Prostitution:"Ich habe viele Albträume von Männerhand erlebt"

Straßenstrich Hansastraße, Bordell Pussycats

Die meisten Frauen geraten durch eine Zwangslage in die Prostitution.

(Foto: Florian Peljak)
  • Der Verein Sisters kämpft gegen Prostitution und baut ein Netzwerk auf, das Frauen beim Ausstieg helfen soll.
  • Der Verein hilft den Betroffenen nicht nur bei der Job- und Wohnungssuche, sondern widmet sich auch der politischen Arbeit.

Von Katharina Kutsche

Zehn Jahre ist es ungefähr her, da stand Sonja noch auf dem Straßenstrich, dürr, die Zähne ausgefallen, drogensüchtig. Heute ist sie clean, seit 2005 schon, und längst ausgestiegen aus der Prostitution. "Ich habe meine Seele geordnet", sagt Sonja. Nun möchte sie anderen betroffenen Frauen zeigen, dass es einen Ausweg gibt, "auch wenn es ein sehr schwerer Ausstieg war". Im Kommunikationszentrum für Frauen zur Arbeits- und Lebenssituation (Kofra), erzählt sie ihre Geschichte, wie sie im Verein Sisters Halt gefunden hat.

Sisters wurde vor einem Jahr in Stuttgart von Frauen gegründet, darunter eine Psychologin und eine ehemaligen Prostituierte. Der Verein kämpft gegen Prostitution und baut ein Netzwerk auf, das Frauen beim Ausstieg helfen soll. Gemeinsam mit Sonja ist Sabine Constabel nach München zu Kofra gekommen, die Sozialarbeiterin ist eine der Gründerinnen. "Wir waren der Meinung, es ist an der Zeit, dass sich eine Organisation gründet, in der Aussteigerinnen und Zivilbevölkerung aktiv werden können", sagt Constabel.

Im Dezember veranstaltete Kofra eine zweitägige Tagung in München, auf der unter anderem ein Frauenarzt und eine Traumapsychologin über Schäden durch Prostitution berichteten. "Prostitution ist nichts anderes als Vergewaltigung", sagt Constabel. Deswegen setze der Verein Sisters auf die Aussteigerinnen: "Das sind die Expertinnen, die gehört werden müssen."

Sonja war noch minderjährig, als sie das erste Mal anschaffen ging. Seit ihrem zwölften Lebensjahr missbrauchte sie ihr alleinerziehender Vater, erzählt sie. Als sie von ihm schwanger wurde, sei sie auf den Strich gegangen, um Geld für den Abbruch zu verdienen. Um das aushalten zu können, habe sie Drogen genommen und wurde süchtig. "Ich habe viele Albträume von Männerhand erlebt", sagt sie.

Dass die schlanke Frau mit den kurzen, dunklen Haaren und den Feder-Ohrringen vor Publikum über ihre Erlebnisse sprechen kann, liege an dem Zuspruch, den sie bei Sisters bekomme. Sonja sagt, sie habe eine starke Familie und Freunde hinter sich, aber "ich habe lange nach Leuten gesucht, die so sind, wie ich". Keine Lügen über die Vergangenheit. Verständnis.

Frauen sind oft in der Zwangsprostitution gefangen

Sisters hilft den Betroffenen nicht nur bei der Job- und Wohnungssuche, sondern widmet sich auch der politischen Arbeit, informiert über die Lebensrealität der Frauen und was es für sie bedeutet, sich zu prostituieren: Die Verletzungen im Unterleib, das seelische Leid, das viele nur aushalten, weil sie sich mit Tabletten oder Drogen "wegbeamen". Die Politik orientiere sich nur an den Befürwortern der Sexindustrie, kritisiert der Verein.

Sexarbeiterinnen sitzen in Talkshows und kämpfen für ein anderes Berufsbild und ihren freiwilligen Entschluss, erotische Dienstleistungen anzubieten. Doch Sisters möchte den über 90 Prozent der Mädchen und Frauen helfen, die eben nicht aus freiem Willen ihren Körper verkaufen. Es sind meist ausländische Frauen, die in der Zwangs- und Armutsprostitution gefangen sind.

Huschke Mau war zehn Jahre lang Prostituierte. Vor einem Monat erzählte sie der Süddeutschen Zeitung ihre Geschichte, sprach über ihre Wut: "Was Freier einer Hure antun, ist krass. Aber dass unsere Gesellschaft so tut, als wäre Prostitution in Ordnung, ist fast noch schlimmer." Als eine der Gründerinnen von Sisters - "so eine Beratungsstelle hätte ich mir damals gewünscht" - sollte Mau eigentlich ebenfalls über ihre Erfahrungen sprechen. Doch nachdem die Geschichte in der SZ erschienen war, hagelte es so viele negative Kommentare, dass sich Mau erst mal wieder sammeln muss und den Termin absagte. "Mich erstaunt immer wieder, was die Frauen als Feedback aushalten müssen", sagt Sabine Constabel.

Dem Ausstieg folgen viele Therapien

Die Bundesregierung plant derzeit eine Reform des Prostitutionsgesetzes, das mehr Schutz für die Frauen bieten soll. Eine Petition des Bündnisses Stop Sexkauf auf change.org fordert hingegen eine rechtliche Grundlage für ein Sexkaufverbot. Die Förderung des Ausstiegs aus der Prostitution soll zudem rechtlich verankert werden. Sisters etwa finanziert die Ausstiegshilfen für die Prostituierten, die sich bei der Beratungsstelle melden, durch Mitgliedsbeiträge und Spenden.

Dass Sonja den Ausstieg geschafft hat, liege an dem Rückhalt durch ihre Familie. Als sie drogenfrei war, konnte sie sich auch den anderen Problemen stellen: "Ich habe mehrere Therapien in Anspruch nehmen müssen." Dadurch gewann sie die Kraft, um endlich ihren Vater anzuzeigen, sagt Sonja. "Darauf bin ich ganz stolz." Er wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: