Opernpremiere in Berlin:Im Zentralbüro des Begehrens

Opernpremiere in Berlin: Magdalena Kožená und Rolando Villazón in "Juliette".

Magdalena Kožená und Rolando Villazón in "Juliette".

(Foto: Monika Rittershaus)

Magdalena Kožená und Rolando Villazón singen in Bohuslav Martinůs "Juliette".

Von WOLFGANG SCHREIBER

Gespensterfiguren bespielen schemen-haft den öden, wie in einer Krankenanstalt in aseptisches Weiß getauchten Bühnen-raum (Alfred Peter), ein Absurdistan, wo sich Fenster, Türen, Luken krachend öffnen und schließen, Personen oder Gegenstände ausspucken. Der einzig wahre Mensch dort, lautstark mit seinen Gefühlen haltlosen Begehrens, scheint Michel zu sein, erst später tritt die rätselhafte Juliette hinzu. Er hat sie früher irgendwo gesehen, sich verliebt, er kämpft um die Erinnerung, seine Identität, die Liebe, der er verzweifelt nachjagt. Den zweiten Akt von Bohuslav Martinůs "Juliette" deutet Regisseur Claus Guth als Rückblende auf die heiße, von Küssen und Konflikten durchtränkte Begegnung, die mit tödlichen Revolverschüssen auf Juliette endet.

"Zentralbüro für Träume" heißt im dritten Akt Michels Traumwelt: "Beamte" sorgen hier "für eine zuverlässige Wunscherfüllung", für das Glück. Alles regeln sie in einer mit dicken Nebelschwaden gefüllten abstrakten Landschaft. Guth, zuständig für psychologisierendes Feinarbeiten, hat mächtig viel aufgeboten, um dem perfekten Surrealismus des hermetisch abgedichteten Musiktheaters von Bohuslav Martinů ein geschäftiges, symbolhaftes Bühnenleben abzutrotzen. Daniel Barenboim führt seine Staatskapelle durch die dicht gewebte Partitur, in eine orchestral farbenreich rhythmisierte oder sich wild aufbäumende Klangsinnlichkeit hinein, die beeindruckt. War Martinůs Lyrische Oper "Juliette", 1938 in Prag uraufgeführt, zu Unrecht im Archiv des Zentralbüros für vergessene und verschollene Opern untergebracht?

Jahrzehntelang war Martinůs Oper vergessen. Nun wird sie plötzlich überall gespielt

Plötzlich, mehr als fünfzig Jahre nach dem Tod des Komponisten, entdecken Opernhäuser fast gleichzeitig die Oper des Tschechen Bohuslav Martinů (1890-1959). So erschien "Juliette", nach dem Theaterstück "Juliette ou la Clé des songes" von Georges Neveux, in letzter Zeit fast synchron, und erfolgreich, in Zürich und Bremen, in Genf und Frankfurt am Main. Ihr obsessives Thema, die Suche eines Mannes nach Erinnerung in einer gedächtnislosen Welt, entwirft einen aberwitzigen Zauber.

Die späte Entdeckung des Bohuslav Martinů, der ab 1923 in Paris, später in New York und in der Schweiz nach seiner Heimat suchte, erscheint vor allem musikalisch von Belang. Martinů komponierte Opern, sechs Symphonien und zwei Dutzend Instrumentalkonzerte - all das wird von den großen Orchestern und ihren Dirigenten außerhalb der tschechischen Musikkultur wenig beachtet. Sein spätes Musiktheater "Griechische Passion" nach Nikos Kazantzakis hatte mehr Glück, die Geigerin Julia Fischer machte mit dem zweiten Violinkonzert Furore. Martinůs überhöhter, gesteigerter Neoklassizismus, der Stil seiner Epoche, schillert in vielen Facetten, gewinnt nicht nur in Tutti-Ballungen emotionale Kraft und rhythmische Genauigkeit. Expressionistische Wucht plus symbolistischer Geheimniston, mit schillernden Anspielungen auf Janáček oder Debussy, auf Puccini, Schreker, Strawinsky oder Offenbach, das alles geistert durch Martinůs Klangfelder.

Ob es der Berliner Staatsoper gelungen ist, das Stück auch dramaturgisch aus dem Windschatten der Rezeptionsgeschichte herauszuholen, bleibt nach der gefeierten Berliner Premiere durchaus offen. Mit zwei herausragenden Protagonisten wäre der Oper viel geholfen. Magdalena Kožená und Rolando Villazón haben das Pech, dass ihren Figuren statt genauer psychologischer Charakteristik nur pathetische Gefühlsträgerschaft zukommt, seelische Tiefenschärfung ausbleibt. So mysteriös und unbestimmt wie die Räume sind hier auch die Protagonisten und die blassen Nebenfiguren im hoch motivierten Ensemble.

Probleme hat Rolando Villazón mit der Stimme, er spielt sich zwar slapstikhaft gelenkig die Seele aus dem Körper, doch sein Tenor, der insgesamt an Farbe und Geschmeidigkeit verloren hat, zwingt ihn durchgehend zu rauer Kraftentfaltung. Magdalena Kožená, die mit ihrer prächtigen Mezzostimme glänzt, erscheint dabei recht statuarisch, fast matronenhaft, ohne Flair des Erotischen. Bleibt der Primat der phantastischen Orchesterkunst von Bohuslav Martinů, die sich mit der Kraft und Dringlichkeit suggestiver Klänge flammend der Obsession der Träume hingibt.

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