Tennisspieler Dominic Thiem:An sich selbst berauscht

Tennisspieler Dominic Thiem: Steht erstmals im Finale eines Rasenturniers: Dominic Thiem

Steht erstmals im Finale eines Rasenturniers: Dominic Thiem

(Foto: AFP)

Der wundersame Aufstieg des Dominic Thiem geht auch beim Rasenturnier in Stuttgart weiter. Der Österreicher besiegt Roger Federer in einem mitreißenden Match und trifft nun im Endspiel auf Philipp Kohlschreiber.

Von Matthias Schmid

Dominic Thiem saß zu Beginn dieser Woche ganz entspannt auf der Terrasse vor dem Klubhaus des TC Weissenhof. Hoch oben auf dem Killesberg liegt das vom berühmten Stuttgarter Baumeister Paul Bonatz einst entworfene und später von Mete Arat erweiterte Gebäude mit den großen Fenstern. Der österreichische Tennisspieler staunte beim Mittagessen über den wunderbaren Ausblick auf das Remstal oder den engen Talkessel der Stadt, der von den steilen Weinbergen gesäumt ist. "Is dös schee", raunte Thiem zu seinem Tischnachbarn.

Als er wenig später davon sprach, dass er es zur Abwechslung mal ganz reizvoll findet, beim Stuttgarter Rasenturnier ohne große eigene Erwartungshaltung antreten zu können, hörte sich das beim Weltranglistensiebten fast so an, als ob der Sandplatzliebhaber nur angereist sei, um in Stuttgart den Ausblick und das gute Essen zu genießen. "Es ist keine Katastrophe für mich, auf Rasen mal früher zu verlieren", sagte Thiem, der zuletzt bei den French Open in Paris erst im Halbfinale gegen den späteren Sieger Novak Djokovic das Nachsehen hatte.

Ein paar Tage später weiß man, dass er mit seiner zurückhaltenden Selbsteinschätzung total danebenlag. Thiem steht beim Weissenhof-Turnier im Endspiel, zum ersten Mal bei einer Veranstaltung auf Rasen gewann er mehr als zwei Spiele nacheinander - sein 3:6, 7:6 (7), 6:4-Sieg am Samstag gegen den siebenmaligen Wimbledon-Sieger Roger Federer war sogar schon sein vierter Sieg in Serie auf seinem bisher am wenigsten geschätzten Untergrund. Thiem hat sich selbst überrascht und sich an seinem wunderbaren Spiel berauscht. "Ich kann es nicht begreifen", stammelte er: "Federer auf Gras zu schlagen, ist ein Traum." Thiem trifft am Sonntag im Endspiel auf Philipp Kohlschreiber, der nach einer mehrstündigen Regen-Unterbrechung 6:3, 6:4 gegen den Argentinier Juan Martin del Potro gewann.

Gegen Federer wehrt Thiem cool zwei Matchbälle ab

Thiems schnelle Verwandlung zum Rasenliebhaber, zu einem Spieler mit einem feinen Gespür für das Grün, kann man tatsächlich ganz nüchtern und pragmatisch erklären. Obwohl er vor seinem Auftritt in Stuttgart bisher nur zwei Partien auf Rasen gewinnen konnte, hatte er nie eine Abneigung gegenüber dem fremden Belag gespürt wie weiland sein prominenter Landsmann Thomas Muster, der mal süffisant feststellte, dass Gras nur etwas für Kühe sei. "Ich kann ihm nicht zustimmen", entgegnete Thiem. "Mir macht das Spiel auf Rasen extrem viel Spaß."

Dass er alle Anlagen mitbringt, um hier zu reüssieren, zeigte er auch in der hochklassigen Partie gegen Federer, einem der besten Rasenspieler in der Geschichte. Thiem versteht es von der Grundlinie, die Bälle früh zu treffen und sie so zu beschleunigen, dass sein Gegenüber nur noch hinterher schauen kann. Im Tiebreak des zweiten Satzes wehrte er einen von zwei Matchbällen ab, indem er den ans Netz aufgerückten Federer mit einer beeindruckenden Rückhand unerreichbar passierte. "Du brauchst auch etwas Glück, um den besten Spieler auf seinem besten Belag zu schlagen", bekannte Thiem hinterher. Aber mit Glück hatten seine satten Aufschläge, sein gefühlvolles Flugballspiel und seine exzellente Beinarbeit wenig zu tun.

Von Nadal gelernt - schneller als erwartet

Zu Beginn der Woche hatte Thiem noch großen Respekt vor der Umstellung vom langsamen Sand auf den schnellen Rasen. "Das größte Problem für mich ist, dass der Belag meine Waffen mit dem Kickaufschlag und dem vielen Spin in meinen Grundschlägen ziemlich entschärft", hatte er zugegeben. Doch ihm reichten ein paar Tage Training aus, um seine Schläge so zu adaptieren, dass er sie gewinnbringend einsetzen kann.

Er schlägt nicht nur gerader auf, sondern mischt auch seine Grundschläge exzellent. Er spielt mal mit viel Vorwärtsdrall, mal mit viel Unterschnitt. So wie einst Rafael Nadal, der ihm vormachte, dass auch aus einem Sandplatzspezialisten ein Spieler erwachsen kann, der in Wimbledon gewinnt. "Das ist sicher ein Vorbild für mich", sagte Thiem beim Mittagessen im Klubhaus, als er noch nicht ahnte, dass er dem Spanier so schnell nacheifern könnte: Im vergangenen Jahr gewann Nadal das Turnier in Stuttgart und fuhr anschließend im schicken Siegerauto über den Platz.

Als Federer unter den Ovationen der stehenden Zuschauer den Platz verließ, sagte der Österreicher: " Ich bin gerade der glücklichste Mensch auf der Erde." Eine Plattitüde, sicher. Aber vermutlich nicht sehr weit von der Wahrheit entfernt.

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