Auszeichnung:Weil geredet werden kann

Carolin Emcke, Publizistin und Autorin der Süddeutschen Zeitung, erhält den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.

Von Jens Bisky

Die Trennung von Moral und Politik hat viele Fürsprecher. Und in diesen Tagen scheinen es immer mehr zu werden. Lauter werden jene, die ihre Hartherzigkeit mit Realpolitik verwechseln. Inmitten rasch wechselnder Hysterien, Schaukämpfe und Technokratendebatten gewinnt regelmäßig das Ressentiment. Gut also, dass mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in diesem Jahr eine Autorin ausgezeichnet wird, die erfolgreich an der moralischen Aufladung der politischen Auseinandersetzung, des öffentlichen Geredes arbeitet.

Carolin Emcke, die 1967 in Mülheim an der Ruhr geboren wurde, ist promovierte Philosophin und Reporterin. Ihrem Buch "Weil es sagbar ist" (2013) hat sie eine Erinnerung Anna Achmatowas vorangestellt, die in den Jahren des Staatsterrors unter dem NKWD-Chef Jeschow 17 Monate in Schlangen Verzweifelter vor Leningrader Gefängnissen verbrachte. Eine Frau erkannte sie und fragte: "Und Sie können dies beschreiben?" "Ja", antwortete Achmatowa, und "da glitt etwas wie ein Lächeln über das, was einmal ihr Gesicht gewesen war."

Zum ersten Mal hat Carolin Emcke diese Geschichte als Studentin der Diskurs-Ethik in Frankfurt am Main gelesen und sie nicht mehr vergessen. "Es" zu beschreiben, von Gewalt und Unrecht zu erzählen, ist eine Frage der Gerechtigkeit für die Opfer. Auf ihren Reisen in die Krisen- und Kriegsgebiete der Welt - für den Spiegel berichtete Emcke aus Afghanistan, dem Kosovo, aus Pakistan, dem Irak und dem Gaza-Streifen - wurde die Reporterin immer wieder mit der Frage "Schreibst du das auf?" konfrontiert, mal flehend, mal fordernd, nie ohne Nachdruck. Carolin Emcke hat "es", die Erfahrungen der Gegenwart, in vielen Texten, Büchern, auch in ihrer wöchentlichen Kolumne für die Wochenendausgabe dieser Zeitung, beschrieben, ohne von sich abzusehen. Indem sie ihr Ich ins Spiel bringt, gewinnt sie Raum für Selbstreflexion und Sinnlichkeit und verleiht ihren Texten eine besondere Intensität.

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird ihr verliehen, weil sie, wie es in der Begründung heißt, "mit analytischer Empathie" an das Vermögen aller appelliere, "zu Verständigung und Austausch zurückzufinden". Ihre Aufmerksamkeit gelte Momenten und Situationen, in denen das Gespräch abzubrechen drohe. "Stumme Gewalt" (2008) heißt das Buch, das Carolin Emcke über den RAF-Terror verfasst hat, es ist eines der klügsten zu diesem Thema. 2012 erschien "Wie wir begehren" über Leben und Lust von Lesben und Schwulen. Begehren muss nicht gerechtfertigt werden, es steht nicht notwendig im Banne eines Triebschicksals, man kann es kultivieren, mit ihm spielen. Im Spiel, in der Kultivierung von Humor und Freundlichkeit, in der Distanz zu sich selbst verbinden sich Politik und Moral am besten. Aber noch immer steht Grundsätzliches in Frage: Wenn, heißt es im Buch, alle Menschen gleich seien, "warum müssen wir über Jahrzehnte klären, wer alles als Mensch zählt?".

Der Friedenspreis hat oft ein Lebenswerk gekrönt, meist ein männliches. 2015 erhielt ihn Navid Kermani, ebenfalls Jahrgang 1967 und wie Carolin Emcke ein Autor mitten im Handgemenge der Gegenwart. Die Verleihung des mit 25 000 Euro dotierten Preises findet am 23. Oktober in der Frankfurter Paulskirche statt. Im Oktober wird auch das neue Buch von Carolin Emcke erscheinen, der Essay: "Gegen den Hass".

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