Asyl:Flüchtlinge von heute sind die "Fachkräfte von übermorgen"

Flüchtlinge in der Ausbildung

Laut Sozialministerium leben etwa 63 500 Flüchtlinge im schulpflichtigen Alter in Bayern.

(Foto: dpa)
  • Ein neues Projekt des bayerischen Kultusministeriums und der Bundesagentur für Arbeit soll Flüchtlingen beim Einstieg in den Arbeitsmarkt helfen.
  • Das Berufliche Übergangsjahr mit starkem Praxisbezug soll im Herbst an 20 Berufsschulen angeboten werden.
  • Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Vermittlung der Fachsprache, die als größte Herausforderung in der Ausbildung gilt.

Von Anna Günther

Das Kultusministerium und die Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit (BA) starten ein neues Projekt, das Flüchtlingen mit hoher Bleibeperspektive beim Einstieg in den Arbeitsmarkt helfen soll. Das Berufliche Übergangsjahr mit starkem Praxisbezug soll im Herbst an 20 Berufsschulen angeboten werden.

Finanziert wird dieses Coaching für bis zu 400 junge Männer und Frauen aus dem 160 Millionen Euro umfassenden Integrationsetat des Ministeriums und aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit. Es soll eine Brücke bilden zwischen Schule und Arbeitsmarkt - und sicherstellen, dass kein Talent verloren geht. "Schulen und Bundesagentur sind in jedem Landkreis vertreten, da lag es nahe, gemeinsam zu handeln", sagte Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU).

Laut Sozialministerium leben etwa 63 500 Flüchtlinge im schulpflichtigen Alter in Bayern, nach drei Monaten dürfen sie, auch wenn ihr Asylverfahren noch läuft, in die Schule gehen. Zumindest, wenn sie gute Aussichten auf eine Aufenthaltsgenehmigung haben. Zwei Drittel sind älter als 16 und sollen über zweijährige Sprachlernklassen an den Berufsschulen, Praktika und Ausbildungsplätze in die bayerischen Betriebe integriert werden.

Optimisten versprechen sich davon einen Beitrag zur Linderung des Fachkräftemangels. Bayerns BA-Chef Markus Schmitz spricht lieber von den "Fachkräften von übermorgen", denn bis die Jugendlichen nicht nur Alltagsdeutsch, sondern auch die Fachsprache beherrschen und wissen, welchen Beruf sie erlernen wollen und die Lehre abschließen, vergehen sechs Jahre.

In den Integrationsklassen werden alle Flüchtlinge mit Sprachunterricht und Praktika auf den Arbeitsmarkt vorbereitet, 60 Prozent des ersten Jahrgangs bekamen im vergangenen Jahr eine Lehrstelle. Im Beruflichen Übergangsjahr (BÜ) wird noch mehr Praxis vermittelt und ein Schwerpunkt auf die Fachsprache gelegt. Wer sich bei Betrieben umhört, die Flüchtlinge ausbilden, erfährt, dass die Fachsprache als größte Herausforderung in der Ausbildung gilt.

Sprachbarrieren und fachliche Überforderung seien der Hauptgrund, wieso junge Migranten die Ausbildung hinschmeißen. Das soll das Übergangsjahr verhindern. Es schließt an die Integrationsklassen an, steht sprachlich fitten Schülern aber auch eher offen. Die Jugendlichen werden in dieser Zeit intensiv von Sozialpädagogen betreut und vier Monate lang praktisch in den Werkstätten von Bildungsträgern fit gemacht. Danach folgen Praktika und idealerweise ein Ausbildungsvertrag.

Sprung vom Analphabeten zum Maler

Als Modellversuch läuft das Übergangsjahr schon seit vergangenem September in München, Nürnberg, Schwandorf und Höchstädt an der Donau. Die Erfahrungen mit den ersten 63 Männern und Frauen seien aber so gut, dass Kultusminister Spaenle und BA-Chef Schmitz die Evaluation nicht abwarten wollen und bereits jetzt für den Herbst 16 weitere Klassen in ganz Bayern einrichten.

Acht BÜ-Schüler haben bisher abgebrochen, doch Schmitz macht das "echt happy", weil das deutlich weniger als normal ist. 18 Jugendliche haben drei Monate vor Beginn des Ausbildungsjahres eine Lehrstelle gefunden. So wie auch eine junge Frau aus Äthiopien, die in ihrer Heimat Informatik studiert hat. Das Studium wird in Deutschland nicht anerkannt, im Übergangsjahr an der Schwandorfer Berufsschule entdeckte die 24-Jährige einen anderen Bereich für sich und beginnt im September eine Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten im Regensburger Klinikum. Einen noch größeren Sprung machte laut Schmitz ein 22-jähriger Klassenkamerad der Äthiopierin: Der Afghane war bei seiner Einreise 2013 quasi Analphabet, im Herbst beginnt er eine Malerlehre.

Acht Migranten aus dem Modellversuch gehen nach dem BÜ in eine weiterführende Schule, elf haben einen langfristigen Praktikumsplatz sicher, nachdem sie wohl auch eine Lehrstelle bekommen. Ob die Erfolgsrate so bleibt, muss sich allerdings zeigen. Denn auch wenn Bayern als erstes Bundesland 2013 die Berufsintegrationsklassen schuf, umfasste der erfolgreiche erste Jahrgang nur 1100 Schüler.

Die große Einreisewelle aber kam 2015. Zum kommenden Herbst soll es 1200 dieser Klassen mit 22 000 Berufsschülern geben. Eine andere Dimension. "Aber nichts zu tun wäre fahrlässig", sagt BA-Chef Schmitz, die Jugendlichen seien jetzt da und besondere Förderung sei preiswerter als die jungen Flüchtlinge sich selbst zu überlassen - und sie danach mit Steuergeld zu finanzieren.

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