Digitale Nomaden:Workation: Arbeiten und dabei Urlaub machen

Foto vom "Nomad Cruise", Kreuzfahrt für digitale Nomaden

Auf Deck während der "Nomad Cruise": Immer mehr Anbieter bieten spezielle Reisen für Digitalnomaden und Start-up-Gründer an.

(Foto: Dinko Verži)

Hauptsache, es gibt Wlan: Immer mehr Anbieter organisieren für "digitale Nomaden" Camps und sogar Kreuzfahrten. Genau das Richtige für Leute, die sich ständig selbst vermarkten.

Von Siri Warrlich

Zwei Wochen, nachdem Johan Stokking vergangenen Sommer ein Unternehmen gegründet hatte, fuhr der 28-Jährige in den Urlaub. Besser gesagt: ins "Hacker Paradise". Unter diesem Namen organisiert ein junger US-Amerikaner Reisen für Programmierer, Designer und Gründer mit IT-Hintergrund. Als Online-Unternehmer passte Stokking in die Zielgruppe. Ein "richtiger" Urlaub kam für den Niederländer nicht in Frage. Als Chef eines neuen Start-ups hatte er zu viel zu tun. "Aber ich kann von überall aus arbeiten", sagt Stokking, "und das wollte ich lieber an einem warmen Ort tun."

Also verbrachte er einen Monat in Barcelona - zusammen mit etwa 40 anderen Selbständigen aus der IT-Branche. Unterkunft, Arbeitsplatz im Gruppenbüro mit Wlan und ein Fahrer, der ihn vom Flughafen abholte: in der Buchung inbegriffen. Etwa 1400 US-Dollar zuzüglich der Flüge habe er für das Angebot für einen Monat gezahlt, sagt Stokking.

In Barcelona lernte Stokking unter anderem einen Unternehmer aus Simbabwe kennen, der heute zu seinen Geschäftspartnern gehört. Doch die Reise brachte ihm nicht nur wertvolle Kontakte. "Zum Beispiel habe ich mir dort die Programmiersprache 'Go' beigebracht, die wir jetzt als primäre Programmiersprache für einen Teil unserer Firma nutzen", sagt der Niederländer. Auch für den Strand blieb dem 28-Jährigen im Hacker Paradise noch etwas Zeit.

Die Angebote "sprießen nur so aus dem Boden"

"Workations" heißt das Schlagwort für die Mischung aus Arbeit ("work") und Urlaub ("vacation"). Das soll unter jungen Selbständigen ein neuer Trend werden. "Die Angebote sprießen nur so aus dem Boden", sagt Felicia Hargarten, die mit ihrem Partner Marcus Meurer selbst Workations anbietet.

Hargarten, die unter anderem einen Reiseblog betreibt und Meurer, der mit Online-Unternehmen Geld verdient, arbeiten selbst seit einiger Zeit ortsunabhängig und sehen sich als Pioniere der "digitalen Nomaden" in Deutschland. So bezeichnen sich in der Regel meist noch relativ junge Selbständige, die etwa als Web-Entwickler, Marketing-Spezialisten oder Programmier tätig sind und von überall aus arbeiten können. Deshalb können sie Arbeit oft mit Reisen verbinden.

Netzwerken für Solo-Selbständige

Doch die digitalen Nomaden eint ein Problem: Sie arbeiten oft als Solo-Selbständige, also allein, und müssen sich viel mit Menschen herumschlagen, die nicht so richtig verstehen, was sie da eigentlich machen. Viele Workation-Anbieter sind deshalb anfänglich aus der eigenen Not heraus auf die Idee gekommen, Reisen zu veranstalten. So wollten sie ihr Netzwerk vergrößern und mit Gleichgesinnten besprechen, wie sich das Leben als digitaler Nomade besser organisieren lässt.

"Vorher hatte ich in einer Firma gearbeitet, hatte Kollegen und kannte viele Leute", sagt zum Beispiel der Däne Nikolaj Astrup über die Zeit vor seiner Selbständigkeit. Dieses Netzwerk fehlte ihm plötzlich, nachdem er seinen Job gekündigt hatte. Als Astrup 2012 das erste Mal eine Workation organisierte, tat er das in erster Linie aus Eigennutz: "Ich schrieb in meinem Blog über die Idee und fragte, wer mit mir einige Zeit in Barcelona verbringen wollten, damit wir uns dort gegenseitig bei der Arbeit helfen und Spaß haben können." Daraus ist das Start-up "Refuga" gewachsen, mit dem Astrup 2015 acht Workations organisierte.

Yoga, Surfen und "fuck-up confessions"

Da viele Workations-Anbieter als digitale Nomaden Teil ihrer eigenen Zielgruppe sind, bezeichnet das Schlagwort nicht nur eine neue Form des Reisens. Es dient den Anbietern ebenso als Label, um ihren eigenen Lebensstil zu vermarkten und für andere als erstrebenswert darzustellen. Die Workations-Angebote unterscheiden sich je nach Zielgruppe, Zielort, Programm und Mindestdauer der Aufenthalte.

Die "DNX Camps" von Felicia Hargarten und Marcus Meurer zum Beispiel dauern in der Regel zehn Tage. Sie fanden bislang in Europa, Thailand oder Brasilien statt und bestehen aus einer Mischung aus Arbeitsphasen, Feedback-Runden, Yoga, Wassersport und Freizeit. Beim nächsten Camp stehen auch abendliche "fuck-up confessions" auf dem Programm. In dieser Runde besprechen die Teilnehmer, womit sie in der Vergangenheit gescheitert sind und was sie daraus gelernt haben. Andere Deutsche wie Katja Andes mit ihrer Firma "Sunny Office" oder Sebastian Kühn mit seinen "Wireless Workations" setzen auf ähnliche Konzepte.

