Tod Benno Ohnesorgs:"Die Polizisten haben geprügelt wie blöd"

Friederike Hausmann beugte sich vor 40 Jahren über den sterbenden Benno Ohnesorg - das Foto wurde zur Ikone des Studentenprotests

Timo Hoffmann

40 Jahre nach dem 2. Juni 1967 gilt der Tod des Studenten Benno Ohnesorg durch den Schuss eines Polizisten in Berlin als Wendepunkt. Er führte zur Ausbreitung und Radikalisierung der Studentenbewegung. Das Foto, auf dem sich eine junge Frau über den Verletzten beugt, verstört schaut und schützend seinen Kopf hält, wurde zur Ikone. Friederike Hausmann, damals Studentin der Geschichte und Altphilologie, ging nach einer Promotion und einem Berufsverbot 1977 nach Italien. Heute lebt die 62-Jährige als Autorin, Übersetzerin und Lehrerin in München.

Friederike Hausmann kniet über dem sterbenden Benno Ohnesorg

2. Juni 1967: Friederike Hausmann kniet über dem sterbenden Benno Ohnesorg.

(Foto: Foto: Ullstein)

SZ: Als wir bei Ihnen für dieses Interview anfragten, lehnten Sie zunächst ab. Sie äußern sich kaum zum 2. Juni 1967.

Friederike Hausmann: Ich habe ja nichts dafür getan. Ich war bei der Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien und stand durch Zufall neben Ohnesorg. Ich kannte ihn nicht. Ich bin fotografiert worden. Das war's.

SZ: Ganz so passiv waren Sie nicht: Sie legten Ihre Handtasche unter seinen Kopf und schrien die Polizisten an: "Holt lieber einen Krankenwagen, anstatt mich hier wegzuziehen!" Ohnesorg war von einem Schuss des Polizisten Karl-Heinz Kurras getroffen worden. Stunden später starb er. Wie ging es Ihnen in den folgenden Tagen?

Hausmann: Ich war total aufgewühlt. Allerdings war es weniger eine persönliche Aufgewühltheit, sondern vielmehr die ganze Situation.

SZ: Den Tathergang sahen Sie nicht, weil Sie erst kurz nach dem Schuss gegen 20.20 Uhr hinzukamen.

Hausmann: Genau, ich habe auch nicht den Fotografen wahrgenommen oder hätte die Polizisten, die mich wegziehen wollten, identifizieren können. Aus der Erinnerung würde ich sagen, es war stockdunkle Nacht. Das kann aber nicht sein. Anfang Juni ist es ja bis 22 Uhr hell.

SZ: Mit Ihrem dunklen Umhang und den langen Ohrringen waren Sie für eine Demonstrantin ungewöhnlich elegant gekleidet. Es wurde vermutet, Sie wollten sich als Opernbesucherin tarnen.

Hausmann: Ich weiß nicht mehr, ob das meine eigene Strategie war oder Flüsterpropaganda der Studenten. Der Plan zeugt aber in jedem Fall von Naivität. Die Polizei hatte natürlich dafür gesorgt, dass das undenkbar war. Wir waren geschockt über die sogenannte "Leberwursttaktik" des Polizeipräsidenten Erich Duensing. . .

SZ: . . . Er hatte gesagt: "Nehmen wir die Demonstranten als Leberwurst, dann müssen wir in die Mitte hineinstechen, damit sie am Ende auseinander platzt".

Hausmann: Die Polizisten haben geprügelt wie blöd.

SZ: Gegen Mitternacht haben Sie in Ihrer WG eine Modenschau gemacht.

Hausmann: Da dachte ich noch, er sei nur verletzt worden. Nachts hatte es ja noch im Radio geheißen, es sei ein Polizist erstochen worden. Eine private Modenschau nach so einem Ereignis wirkt vielleicht komisch, aber ich hatte die Ohrringe und diesen Damaststoff gerade in Ägypten gekauft. Es war eine Art Ablenkungsmanöver von der Aufregung.

