Berliner Kulturpolitik:Schwerer Theaterdonner

Chris Dercon

Im April stellte sich Chris Dercon in Berlin vor (im Bild). Nun meutert das Haus, an der dem er künftig wirken soll, offen gegen ihn.

(Foto: dpa)

Chris Dercon ist hier unerwünscht: Die Volksbühne in Berlin wehrt sich mit einem offenen Brief gegen den designierten Intendanten. Claus Peymann leistet Schützenhilfe. Und auch im Abgeordnetenhaus rumort es.

Von Mounia Meiborg

Bisher blieb der Protest in der Sphäre der Kunst. Seit im April vergangenen Jahres bekannt wurde, dass der belgische Museumsdirektor Chris Dercon im Jahr 2017 Intendant der Berliner Volksbühne werden soll, hat man sich dort einiges einfallen lassen.

Monatelang hing ein Schild mit der Aufschrift "Verkauft" über dem Haus. In René Polleschs Inszenierung "Service/No service" skandierte ein Chor Sätze wie: "Dieses Haus könnte sich endlich mal selbst gentrifizieren!"

Zuletzt hatte der Intendant Frank Castorf mit dem Stück "Die Kabale der Scheinheiligen. Das Leben des Herrn de Molière" einen bissigen Kommentar zur Berliner Kulturpolitik geliefert: Die feindliche Übernahme von Chris Dercon wurde auf der Bühne durch ein Versace-Logo symbolisiert. Die Kunst, so die Botschaft, weicht mit dem neuen Intendanten dem Kapitalismus.

Nun reichen diese theatralischen Mittel offenbar nicht mehr aus. Die Volksbühne hat einen offenen Brief veröffentlicht, der an sämtliche Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus und an Kulturstaatsministerin Monika Grütters adressiert ist.

Darin heißt es: "Mit Sorge sehen wir dem Intendantenwechsel an der Volksbühne entgegen." Man fürchte "den Ausverkauf der für uns geltenden künstlerischen Maßstäbe und die zu erwartende Schwächung unseres potenten Schauspieltheaterbetriebs."

"Von ihm war nichts Konkretes zu hören"

Initiiert wurde der Brief von Thomas Martin, dem künstlerischen Produktionsleiter und Hausautor der Volksbühne. Unterzeichnet haben ihn 180 festangestellte und freie Mitarbeiter aus allen Berufsgruppen, darunter so bekannte Regisseure wie René Pollesch, Herbert Fritsch, Christoph Marthaler und Schauspieler wie Martin Wuttke und Sophie Rois. In dem Brief nehmen sie Bezug auf eine Ensembleversammlung am 28. April, bei der Dercon sich den Mitarbeitern vorgestellt hat - und sie enttäuscht hatte.

"Wir haben ihm eine Chance gegeben, aber von ihm war nichts Konkretes zu hören, weder zur Zukunft der Mitarbeiter noch zum Programm", sagt Thomas Martin. Der Berliner Senat sieht das anders. "Das Treffen war nicht als Programmkonferenz gedacht", sagt Lars Bahners, der Sprecher der Berliner Kulturverwaltung. Die Stimmung sei aggressiv gewesen.

Warnung vor Doppelstrukturen

Natürlich kommt der offene Brief sehr spät. Man habe erreichen wollen, dass das Haus mit einer Stimme spreche, sagt Martin. Das habe gedauert: "Es gibt auch viele Mitarbeiter, die den Brief unterstützen, aber sich nicht trauen, zu unterschreiben, aus Angst um ihren Job".

Die Mitarbeiter machen sich Sorgen, dass Dercon das Haus als Sprechtheater abschaffen will. Tatsächlich ist über seine Pläne wenig bekannt. In einem Strategiepapier ("Kollaboration als Modell"), das der Berliner Senat veröffentlicht hat, ist von Partizipation, Nachhaltigkeit, Internationalisierung die Rede.

