Abstimmung über EU-Verbleib:Wie ein Brexit Großbritannien zerstören könnte

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Wortführer der britischen EU-Gegner: UKIP-Chef Nigel Farage reckt bei einem Auftritt in Bristol seinen Pass in die Höhe. (Foto: Getty Images)

Unvereinigtes Königreich: Setzen sich die EU-Gegner durch, könnten sie sich bald in Klein-England wiederfinden.

Kommentar von Christian Zaschke, London

Um für einen Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union zu werben, hat Premierminister David Cameron bisher vor allem wirtschaftliche Gründe geltend gemacht.

Die Gegner des britischen Regierungschefs versuchen hingegen, die Debatte emotional aufzuladen, indem sie die EU als ein monströses Gebilde beschreiben, und sie schienen damit zuletzt Erfolg zu haben. Nun hat Cameron ebenfalls ein emotionales Argument gefunden; und zwar eines, das sogar in der Realität verankert ist: Er warnt vor dem Zerfall des Vereinigten Königreichs.

Bei einem Fernsehauftritt sagte Cameron erstmals offen, er habe große Sorge, dass die Schotten ein zweites Referendum über die Unabhängigkeit anberaumen, sollte eine Mehrheit der Briten in zwei Wochen für den Austritt aus der Europäischen Union stimmen.

Jahrhundertealter Verbund in Gefahr

Es gilt als sicher, dass Schottland selbst überwiegend für den Verbleib in der EU votieren wird. Dennoch könnte das Land von der Mehrheit der englischen Europaskeptiker aus der Union geführt werden. Diese Aussicht behagt vielen Schotten überhaupt nicht.

Cameron hat lange vermieden, über den Zerfall des Königreichs zu reden, weil er keine zweite Debattenfront eröffnen wollte.

Selten in seiner Amtszeit wirkte er so erleichtert wie im September 2014, als die Schotten sich gegen die Unabhängigkeit entschieden hatten und er damit nicht als der Premierminister in die Geschichte einging, der den jahrhundertealten Verbund an sein Ende geführt hat. Dass er die Schottland-Frage nun von sich aus wieder ins Gespräch gebracht hat, zeigt, wie sehr er unter Druck steht.

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Die Briten liebäugeln mit dem Brexit - und auch in anderen Mitgliedsstaaten der Union wächst die Unzufriedenheit, sagt eine Umfrage. Das betrifft auch Deutschland.

Dabei ist diese Frage nur eines der großen internen Probleme, die auf das Land nach einem Austritt zukämen. Zwischen Nordirland und der Republik Irland verliefe in diesem Fall Großbritanniens Landgrenze zur EU. Das ließe zwei Möglichkeiten. Erstens: An dieser Grenze wird wieder kontrolliert. Das würde das Verhältnis der Iren untereinander belasten und könnte sogar Folgen für den Friedensprozess in Nordirland haben. Zweitens: Die Grenze bleibt offen, was hieße, dass Reisende aus Nordirland bei der Einreise nach Schottland, England oder Wales kontrolliert würden. Die Nordiren müssten sich also bei Reisen im Vereinigten Königreich ausweisen, was sie nach ihrer Ansicht zu Bürgern zweiter Klasse machte. Manche republikanische Politiker fordern daher, im Falle des EU-Austritts über die Vereinigung Irlands abstimmen zu lassen. Diese Abstimmung hätte wohl keinen Erfolg, aber allein die Forderung zeigt, was auf dem Spiel steht.

Camerons Hinweis auf den möglichen Zerfall des Königreichs könnte bei den unentschlossenen Wählern verfangen, weil er ihnen verdeutlicht, dass sie im Falle des EU-Austritts in einem Land lebten, an dessen Rändern Teile der eigenen Bevölkerung mit Leidenschaft über die Abspaltung diskutieren.

Am Ende dieses Prozesses könnte stehen, dass die EU-Gegner sich statt in Großbritannien, einer bedeutenden Nation im Spiel der Weltmächte, in Klein-England wiederfinden.

© SZ vom 09.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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