Populismus:Populismus - der mächtige Frust über "Die da oben"

Populismus: Teilnehmer einer Demonstration der "Nuit Debout" in Besançon in Frankreich protestieren gegen die Reform des Sozialrechts - und gegen die herrschende Politikerklasse.

Teilnehmer einer Demonstration der "Nuit Debout" in Besançon in Frankreich protestieren gegen die Reform des Sozialrechts - und gegen die herrschende Politikerklasse.

(Foto: AFP)

Donald Trump in Amerika und "Nuit debout" in Frankreich suggerieren: Wir machen alles anders! Sie haben Erfolg, weil die Menschen genug haben von der ewig gleichen Clique an Berufspolitikern.

Kommentar von Gustav Seibt

Im Frühjahr 1998, als sich die Ära Kohl dem Ende zuneigte, publizierte der Essayist Karl Heinz Bohrer das letzte seiner vernichtenden Porträts des von ihm innig gehassten Kanzlers. Bohrer, ein begnadeter Physiognom, beschrieb den immer fülliger gewordenen Helmut Kohl als "den Körper der Bundesrepublik". Dieser Körper zeigte ihm etwas Unerträgliches, nämlich "die Riesensilhouette der Mutter, die in der Küche unentwegt für die Kinder vom großen Laibe Brotstücke abschneidet, immer dasselbe Brot, Tag für Tag, seit Jahren".

"Ich kann ihn nicht mehr sehen", das ist die Zusammenfassung dieses Bildes: Staatsbürger als unmündige Kinder und eine übermächtige Figur, die bestimmt, was auf den Tisch kommt. Ein halbes Jahr später saß eine rot-grüne Chaostruppe im Kanzleramt, die Berliner Republik konnte beginnen.

Solche Phasen des Überdrusses erlebt jedes Staatswesen. Der später so verklärte Bismarck war bei seiner Entlassung ein weithin gehasster Mann, der als ideenlos und zukunftsunfähig galt. Ebenso Konrad Adenauer, von dem alle fanden, er sei mindestens zwei Jahre zu spät aus dem Amt gedrängt worden. Aber nicht nur Personen betrifft der periodisch wiederkehrende Überdruss, sondern ganze Führungsschichten, politische Eliten, Bürokratien, Parteien, die zu Altparteien vergilben. Dann wird es brisant.

Eine abgehobene Clique von Berufspolitikern teilt die Macht auf

Das, was derzeit "Populismus" heißt, hat viele Gesichter, aber durchweg das Motiv, dass eine abgehobene Clique von Berufspolitikern die Macht unter sich aufteile, nicht mehr aufs Volk höre und, zur Not unter dem Deckmantel von "Sachzwängen", ihre Interessen und Routinen verfolge. "Postdemokratie" heißt das derzeit, und die Antwort sind Protestbewegungen und neue Parteien wie "Occupy" in Amerika, "Nuit debout" in Frankreich oder die "Fünf Sterne" in Italien. Dazu kommen neue Führungsfiguren, wie Matteo Renzi, der als "Verschrotter" auftritt, der Grieche Tsipras oder jetzt, am beunruhigendsten, Donald Trump.

Trumps Erfolg beruht auf dem Widerspruch zum Alten, auf der Suggestion, alles anders zu machen. Der kalkulierte Tabubruch, die Vulgarität, gehört dazu. Trump hat dafür eine Altpartei, die amerikanischen Republikaner, regelrecht gekapert, und das macht sein Auftreten besonders toxisch. Seine Gegnerin Hillary Clinton hat es doppelt schwer, weil sie sich auch gegen ein neues Gesicht aus dem eigenen Lager behaupten muss, den Linken Bernie Sanders.

Positiv gewendet geht es um etwas Naturgemäßes, das Bedürfnis nach Erneuerung und Verjüngung, das jede Gesellschaft hat. Wird es auf Dauer blockiert, wächst sich das regelmäßig zu einer veritablen Krise aus. Denn selten ist der Überdruss nur eine Geschmacksfrage, er hat Gründe. Länder, die ihr Führungspersonal nicht flexibel erneuern, werden auf Dauer schlechter regiert als Staaten mit offenen Eliten.

Das Volk braucht Berufspolitiker

Das war schon immer so, doch die überdrussempfindlichste Staatsform bleibt die Demokratie mit ihrem Versprechen der politischen Teilhabe. Es genügt nicht, darauf hinzuweisen, dass das "Volk" der Volkssouveränität keine Willensperson mit einheitlichen Interessen ist, sondern zunächst eine Fiktion zu legitimatorischen Zwecken. Auch wenn alle etwas anderes wollen, kann sich die allen gemeinsame Wahrnehmung durchsetzen, dass man nicht mehr gehört werde, dass Wahlen wenig ändern, dass immer dieselben Phrasen wiederholt werden. Das ist die Stunde der Neuen.

Sie haben, was immer sie im Einzelnen sagen, einen naturwüchsigen Vorteil: frische Gesichter, anderes Sprechen. Je mehr Demokratie auf Darstellung vor einem Massenpublikum angewiesen ist, umso stärker wiegt dieser Vorteil.

Das Volk, das es als Einheit nicht gibt, sondern nur als Gesellschaft mit widerstreitenden Interessen, braucht aber Berufspolitiker, daran wird kein Populismus auf Dauer etwas ändern können. Auch jede Basisbewegung und Neupartei bringt Profis und Strippenzieher, Kassenwarte, Pöstchenjäger und Sprecher hervor. Max Weber hat das kühl "Führerauslese" genannt. Heute sagt man "Rekrutierung des politischen Personals" dazu.

Diese Rekrutierung bleibt eine der wichtigsten Aufgaben der politischen Parteien, denn erst die Schulung im Parteikampf, die Ochsentour durch kleinere Ämter und in den Parlamenten bringt den modernen, kompromissfähigen und zugleich machtbewussten Politiker hervor.

Die Gegenprobe der Putins (Geheimdienst) oder Berlusconis und Trumps (Unternehmer) ist jedenfalls für Demokratien unverlockend, ja dysfunktional. Parteien müssen aber auch den Überdruss managen, zuhören, vor allem: durchlässig bleiben für neue Leute. Eine Mutti reicht auf Dauer nicht.

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