Abgesang auf den Flohmarkt:Charmeloser Nippes

Auf Flohmärkten wird immer öfter Schrott oder sinnloser Trödel ohne Charme geboten. Die guten Stücke sichern sich die Händler, um sie aufzupolieren und zu teuren Preisen zu verhökern.

Johannes Willms

Sammler, so lautet eines der Goethe zugeschriebenen Zitate, sind glückliche Menschen. Dass dieses Wort von ihm stammen könnte, ist plausibel, denn vieles erregte die Neugier Goethes, weckte bei ihm das Verlangen, es zu besitzen. Goethe war ein systematischer Sammler - ihm dienten die Objekte, die er zusammentrug, nicht nur der Erbauung, sondern vor allem dazu, Kunst und Natur zu erforschen. Solches Interesse hegen heute jedoch die wenigsten Sammler.

Zahlreich sind hingegen jene, die in fremde Länder reisen und denen dort etwas ins Auge fällt, das sie spontan erwerben müssen. Das können die jeweils landestypischen Souvenirs sein, die ihre Herkunft mehr oder minder deutlich zur Schau stellen und die gewissermaßen der bleibende materielle Beweis dafür sind, dass der Käufer einmal in jenem Land oder Ort weilte.

Anders hingegen verhält es sich mit Objekten, die schlicht kurios, ungewöhnlich oder auch nur irgendwie als schön erlebt werden. Die stehen ein für das Finderglück ihres Besitzers, dafür, dass es ihm gelungen ist, sie mit der untrüglichen Schärfe seines indianischen Blicks entdeckt zu haben.

Wem solches Glück einmal widerfuhr, der wird jeden Flohmarkt besuchen, auf den er unterwegs stößt. Hier wird zumeist Plunder verhökert, Gegenstände, die für ihren früheren Besitzer den Gebrauchswert verloren haben oder die schon immer Nippes waren, also dekorative Nichtigkeiten, bibelots, wie sie der Franzose nennt, die ihre Banalität durch aufwendigen Schmuck oder raffinierte Gestaltung überspielen oder die durch die handwerkliche Qualität ihrer Fertigung faszinieren. Was deren Anmutung häufig noch steigert, sind sichtbare Spuren, die Alter und Gebrauch hinterließen. Das gilt vor allem für Möbelstücke, weshalb etwa ein ramponierter, aber mit Kirsche furnierter Biedermeiersekretär mit Schubfächern vielen weit besser gefällt als ein moderner Schreibtisch mit Rollschrank.

Vor allem Flohmärkte in England und Frankreich, in Ländern also mit einer alten bürgerlichen Kultur, in denen der Bestand der Haushaltungen über Generationen gemehrt und vererbt wurde, ohne dass Inflationen, Kriege oder Vertreibungen große Verheerungen anrichteten, waren lange Zeit überreiche Jagdgründe. Nicht selten ließ sich hier eine schöne Jugendstilvase erwerben, die aus der Masse des Trödels hervorleuchtete, bisweilen auch ein schöner alter Tisch, eine Art-Deco-Lampe oder eine zierliche Etagère.

Schrott, Trödel, Kitsch

Je zahlreicher sich diese Objekte ansammelten, desto nachdrücklicher verschafften sie dem eigenen Heim jenes besondere Flair, das die Bewunderung von Freunden und Besuchern erregt, die ihrem Besitzer willkommener Anlass ist, über die Umstände ihres zumeist verblüffend preiswerten Erwerbs Auskunft zu geben.

Das ist jedoch lange her, wie jeder weiß, den heute das Jagdfieber auf einen der legendären und großen Flohmärkte lockt, deren Stände und Budengalerien beispielsweise am Wochenende an der Porte de Clignancourt im Norden von Paris geöffnet sind. Was hier angeboten wird, mutet mehr wie Dritte als wie Erste Welt an, ist immer öfter entweder schlichter Schrott, sinn- und witzloser Trödel oder gräulicher Kitsch, dem keine Patina Charme verleiht. Ursache dieser Verödung ist, dass Antiquitätenhändler sich längst die besten Stücke gesichert haben, diese aufarbeiten lassen und zu stolzen Preisen feilbieten. Darin verrät sich, dass die Nachfrage das Angebot bei weitem übersteigt.

An diesem Befund wird sich so bald nichts ändern. Im Gegenteil, wie sich unschwer an den nicht erst heute gängigen Konsumgütern ablesen lässt. Denen ist, ob teuer oder billig, gemeinsam, dass sie nicht in Würde altern können. Eben das verdammt sie zur "Flohmarktunfähigkeit". Außerdem ist ihre Wertschätzung häufig völlig abhängig von ihrer vom Erzeuger gewollt befristeten Funktionsfähigkeit. Deshalb ist ein altes Handy, ein alter Laptop oder Fernsehapparat nur "Sondermüll". Ein ausrangiertes elektronisches Gerät auf einem Flohmarkt losschlagen zu wollen, dürfte deshalb ebenso müßig sein wie der Versuch, hier für ein einst schmuckes IKEA-Möbel einen Käufer zu finden.

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