Fußball-EM:Österreich kämpft mit der Psyche

Fußball-EM: Muss in Österreich gerade als Symbolfigur für das bislang enttäuschende Abschneiden herhalten: David Alaba.

Muss in Österreich gerade als Symbolfigur für das bislang enttäuschende Abschneiden herhalten: David Alaba.

(Foto: AP)

Von Sebastian Fischer

Als ob es nicht schon genug der Schmach wäre: Jetzt soll auch noch ein Deutscher die Probleme der Österreicher lösen. Thomas Graw, 50, sitzt in einem Plastikstuhl im Teamquartier in Mallemort und hat den Kopf zur Denkerpose in seine Handfläche gestützt - so hat ihn die Kronen Zeitung am Freitag auf eine Doppelseite gekleistert, ein Pfeil an seinem Kopf: "Jetzt muss er uns retten!"

Graw, gebürtig aus Hagen, ist Mentaltrainer der österreichischen Fußballer. Glaubt man dem Jelinek-Zitat, wonach die Massen im Land das bunte Boulevardblatt lesen, um sich selbst beim Denken zuzuhören, dann denken sie also: Die Probleme unserer Fußballer sind im Kopf. Klar - denn wären sie in den Füßen, wäre es ja aussichtslos.

"Wunderteam" war die Mannschaft von Trainer Marcel Koller genannt worden

Kaum ein Land unter den 24 Teilnehmern dieser Europameisterschaft war vor dem Turnierstart so euphorisch wie Österreich. Die Nationalspieler grüßen von Plakaten im ganzen Land, "Wunderteam" war die Mannschaft von Trainer Marcel Koller gar genannt worden, in Anlehnung an die große Mannschaft der Dreißigerjahre. Österreich war durch die EM-Qualifikation gestürmt, erstmals seit 1998 hatte sich das Land wieder sportlich die Teilnahme an einem großen Turnier erarbeitet, nein, erspielt hatte sie sich das Team um den FC-Bayern-Profi David Alaba. Doch dann missglückte die EM-Vorbereitung, Alaba schoss ein groteskes Eigentor gegen Malta, und dann ging das erste Spiel gegen Ungarn verdient 0:2 verloren.

Österreich, das sollte die Positivüberraschung des Turniers werden. Und war plötzlich die Negativüberraschung des ersten EM-Spieltags. Das Spiel gegen Cristiano Ronaldos Portugiesen an diesem Samstag (21 Uhr/ARD) ist bereits ein Endspiel.

Doch das Jammern im Land scheint rechtzeitig von Trotz abgelöst zu werden, oder es ist immerhin ein trotziges Jammern. Da ist zwar Stürmer- und Trainer-Legende Hans Krankl, ein notorischer Marcel-Koller-Kritiker, der in seiner Kolumne in der Boulevardzeitung Österreich der "herausragenden Form" aus der EM-Qualifikation nachtrauert und konstatiert, die Mannschaft sei "weder nervlich noch körperlich in der Lage, das Spiel zu machen". Das Selbstvertrauen sieht er "in den Keller flutschen". Doch Andreas Herzog, immerhin eine Mittelfeld-Legende, ist in seiner Kolumne der Meinung, die Portugiesen "kommen für uns jetzt genau richtig". Vor allem aber scheinen dieser Meinung jene zu sein, auf die es am Samstagabend ankommt: die Spieler.

Ohne Pathoas geht es nicht

Nein, sagten Verteidiger Martin Hinteregger und Offensivspieler Alessandro Schöpf, sie hätten keine psychologische Hilfe von Thomas Graw in Anspruch genommen, der mit Koller einst schon beim VfL Bochum zusammenarbeitete, "wir regeln das mit uns selbst". Hinteregger sagte auch: "Wir sind Manns genug, um uns zu steigern." Ganz ohne Pathos geht es natürlich nicht bei den Österreichern.

Koller erklärte dagegen nüchtern, er habe die Psyche der Spieler in vielen Einzelgesprächen zu stärken versucht. Er wirkt derzeit nicht annähernd so inspirierend wie noch vor ein paar Wochen. Andererseits: Mit etwas Fantasie lässt sich aus seinem Gestus auch Konzentration auf das Wesentliche herauslesen, jetzt, wo es gilt. Der Schweizer will verhindern, dass diese mit Hoffnung überfrachtete EM so verläuft, wie es für Österreich typisch wäre: Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt.

Koller hat auch etliche rein sportliche Probleme zu lösen. Der Bremer Zlatko Junuzovic fällt mit einem Teilabriss des Außenbandes im rechten Sprunggelenk mindestens für die weiteren Gruppenspiele aus, Abwehrchef Aleksandar Dragovic ist nach seiner gelb-roten Karte gegen Ungarn gesperrt. Die wahrscheinlichste Lösung Kollers ist, den früheren Bremer Sebastian Prödl als Innenverteidiger neben Hinteregger aufzubieten und den jungen Schalker Schöpf, 22, auf der Spielmacherposition in die Startelf zu rotieren.

Koller mahnt: mehr Ruhe in eigenen Aktionen, defensiv kompakter stehen

"Die Entscheidung kann ich nicht beeinflussen, aber ich wäre bereit", sagt Schöpf. Eine Alternative wäre Marcel Sabitzer von RB Leipzig, dann würde Schöpf womöglich den formschwachen Martin Harnik auf dem Flügel ersetzen. Oder David Alaba, der im Nationalteam für gewöhnlich im defensiven Mittelfeld agiert, könnte eine offensivere Rolle einnehmen.

Alaba, 23, muss in seinem Heimatland gerade als Symbolfigur für das bislang enttäuschende Abschneiden in diesem Sommer herhalten. Beim FC Bayern ein scheinbar bis zur Unfehlbarkeit konstanter Verteidiger, wird er bei Länderspielen vom Pech verfolgt: Gegen die Ungarn traf Alaba nach wenigen Sekunden nur den Pfosten.

Mehr Ruhe in die eigenen Aktionen zu bringen, in der Defensive kompakter und in engeren Linien zu stehen - das fordert Marcel Koller. Gegen Ungarn "wollten wir zu viel", sagt der Schweizer - und es klingt auch mal wieder wie eine Mahnung an alle Österreicher.

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