"Remote Year" dagegen, 2015 von zwei US-Amerikanern gegründet, schickt Gruppen mit etwa 75 Leuten für ein ganzes Jahr auf eine Reise. Jeden Monat leben, arbeiten und feiern die Teilnehmer an einem anderen Ort.

Und wem das noch nicht verrückt genug ist, der wird vielleicht auf dem "Nomad Cruise" glücklich. Unter diesem Titel organisiert Johannes Völkner Workations auf einem Kreuzfahrtschiff. Ende Mai startet der zweite Trip dieser Art. Etwa 200 Leute arbeiten und feiern 13 Tage lang während der Überfahrt vom kolumbianischen Cartagena nach Lissabon. Die Webseiten all dieser Anbieter zeigen Sonne, Strände, reichlich nackte Haut, viele Laptops - und oft ebenso viele Bierflaschen.

"Richtig produktiv ist auf dem Schiff niemand", sagt Völkner über seine Nomad Cruises. Aber das sei eben auch gar nicht das Ziel. "Es geht darum, sich sein Netzwerk aufzubauen. Denn wenn man an warmen Orten arbeiten möchte, sollte man sich mit Leuten umgeben, die das auch tun." Das hat Völkner selbst auf die harte Tour gelernt. Der 33-Jährige arbeitet seit fünf Jahren als digitaler Nomade. Im ersten Jahr habe er kaum Leute getroffen, die so leben und arbeiten wie er. "So richtig produktiv war das nicht. In einem Backpacker-Hostel der Einzige zu sein, der auch arbeiten muss, ist schwierig." Manche Teilnehmer seiner Kreuzfahrten reisen im Anschluss zusammen weiter, hat Völkner beobachtet. Die Reise sei deshalb vor allem für diejenigen wertvoll, die gerade erst ins digitale Nomadentum einstiegen.

Große Nachfrage, aber auch Flops

Bei einigen Anbietern übersteigt die Zahl der Bewerbungen derzeit die der Plätze. Doch das Beispiel von "Remote Year" zeigt, dass es auch schiefgehen kann, wenn Neulinge sich in der Reisebranche versuchen. In einem Reiseblog kritisieren Teilnehmer diese Workation massiv. Von Unterkünften in fensterlosen Kellerräumen und Kakerlaken-Motels ist die Rede. Mehr als ein Drittel der Gruppe, die eigentlich ein Jahr zusammen reisen sollte, sei im Laufe der Zeit abgesprungen, heißt es. "Wir lernen ständig vom Feedback unserer Teilnehmer", schreibt eine Mitarbeiterin von Remote Year auf Anfrage zu diesen Vorwürfen.

Könnten etablierte Reiseveranstalter Workations nicht viel professioneller gestalten - und noch dazu mit einer neuen Zielgruppe Geld verdienen? Das bezweifelt Katja Andes, Gründerin von "Sunny Office". Denn die Kunden legten eben großen Wert auf "authentische" Anbieter, die selbst mobil leben und arbeiten. Zudem achteten digitale Nomaden sehr auf den Preis. Schließlich sind sie stets auf der Suche nach schönen Orten mit möglichst geringen Lebenshaltungskosten.

Außerdem ist das wirtschaftliche Potenzial begrenzt. "Die Zielgruppe solcher Workations ist relativ überschaubar: Selbständige ohne Familie und Haustiere, die relativ viel Zeit haben", sagt Werner Eichhorst vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit. So sieht das auch TUI, Deutschlands größter Reiseveranstalter: "Das Thema Workations ist aus unserer Sicht ein Special-Interest-Thema, das sich sehr fokussiert an eine spitze Zielgruppe richtet. Unser Kerngeschäft ist ein anderes", teilt eine TUI-Sprecherin auf Anfrage mit. Manche Anbieter wie Hargarten, Meurer und Kühn sagen zudem, dass sie mit den Angeboten kein Geld verdienten und lediglich die eigenen Kosten für Anreise und Unterkunft deckten.

Springen etablierte Firmen auf?

Etwa zehn Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland arbeiten laut Werner Eichhorst als Selbständige, also etwas mehr als vier Millionen. Etwa 2,4 Millionen davon seien Solo-Selbständige. Diese Zahlen, so Eichhorst, seien seit etwa zehn Jahren fast konstant.

Wachstum will Katja Andes von Sunny Office deshalb nicht mit den digitalen Nomaden, sondern mit einer ganz anderen Zielgruppe erreichen: mit Angestellten, die von ihren Arbeitgebern auf Workation geschickt werden. Etwa alle zwei Wochen erhalte sie mittlerweile eine Anfrage von Firmen, sagt Andes. Überwiegend "von Start-ups oder Agenturen"; große, traditionelle Unternehmen seien noch zurückhaltend. Die Firmen schätzten an den Workations die familiäre Atmosphäre, die "nichts mit einem Konferenzhotel zu tun hat", sagt Andes.

Dass künftig mehr Arbeitgeber Workations als Anreiz für ihre Mitarbeiter anbieten, hält auch Arbeitsforscher Eichhorst für denkbar. Damit könnten Arbeitgeber "das Image der Kreativkultur hinüberretten in den klassischen Bereich" und sich für junge Arbeitnehmer attraktiver präsentieren.

Johan Stokking, der nach der Unternehmensgründung ins Hacker Paradise fuhr, ist ein gutes Beispiel. Mittlerweile zählt seine Firma "The Things Network", die er vergangenen Sommer mit einem Bekannten gegründet hat, neun Angestellte. Mit fünf von ihnen macht er diesen Sommer eine Reise - ins Hacker Paradise.

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