SZ: Das Bild von Ihnen und Ohnesorg war bald in allen Zeitungen. Was erlebten Sie an den folgenden Tagen?

Hausmann: Wenig. Praktisch niemand hat mich erkannt. Ich habe ja in Wirklichkeit ganz anders ausgesehen. Mit Umhang und Ohrringen bin ich sonst nicht herumgelaufen.

SZ: Familie und Freunde müssen Sie doch erkannt haben?

Hausmann: Meine Eltern schon. Mir ist erst Jahre später bewusst geworden, wie zurückhaltend, vernünftig und vorsichtig sie sich verhalten haben. Ihr Feedback war eher neutral bis positiv. Ich habe diese ganzen Zeitungsausschnitte damals auch nicht gesammelt - meine Mutter schon. Später hat sie sie mir gezeigt.

SZ: Heute ist das Foto sogar im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen. Sie sind zu einer Symbolfigur der deutschen Geschichte geworden.

Hausmann: Da merkt man, dass man eine Generation älter ist. Ich gehe manchmal als Zeitzeugin in Geschichtskurse in Schulen - ein merkwürdiges Gefühl. Ich habe eine Epoche miterlebt, die abgeschlossen und schwierig zu verstehen ist.

SZ: Wie nehmen heutige Schüler aus Ihrer Sicht diese Epoche wahr?

Hausmann: Als sehr fremd. Unsere damalige Befürchtung war ja: Wir blicken einem beginnenden Faschismus ins Gesicht. Die Aufarbeitung des dunklen Geheimnisses Nationalsozialismus war die Triebfeder der Studentenbewegung. Heutige Schüler sind mit dem Thema Drittes Reich dagegen überfüttert. Ein anderer Punkt ist: Die Studentenbewegung war von einer unglaublichen Utopie geprägt. Dabei haben wir im Wirtschaftswunder wie die Maden im Speck gelebt. Heutige Schüler haben dagegen Angst davor, nicht mal einen Studienplatz zu finden.

SZ: Der Schriftsteller Uwe Timm, ein früherer Freund Ohnesorgs, verglich die Wirkung des Fotos mit der des berühmten Bildes aus dem Vietnamkrieg: Ein nacktes Mädchen läuft nach einem Angriff schreiend davon. Er schreibt über das Ohnesorg-Bild: "Dieses Foto hat, wie nur Bilder es vermögen, Empörung erzeugt." Er nennt Sie eine "Engelsgestalt, die neben dem Sterbenden kniet".

Hausmann: Das fand ich ein bisschen übertrieben. Das Bild ist zu einer Ikone geworden. Aber ich kann am allerwenigsten etwas dafür.

"Die Polizisten haben geprügelt wie blöd"

SZ: In der Nacht zum 3. Juni 1967 glaubten die Studenten im Berliner Zentrum des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), das Ende der Außerparlamentarischen Opposition stehe bevor. Die spätere RAF-Terroristin Gudrun Ensslin schrie: "Gewalt kann nur mit Gegengewalt beantwortet werden. Dies ist die Generation von Auschwitz. Mit denen kann man nicht argumentieren." Wie sahen Sie die Gewaltfrage?

Hausmann: In meinen Kreisen hat sich die Gewaltfrage da noch nicht gestellt. Das Versagen der Justiz führte später zur Radikalisierung. Wenn Kurras verurteilt worden wäre, wäre ich beruhigter gewesen. Aber für mich hat sich die Frage nach individueller Gewalt eh nie gestellt. Es war etwas anderes, auf Demos Absperrungen zu durchbrechen als wie die RAF und "Bewegung 2. Juni" Gewalt zum Emblem zu erheben.

SZ: Wie engagierten Sie sich in der folgenden Zeit politisch?

