Olympia im Selbstversuch:Schöner scheitern mit Ilija Trojanow

Ilija Trojanow

Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen: Ilija Trojanow.

(Foto: Thomas Dorn)

Achtzig olympische Disziplinen im Selbstversuch? "Meine Olympiade" von Ilija Trojanow ist ein Kompendium der Niederlagen - auch literarisch.

Buchkritik von Alex Rühle

Ein mittelalter Autor, sportbegeistert, denkt sich im Fernsehsessel, während der Übertragung der Sommerspiele 2012: Und was, wenn ich das alles mal selbst ausprobiere, statt immer nur stumm zu glotzen? Mein eigenes Olympia? Alle achtzig Sportarten (die Mannschaftsdisziplinen ausgenommen). In den vier Jahren bis zu den nächsten Spielen. Jeweils mit Trainer, ein paar Wochen lang. Um dann, das ist das Ziel, in jeder Disziplin halb so gut abzuschneiden wie der jeweilige Goldmedaillengewinner. Und auch, natürlich, um ein Buch darüber zu schreiben.

Die Idee ist erst mal rundum großartig. Weil sie gleichzeitig verrückt und charmant klingt. Weil sie auf naive Art Pierre de Coubertin beim Wort nimmt. Der Neubegründer der olympischen Bewegung sagte 1908: "Das Wichtigste an den Olympischen Spielen ist nicht das Siegen, sondern das Teilnehmen. (. . .) Das Wesentliche ist nicht, gesiegt, sondern gut gekämpft zu haben." Und weil natürlich klar ist, dass dieses Buch, da kann ihr Autor so gut und ehrenhaft kämpfen, wie er will, die Chronik eines angekündigten Scheiterns werden muss: Wie soll ein einzelner Mensch, auch wenn er der Sohn zweier Leistungssportler ist und eine Körperbeherrschung mitbringt, die Ilija Trojanow anscheinend noch aus sportlichen Jugendtagen in sich zu tragen scheint, wie soll so einer mit fünfzig Jahren plötzlich wettkampfkompatibel reiten können, Kajak, Kugelstoßen, Surfen, Segeln, Fechten, Ringen, Reck, Barren, Stabhochsprung, Zehnkampf?

Die Idee ist toll, die Bilder sind es auch. Das Buch aber ist ein ziemlicher Reinfall

Gerade weil aber von vornherein klar ist, dass das Ganze ein Kompendium der Niederlagen wird, ein Schöner Scheitern im Großformat, ist das Buch auch ein Ermunterungsprojekt für alle Leser: Probiert's doch einfach mal aus! Selbst auf einem Trampolin rumzuhüpfen, aus dem Kanu ins reißende Wildwasser eines Gebirgsbachs zu fallen oder von der Schwarmenergie all der anderen Teilnehmer durch einen 10 000-Meter-Lauf getragen zu werden, macht auf jeden Fall mehr Spaß, als vom Sofa aus irgendwelchen Superathleten bei ihren fast schon übermenschlich perfekten Choreografien zuzuschauen.

Insofern schlägt man dieses Buch auch mit einer inneren Grundgestimmtheit auf, die der Vorfreude ähnelt, mit der man bei der EM ein Vorrundenspiel des eigenen Favoriten anschaltet: wohlwollend und zuversichtlich, dass jetzt ein großer Spaß und sicherer Sieg kommen.

Tja. Wie soll man sagen.

Die Idee ist toll, die Bilder sind es auch. Das Buch aber ist ein ziemlicher Reinfall. Es geht sehr schön los, mit einem Triathlon in Südafrika, bei dem Trojanow so ziemlich alles falsch macht, was man falsch machen kann, den Neoprenanzug verkehrt herum trägt, die Trinkflasche fürs Fahrrad zu Hause vergessen hat und den abschließenden Langstreckenlauf mit Fahrradschuhen absolviert. Das Ganze ist ein einziger Slapstick inklusive Tankstellenüberfall - ",Ein Getränk', schrie ich, ,ich habe kein Geld, aber ich brauche ein Getränk, ich zahle später!'" -, Trojanow scheint beim Schreiben selbst großen Spaß daran zu haben, sich als lächerlichen Laien zu porträtieren, und doch mündet das Ganze dank der riesigen Anstrengung in einem Endorphinrausch, "ein größeres Glücksgefühl als meines an diesem Nachmittag kann niemand empfinden, nicht einmal ein Olympiasieger."

Kaum ist er ins Schwimmbecken gesprungen, muss er wieder raus. Weil ja Kanu und Kajak warten

Euphorischer Auftakt also dieser persönlichen "Allympics". Dann kommt Schwimmen. Erst im Becken. Freistil. Rücken. Brust. Delfin. Dann das Freiwasserschwimmen. Jeweils ein Kapitel. Über das Kraulen schreibt er sieben Seiten, auf denen er die eigene Trainingserfahrung mit Wikipediawissen und poetischen Sätzen über die Eleganz dieses Sports verwebt: Das Mittelalter dämonisierte das Schwimmen, der berühmteste aller Schwimmer war Lord Byron, und "eigentlich tauchen Schwimmer nicht ins Wasser ein, sie vertiefen sich ins eigene Ich". Für Rücken- und Brustschwimmen hat er dann aber nur noch zwei Seiten übrig, also bleibt auch keine Zeit, sich ins eigene Ich oder in die Besonderheiten der jeweiligen Technik zu vertiefen. Im Gegenteil, kaum ist er das erste Mal ins Becken gesprungen, ist er auch schon wieder draußen. Weil ja schon das Kanu wartet. Dann das Kajak. Der Kanadier. Und dann irgendeine nächste Sportart, die aber auch wieder nur angerissen wird.

Ganz selten nur, etwa beim Freistilschwimmen, beim Rudern oder Boxen, erlebt man beim Lesen die Schönheit der Sportart, die technische Eleganz oder beglückende Schnelligkeit. Meist steht ein schemenhaft hinskizzierter Trainer am Seitenrand und gibt Tipps, ab und zu wird das Training auch verortet, aber eigentlich ist es egal, dass Trojanow zum Schwimmen nach Sri Lanka geflogen ist, er hat kaum Zeit, seine Umgebung eines beschreibenden Blickes zu würdigen, er muss ja schnell besser werden und dann auch wieder weiter, und so ist das Ganze für den Leser so unbefriedigend, als hätte man einen Platz gemietet, den prinzipiellen Gebrauch des Spielgeräts erklärt bekommen nebst ein zwei Anekdoten aus der Geschichte dieser Sportart, aber dann ist die Stunde leider auch schon wieder vorbei, geben Sie alles wieder ab, blättern Sie um und fangen Sie bitte ganz wo anders ganz von vorne an!

Ilija Trojanow: Meine Olympiade. Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen. S. Fischer Verlag. Frankfurt a. M. 2016. 336 Seiten, 22 Euro. E-Book 19,99 Euro.

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