Reiner Klingholz:"Raum für Experimente"

Wie bleibt das Landleben lebenswert? Der Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, hat Antworten.

Interview von Kathleen Hildebrand

Wie bleibt das Landleben lebenswert? Reiner Klingholz, 62, ist Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, eines unabhängigen Thinktanks, der in einer großen Studie die demografischen Folgen der Landflucht erforscht hat.

SZ: Herr Klingholz, warum wollen die Menschen nicht mehr auf dem Land leben?

Reiner Klingholz: Weil das Land seine klassische Rolle als Arbeitsplatz verloren hat, die Landwirtschaft schafft kaum noch neue Jobs. In einer Wissensgesellschaft entstehen Arbeitsplätze eher dort, wo eine kritische Menge an Unternehmen, Forschungseinrichtungen und klugen Köpfen zusammenkommt: Das sind in der Regel Ansammlungen von ein paar 100 000 Menschen, also Städte. Dort wächst die Wirtschaft und es entstehen neue Jobs. Einen solchen Strukturwandel aufhalten zu wollen wäre extrem kostenintensiv und letztlich sinnlos.

Ist das Land dann überhaupt noch zu retten?

Der Trend zur Verstädterung ist ein weltweites Phänomen und kaum aufzuhalten. Entlegene ländliche Gebiete, die nicht in Pendeldistanz zu Städten liegen, die nicht touristisch interessant sind oder wo in der Vergangenheit keine Unternehmen entstanden sind, werden es schwer haben. Aber die Frage ist, ob man diesen Trend überhaupt aufhalten sollte. Städte sind in den vergangenen Jahrzehnten attraktiver, lebenswerter geworden. Der Arbeitsplatz ist nah, es gibt kulturelle Angebote, die Architektur ist interessant. Auf dem Land gibt es vieles nicht, was den Menschen heute wichtig ist.

Was passiert im ländlichen Raum, wenn alle wegziehen?

Wenn es immer weniger Menschen gibt, wird auch die Versorgung schlechter, weil sie nicht mehr finanzierbar ist. Schulen müssen schließen, die Wege zu Ärzten und Krankenhäusern werden weiter, es gibt kaum Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und der öffentliche Nahverkehr wird stark eingeschränkt.

Das Grundgesetz fordert gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen. Ist das illusorisch?

Nur, wenn bestimmte Vorschriften nicht gelockert werden. Im Moment ist es so: Wenn eine Schule eine bestimmte Mindestanzahl von Schülern unterschreitet, muss sie schließen. Aber was spricht denn gegen kleinere Schulen oder gegen Fernunterricht? Man sollte es dem Land erleichtern, sich neu zu erfinden - indem man sich von bestimmten Vorschriften löst, die dort keinen Sinn ergeben. Man muss den Raum für Experimente vergrößern und ruhig auch mal den Schritt ins Unerlaubte wagen, was allzu strenge und weltfremde Bestimmungen betrifft.

Das würde die Leute wieder aufs Land holen?

Clevere Ideen helfen immer. Es gibt auch im ländlichen Raum einzelne Orte, die stabil sind in ihrer Bevölkerungsentwicklung - oder die sogar wachsen. Wir haben herausgefunden, dass vor allem solche Orte stabil sind, deren Vereinsdichte hoch ist. Wenn die Leute selbst mitgestalten können, was in ihrem Ort passiert, dann fühlen sie sich wohl, dann bleiben sie. Und wenn sich das herumspricht, wird der Ort vielleicht sogar für andere interessant. Ein Ort braucht Innovationskraft. Was die Leute anzieht, ist das Gefühl: Wenn man sich reinhängt, dann lohnt es sich.

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