Hausmann: Ich trat in den SDS ein. Danach in die "Liga gegen den Imperialismus", die sich mit Problemen der Dritten Welt befasste. Alles, was wir damals an Analysen erarbeitet haben, war sehr vernünftig. Es gab Kuba, Che Guevara und sehr viele Hoffnungen. Die sind alle enttäuscht worden. Ich war auch zu naiv. Ich habe vehement Mao Zedongs Kulturrevolution verteidigt. Seit ich in China war, sehe ich das anders. Heute versuche ich, vernünftige Sachen zu machen. Schreiben, Übersetzen, Unterrichten sowie Engagement in der Flüchtlingshilfe und in Patenschaften.

SZ: Nach Ihrem Studium wurden Sie als Lehrerin nicht eingestellt - wegen Ihrer "Liga gegen den Imperialismus"-Mitgliedschaft und weil das Nummernschild Ihres Autos nahe verbotenen Demonstrationen notiert worden war.

Hausmann: Ich wollte Referendarin in Stuttgart werden, durfte aber nicht. In Hessen ging das, die Computer waren noch nicht gut genug vernetzt. Vor dem Zweiten Staatsexamen wurde mir aber gesagt: "Angestellt werden Sie sicher nicht." Im Nachhinein bin ich froh: Mein ganzes Leben lang Lehrerin sein, das wäre furchtbar geworden.

SZ: 1977 gingen Sie nach Italien - im Deutschen Herbst. Wie erlebten Sie, dass ehemalige Mitstreiter zu Mördern wurden?

Hausmann: Was ich politisch wollte, hatte nichts mit der RAF zu tun. Die Hysterie des Staates habe ich aber genauso wenig verstanden. Nach Italien ging ich, um auszusteigen. Später merkte ich, dass das keine Lösung ist.

SZ: 1984 kamen Sie zurück nach München. Waren Sie mit dem deutschen Staat inzwischen versöhnt?

Hausmann: In Deutschland hat sich zwischen 1977 und 1984 wahnsinnig viel zum Positiven verändert. Das hat auch mit der Studentenbewegung und der daraus resultierenden Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu tun. Protest ist heute etwas Selbstverständliches.

SZ: Beim G-8-Gipfel in Genua wurde im Juli 2001 ein Demonstrant von einem Polizisten erschossen. Einige Beobachter zogen Parallelen zum 2. Juni 1967.

Hausmann: Für mich ist die globalisierungskritische Bewegung nicht mit der Studentenbewegung zu vergleichen. Ich beobachte sie aber mit großem Interesse und finde sie grundsätzlich richtig.

SZ: Wie denken Sie über die mit Terrorismus-Verdacht begründeten Razzien bei Gegnern des G-8-Gipfels?

Hausmann: Dieses Vorgehen erinnert mich an die Leberwursttaktik der Berliner Polizei 1967, alles schon vorher zu kriminalisieren. Der in Heiligendamm geplante Zaun ist eine ungeheure Provokation. Ich bewundere alle, die zum G-8-Gipfel fahren, um ihren Protest lautstark, aber friedlich zu formulieren.

SZ: Eine weitere große Debatte wurde über das Gnadengesuch von Christian Klar geführt. Wie haben Sie die Diskussion wahrgenommen?

Hausmann: Es wird im Nachhinein noch mal versucht, die gesamte Studentenbewegung zu diffamieren. Auf Christian Klar ist das Gesetzbuch anzuwenden. Von Reue steht da nichts. Der Bundespräsident hat sich von dem Druck, unter den er gesetzt wurde, beeinflussen lassen. Da wird die Demokratie beschädigt. Das empört mich heute noch.

SZ: Seit 1990 steht vor der Deutschen Oper ein Mahnmal für Ohnesorg. Waren Sie noch einmal dort?

Hausmann: Ja, ich fand das Mahnmal scheußlich. Ohnehin habe ich mich dort total distanziert gefühlt. Mir fiel auf, dass ich seit dem 2. Juni 1967 nicht mehr dort war. Irgendwie habe ich immer versucht, das Thema von mir fernzuhalten.

SZ: Hat Sie dieser Moment verändert?

Hausmann: Ja, das hat er. Ich habe mich politisch in einer Weise radikalisiert, die mir gar nicht entspricht. Später habe ich erkannt, dass das nicht mein Weg ist.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: