Rechtspopulisten:Das Land, das die AfD anstrebt

Rechtspopulisten: Frauke Petry nach dem abgebrochenen Treffen mit dem Zentralrat der Muslime in Berlin

Frauke Petry nach dem abgebrochenen Treffen mit dem Zentralrat der Muslime in Berlin

(Foto: AP)

Der Beinahe-Triumph der FPÖ in Österreich zeigt, wie schnell Rechtspopulismus zum existenziellen Problem wird. In Deutschland träumt sich die AfD ins Jahr 1955 zurück.

Gastbeitrag von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Wie viel Österreich steckt in Deutschland? Nach der nur knappen Niederlage eines rechtspopulistischen Präsidentschaftskandidaten wird über die Frage debattiert, ob Deutschland Ähnliches drohen könnte. Die AfD ist von Zustimmungsraten wie die der FPÖ in Österreich zwar noch weit entfernt. Aber ihre Ideologie ist nicht weniger reaktionär als die der Freiheitlichen. Und damit leider ähnlich verführerisch.

Mit ihrem Grundsatzprogramm träumt sich die AfD nach Deutschland 1955 zurück. Weit genug entfernt von unserer modernen Demokratie und unserer offenen Gesellschaft. Dazu konstruiert das neue Grundsatzprogramm ein reaktionäres Bild. Deutschland, ein großes Land in der Mitte Europas, aber isoliert. Mit einer riesigen Armee, aber ohne Bündnis. Frauen sind wieder am Herd. Es wird deutsch gesprochen, gelesen und gesungen. ARD und ZDF stellen die Freuden von Ehe und Familie in den Mittelpunkt ihres Programms - noch besser, der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird gleich ganz abgeschafft. Neumodische Ideen wie Naturschutz oder "Gendergedöns" bleiben außen vor.

Feldafing Leutheusser-Schnarrenberger

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, 65, war Bundesjustizministerin und ist Mitglied im Vorstand der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung.

(Foto: Georgine Treybal)

Das Land, das die AfD anstrebt, ist ganz klar nicht das liberale Deutschland von heute.

Bereits an der Sprache wird das deutlich. Eine neue Gefühligkeit in der politischen Ansprache hält Einzug. Nicht etwa um Begeisterung für Politik zu entfachen, sondern um eine negative Stimmung und eine zersetzende Haltung gegenüber Andersdenkenden zu unterstreichen. Die AfD knüpft damit geschickt an anti-moderne Traditionslinien an. Soziale Ungleichheit wird nur instrumentalisiert, aber nicht politisch beantwortet. Ganz zu schweigen von der Konstruktion der Rechtlosigkeit im Rechtsstaat, der überall nur noch Opfer kennt. Entsprechend definieren die neuen Rechten ihre politische Position aus der Behauptung einer völkisch-ethnischen Einheit heraus. Mit dieser Art der Gruppenorientierung soll ein Retro-Gemeinschaftsgefühl geschaffen werden, in der der Stellenwert jedes Einzelnen und seiner Rechte keine Rolle mehr spielt.

Andere Kulturen passen nicht zur "deutschen Rasse"

Aufgebaut werden soll dieses "Deutsche" mit einer als deutsch erkannten Leitkultur. Weltoffenheit und Internationalisierung werden als schleichende Erosion der europäischen Kultur diffamiert. "Fremden" wird jede Integrationsmöglichkeit abgesprochen. Das Konzept Integration wird generell infrage gestellt: andere Religionen, Kulturen und Sprachen passen nicht zum "Deutschtum" und zur "deutschen Rasse".

Aus dieser Sicht überlagert die Nation den Staat. Ein nicht genau definierter, aber als ideal erkannter Zustand von Volk und Nation soll wiederhergestellt werden. Nicht die Staatsangehörigkeit, sondern die Abstammung bestimmt das Volk. Wer nicht dazugehört, hat keine Rechte. Den Minderheitenschutz durch die Grundrechte, ohne den die reine Mehrheitsentscheidung zur Diktatur wird, gibt es bei der AfD nicht. Die Wahrung der nationalen Souveränität ist logische Fortsetzung und Verwirklichung von nationaler Identität. Die Affinität zu autokratischen Systemen ist offenkundig.

Offen zutage tritt die anti-moderne Tradition in der Konstruktion der AfD-Identität, sie sieht sich in einer Verfassungstradition der Jahre 1848, 1871 und 1919 - nicht aber in der des Grundgesetzes. Die parlamentarische Demokratie wird als schwach, Abgeordnete werden als interessengeleitet abgetan. Die Offenheit unserer Kultur erscheint so als eine Verwirrung, die von den Westmächten nach dem Zweiten Weltkrieg aufgezwungen wurde.

Geht es nach der AfD stehen nur "richtigen Deutschen" alle Bürgerrechte zu

Für die AfD soll der Islam nicht zu Deutschland gehören. Neben wenigen konkreten Forderungen wie Minarett- und Burkaverbot diffamiert die AfD damit das Grundgesetz und die garantierte Freiheit der Religionsausübung. Die AfD stellt es als ihr Programm dar, dass Religions- und Glaubensfreiheit nicht ohne Schranken gewährleistet werden kann - dabei ist das Rechtslage. Selbst der christliche Gedanke der Toleranz wird gänzlich negiert, sei doch der Islam generell nicht lebbar im Rahmen des Grundgesetzes.

Und in der Gesellschaftspolitik wird die völkische Ideologisierung auf die Spitze getrieben. Deutschstämmige Frauen müssen mehr Kinder bekommen, so lässt sich der Kern der Gesellschaftspolitik zusammenfassen. Naturgegebene Unterschiede zwischen den Geschlechtern, traditionelle Wertvorstellungen und spezifische Geschlechterrollen in den Familien, ein klassisches Rollenverständnis von Mann und Frau sind mehr als der Rückgriff in die Mottenkiste der Fünfziger.

Besonders sensibel sind die Passagen, die eindeutig gegen unsere verfassungsmäßige Ordnung zielen. Der geforderte "sicherheitspolitische Befreiungsschlag" kann nur als Angriff auf den Rechtsstaat verstanden werden. In der besten Tradition eines Carl Schmitt wird nach einem Sonderstrafrecht gerufen - für als Feinde identifizierte Personen, die damit ihre Bürgerrechte einbüßen. Geht es nach der AfD, sollen Bürgerrechte wie informationelle Selbstbestimmung, Privatsphäre und Versammlungsrecht nur den "richtigen Deutschen" zustehen. Eine mit unserem Grundgesetz unvereinbare Auffassung: Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich.

Für die Partei ist Angst alternativlos

Die AfD bietet programmatisch mehr als eine Projektionsfläche für Unzufriedenheit, Sorgen und Ängste. Wie in einem Spiegelkabinett werden diese Ängste beständig weiter projiziert und vergrößert. Für die AfD ist Angst alternativlos. Die Angst, die selbst schürt.

Wie die demokratischen Parteien mit diesem Frontalangriff auf unsere Demokratie umgehen, bleibt kontrovers. Das muss es auch, weil die Demokratie keine letzten Wahrheiten kennt: "Konflikt ist Freiheit", wie Ralf Dahrendorf sagte. Der Rechtspopulismus hat es zum Programm erhoben, diese Freiheit zu bekämpfen. Das, was andere als Faktum des Pluralismus bezeichnen, erscheint aus AfD-Sicht als die größte Bedrohung überhaupt. Gepaart mit der Behauptung von letzten Wahrheiten entsteht so ein Absolutheitsanspruch, der unserer Demokratie wesensfremd ist. Diese fundamental unterschiedliche Auffassung von Politik ist nicht neu. Rechtspopulismus will immer freiheitsfeindlich, antiaufklärerisch und gegen die offene Gesellschaft wirken.

Deshalb müssen Rechtspopulisten klar und inhaltlich bekämpft werden. Die Unvereinbarkeit mit unseren Werten muss anhand der Inhalte der AfD deutlich gemacht werden. Wer das nicht anpackt, ebnet ihnen sonst den Weg für die Ansprache der Mitte der Gesellschaft. Österreich zeigt zumindest, wie schnell Rechtspopulismus ein existenzielles Problem werden kann.

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