. Denn die Kitzretter müssen ein bis zwei Tage zuvor aufgehängt werden, um zu wirken. Vier Jahre haben Kneißl und seine Mitstreiter experimentiert, um das Gerät zu perfektionieren.

Kitzrettung

Helfer suche die Wiesen ab.

(Foto: Gerhard Pumm/oh)

Wenn die Zeit bis zum Mähen zu knapp ist, um das Lars-Gerät einzusetzen, sucht Kneißl mit anderen Jägern, Freunden und Bekannten systematisch die Wiese ab. Das dauert durchaus einige Stunden. Die Kitze, die sie finden, tragen sie vorsichtig und vor allem ohne direkte Berührung mit den Händen eingehüllt in Gras in den Wald und setzen sie in eine dunkle Kiste. Ist nach zwei oder drei Stunden fertiggemäht, lassen sie die kleinen Tiere wieder frei. "Die Geiß beobachtet die Rettung und findet ihr Kitz immer wieder", sagt Kneißl. Beide fiepsen solange, bis sie wieder vereint sind. Dann sucht die Geiß einen neuen Platz in einer nicht gemähten Wiese. Das führt dazu, dass Kneißl manche Kitze mehrfach retten muss. "Das ist schon oft zum Verzweifeln", seufzt er. Etwa 20 bis 60 kleine Rehe rettet er pro Saison. Mähen die Bauer ohne Bescheid zu geben, werden die meisten Kitze getötet - "von den Kreiselmähern werden die regelrecht zerfetzt", sagt Kneißl. "Für Hasen und Vögel gibt es gar keine Rettung."

Um Kitze leichter aufspüren zu können, gibt es auch Drohnen, die mit einem Infrarotsensor und einer Spezialsoftware ausgestattet sind. Laut Kneißl kostet ein solches Gerät an die 50 000 Euro. "Das ist aber noch nicht ausgereift", sagt der Gutsverwalter. Die Klatten-Stiftung, die das benachbarte Gut Nantesbuch erworben hat, beteilige sich an dem Projekt. Der bayerische Jagdverband unterstützt das Umweltbildungsprojekt "Kids for Kitz", bei dem Kinder und Jugendliche "Wildscheuchen" basteln, die ähnlich wirken wie die piepsenden und blinkenden Geräte. Auch ruft der Verband die Bauern dazu auf, beim Mähen an die Tiere zu denken und sie besser zu schützen.

Auch Menschen, die keine Wiesen zu mähen haben, können etwas tun. Der Jagdverband appelliert an Spaziergänger, Hunde- und Katzenhalter, Rücksicht auf das Wild und seinen Nachwuchs zu nehmen. Hundehalter sollen ihre Tiere an die Leine nehmen, Spaziergänger, Jogger und Radfahrer auf den Wegen bleiben. Eines der wichtigsten Gebote: Rehkitze und andere Jungtiere dürfen nicht angefasst, gestreichelt oder gar auf den Arm genommen werden. Die Rehgeiß bemerkt den Menschengeruch und kümmert sich dann nicht mehr um ihr Kitz.

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