Armenien:Warum Deutschland den Völkermord an den Armeniern beim Namen nennen muss

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Alles dreht sich hierzulande darum, dass Erdoğan den Schritt als Affront auffassen könnte. Die Armenier kommen in der deutschen Debatte kaum vor.

Kommentar von Julian Hans

Während des Ersten Weltkriegs haben türkische Verbände das Osmanische Reich systematisch von der christlichen Minderheit gesäubert. Die armenische Bevölkerung wurde deportiert, auf Todesmärsche getrieben und in Massakern ermordet. Historiker beziffern die Zahl der Opfer zwischen 800 000 und 1,5 Millionen - etwa zwei Drittel der Armenier, die auf dem Gebiet des Osmanischen Reiches gelebt hatten. Das war Völkermord.

Das Deutsche Kaiserreich war der wichtigste Verbündete der jungtürkischen Regierung. In Berlin wusste man davon, was in Konstantinopel geplant und im ganzen Reich vollstreckt wurde. Das belegen diplomatische Noten, die die Bundesregierung 1998 veröffentlicht und den Regierungen in Ankara und Eriwan übergeben hat. Deutschland ist nicht eingeschritten, das Vorgehen wurde sogar gebilligt in der Hoffnung, der Verbündete gehe gestärkt daraus hervor, wenn er sich unzuverlässiger Teile seiner Bevölkerung entledige.

Dass der Bundestag jetzt, 101 Jahre nach dem Verbrechen, die Dinge bei ihrem Namen nennt, ist überfällig. Tragisch ist, dass dies zu einem Zeitpunkt passiert, in dem die Spannungen mit Ankara wachsen. Denn die Armenier kommen in der deutschen Debatte kaum vor. Alles dreht sich darum, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan den Schritt als Affront auffassen und seine Mitwirkung bei der Begrenzung des Flüchtlingstrecks verweigern könnte. Gerade so, als handle es sich um ein Schmähgedicht, das eigentlich nicht sein muss - im höheren Interesse.

Erinnerung an den Genozid ist Teil der Identität

Es ist ein berechtigtes Anliegen eines Volkes, dass die Verbrechen, die an früheren Generationen begangen wurden, nicht vergessen und nicht verharmlost werden. Für Armenier ist die Erinnerung an Aghet - die Katastrophe - Teil ihrer Identität; sie verbindet die geschätzt acht Millionen Armenier, die heute über den Erdball verteilt sind. Nur drei Millionen davon leben in ihrem Staat im Südkaukasus.

Zum hundertsten Jahrestag des Genozids am 24. April 2015 reisten die Präsidenten Russlands, Frankreichs, Serbiens und Zyperns und Hunderte weitere Staatsgäste an. Die Bundeskanzlerin war nicht dabei, und auch nicht der Bundespräsident. Der Bundestag verschob eine schon damals geplante Resolution, nun soll sie an diesem Donnerstag verabschiedet werden.

Erinnerung kann befreien, sie kann aber auch blockieren. Seit Jahren kämpft Eriwan um die Anerkennung des Genozids. 23 Staaten und die Europäische Union sind dabei gefolgt, die Beziehungen zu Ankara hat das nicht zerstört.

Armeniens Wirtschaft ist schwach

Streckenweise ist dieser Kampf aber zu einem Ersatz für echte Politik in Eriwan geworden. Armeniens Wirtschaft ist schwach, die Arbeitslosigkeit hoch, die politische Elite korrupt. Mit dem östlichen Nachbarn Aserbaidschan befindet sich Armenien im Kriegszustand um die Region Bergkarabach. Der seit 1994 gültige Waffenstillstand wurde in den vergangenen Monaten immer öfter gebrochen. Wenn wenigstens die Grenzen zum starken Nachbarn Türkei geöffnet würden, könnte das nach Schätzungen von Ökonomen einige Prozent Wachstum bringen. Ein Angebot Ankaras in diese Richtung ging den Armeniern 2014 nicht weit genug.

Die Anerkennung des Völkermords durch Deutschland ist ein wichtiges Symbol. Aber von Symbolen allein können Staaten nicht leben. Erst eine Aussöhnung mit der Türkei würde eine Entwicklung ermöglichen. Dafür gibt es zaghafte Ansätze, zum Beispiel, wenn junge Armenier den Jahrestag des Genozids mit Freunden in Istanbul begehen. Für das deutsche Verhältnis zu Armenien ist die Resolution wichtig. Die Versöhnung zwischen Armeniern und Türken können aber nur diese beiden Länder bewerkstelligen.

© SZ vom 31.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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