Brüssel nach dem Brexit:Merkel und Juncker vereint gegen Cameron

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  • Beim EU-Gipfel in Brüssel betonen Kommissionspräsident Juncker, Ratspräsident Tusk und Bundeskanzlerin Merkel: Vor dem offiziellen Austrittsantrag aus London werde es keine Verhandlungen geben.
  • Tusk will im September einen Gipfel zur Zukunft der EU abhalten - ohne Großbritannien.
  • Merkel sagt im Bundestag, die Briten könnten nach dem Brexit-Votum nicht erwarten, dass alle Pflichten entfielen, die Privilegien aber blieben.

Von Daniel Brössler, Brüssel, und Robert Roßmann, Berlin, Berlin/Brüssel

Die Europäische Union will sich von Großbritannien nicht die Bedingungen für die Austrittsverhandlungen aus der EU diktieren lassen. Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte vor Beginn des EU-Gipfeltreffens am Dienstag: "Wir bestimmen die Tagesordnung - und nicht diejenigen, die die Europäische Union verlassen möchten."

Unter anderem will die EU die britische Regierung dazu drängen, möglichst schnell auch offiziell den Austrittswunsch des Landes aus der EU zu erklären. Weil die restlichen EU-Staaten die Briten dazu nicht zwingen können, versuchen sie jetzt auf andere Weise Druck aufzubauen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte bei einer Regierungserklärung im Bundestag, bevor Premierminister David Cameron den Austrittswunsch nicht offiziell mache, werde es keinerlei Vorab-Verhandlungen mir Großbritannien geben - "weder formell noch informell". Da dürfe es nicht "das geringste Missverständnis geben".

Auch Juncker beteuerte, es werde keine "Geheimverhandlungen in abgedunkelten Räumen" geben. Der Kommissionschef verlangte eine zeitnahe Entscheidung der britischen Regierung. Europa könne sich keine "längere Phase der Unsicherheit" erlauben.

Tusk will Gipfeltreffen zur Zukunft der Union im September

Um den Austrittsprozess aus der EU einzuleiten, reicht der Brexit-Volksentscheid nicht. Nach Artikel 50 des EU-Vertrages muss die britische Regierung den Austritt auch in Brüssel beantragen. "Ohne eine Notifizierung durch Großbritannien beginnen wir keinerlei Verhandlungen über den Scheidungsprozess oder künftige Beziehungen", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk. Er schlug ein EU-Gipfeltreffen zur Zukunft der Union ohne Großbritannien im September in Bratislava vor.

EU-Kommissionspräsident Juncker verfügte sogar eine Art Kontaktsperre zu allen britischen Regierungsvertretern. Er habe einen Befehl "an alle Kommissare, alle Generaldirektoren ausgegeben, dass jetzt keine geheimen Verhandlungen stattfinden", sagte er. Merkel stellte nach einem Abendessen der Regierungschefs mit Cameron klar, dass sie die Entscheidung der Briten für unumkehrbar hält "Es ist die Stunde der Realität", sagte sie. Als Demokrat müsse er das "Urteil" der Wähler akzeptieren, sagte Cameron. Großbritannien werde allerdings Europa nicht den Rücken kehren.

Bereits am Morgen hatte die Kanzlerin im Bundestag erklärt, ihre Regierung werde "sicherstellen, dass die Verhandlungen nicht nach dem Prinzip der Rosinenpickerei geführt werden". Dabei verwies sie auf Norwegen. Das Land sei nicht Mitglied der Europäischen Union, habe aber "freien Zugang zum Binnenmarkt, weil es die freie Zuwanderung aus der EU akzeptiert". Die britischen Brexit-Befürworter wollen dagegen einen freien Handel mit der EU ohne gleichzeitige Freizügigkeit der EU-Bürger in der Union. Merkel sagte, Großbritannien könne nach dem Brexit-Votum nicht erwarten, dass alle Pflichten entfielen, die Privilegien aber blieben. Es müsse und werde "einen spürbaren Unterschied machen, ob ein Land Mitglied der Familie der Europäischen Union sein möchte oder nicht".

© SZ vom 29.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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