Aber auf einfache Fragen - etwa ob Englisch die Bühnen- und Arbeitssprache werden soll - gibt es keine Antworten. Auch, wie sich die Volksbühne von den Berliner Festspielen abgrenzen will, die in der Verschränkung von Kunst, Tanz, Theater und Musik ein ähnliches Profil haben, ist kein Thema. Staatsministerin Monika Grütters hatte im Mai 2015 vor solchen "Doppelstrukturen" gewarnt.

In einer Pressemitteilung der Senats heißt es, Dercon und seine Programmdirektorin Marietta Piekenbrock werden "ihre konkreten Pläne im Frühjahr 2017 veröffentlichen": Im Zentrum des Spielplans stünden dann weiterhin "Eigenproduktionen, die in Berlin entwickelt, geprobt und uraufgeführt werden."

Einige hoffen, dass die Personalie Dercon zum Wahlkampfthema wird

Chris Dercon hat in Interviews geäußert, er wolle gerne mit vielen Künstlern der jetzigen Volksbühne zusammenarbeiten. Regisseure wie Herbert Fritsch und René Pollesch lehnen das jedoch ab. "Dercon kommt immer mit der großen Umarmungstaktik", sagt Thomas Martin.

Hinter den Kulissen sehe es allerdings anders aus. So sei etwa der Vertrag der Ausstattungsleiterin nicht verlängert worden. In das Ausstellungsatelier soll ein Architekturbüro einziehen, das den Umbau des Hangars auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof zum Veranstaltungsort plant.

Die Bespielung des ehemaligen Flughafens ist umstritten, auch, weil dort gerade die bundesweit größte Unterkunft für Flüchtlinge entsteht und nicht klar ist, wie beides zusammenfinden soll. 2,8 Millionen Euro erhält die Volksbühne - unter anderem für die neue Spielstätte - zusätzlich. Dazu kommt ein Vorbereitungsetat von 1,8 Millionen. Zum Vergleich: Als Ulrich Khuon 2009 mit dem Deutschen Theater ein ähnlich großes Haus übernahm, bekam er 400 000 Euro für die Vorbereitung.

Mitte September wird in Berlin ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Einige hoffen nun, dass die Personale Dercon zum Wahlkampfthema wird. Claus Peymann, der selten um ein Statement verlegene Intendant des Berliner Ensembles, hat den Berliner Bürgermeister Michael Müller aufgefordert, Dercon als neuen Intendanten zu verhindern.

Müller solle einen "Fehler einsehen und korrigieren", so Peymann und Dercon auszahlen. "Das kostet erheblich weniger als seine unsinnigen Pläne."

Auch Grüne im Abgeordnetenhaus stellen Fragen

Politisch unterstützt wird die Volksbühne von der Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus. Die Grünen-Politikerin Sabine Bangert, Sprecherin für Kulturpolitik, stellte jüngst eine Anfrage mit 23 Punkten - nach dem Erhalt des Ensembles, der Gewichtung der Sparten und dem künstlerischen Leitungsteam - denn das scheint sich immer mehr auszudünnen. "Das Team von Alexander Kluge, Romuald Karmakar und Susanne Kennedy, das bei der Pressekonferenz so vollmundig vorgestellt wurde, scheint es so gar nicht mehr zu geben", sagt Bangert. Kluge und Karmakar hätten ihre Funktion schon relativiert. Und Kennedy solle zwar zwei Inszenierungen im Jahr machen, sei aber nicht in die künstlerische Ausrichtung des Hauses eingebunden. Und: "Welche kulturpolitische Auswirkung besteht, wenn die Volksbühne plus mit einer klassischen Festival-Produktion eröffnet, die bereits seit über zehn Jahren tourt?" Gemeint ist Jérôme Bels Stück "The show must go on", das vielleicht die Intendanz eröffnen soll. Das Stück war seit 2000 auf vielen Festivals zu sehen. Ein radikaler Neuanfang? Dercons Versprechen erscheint fraglicher denn je.

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