Vereinbarkeit von Familie und Beruf:Eltern passen ideal in die neue Arbeitswelt

Die Fähigkeiten, die Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder brauchen, sind auch für Unternehmen von Vorteil.

Kommentar von Guido Bohsem

Es gibt sie, diese Vormittage in der Vorhölle. Der leicht vergessliche Sohn hat die Monatskarte verlegt, die willensstarke Tochter möchte die rausgelegten Klamotten nicht anziehen. Beiden fällt auf, dass noch Hausaufgaben zu machen sind, und lassen sich zum Zähneputzen dreimal bitten. Die Uhr tickt derweil gnadenlos. Sind die Kleinen dann endlich auf dem Schulweg oder im Kindergarten abgeliefert, und sind die Eltern doch noch rechtzeitig am Arbeitsplatz erschienen, kann diese eigentlich nichts mehr schrecken, keine Konferenz, keine nervenden Kollegen, keine Aufgabe: Das Schlimmste des Tages ist vorbei. Der Rest ist easy.

Bis vielleicht auf den Nachmittag. Wieder hat jemand eine Besprechung auf 17 Uhr gelegt. Dem Chef fällt kurz vor Toreschluss auf, dass dringend noch was zu erledigen ist - egal, ob das nun zu den Schlusszeiten von Kita oder Hort passt oder eben nicht. Familie und Beruf, so scheint es immer wieder, sind Welten, die sich gegenseitig ausschließen. Das eine steht dem anderen im Wege, und trotz aller Planung, Organisation und Improvisation lautet das Ergebnis häufig, dass das eine zugunsten des anderen zurückstehen muss. Manche sprechen bereits frustriert von der "Alles ist möglich"-Lüge, die Männern und Frauen suggeriert, sie könnten ohne Probleme beides haben: Karriere und Kinder, Traumjob und Vorzeigefamilie, hohes Gehalt und viel Zeit für die Kids.

Fähigkeiten, die besonders Eltern haben

Es ist viel Wahres an den Argumenten derer, die eine grundsätzliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf bezweifeln. Und doch sollten die Eltern und künftige Eltern nicht an ihrem Schicksal verzweifeln. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die Voraussetzung so gut, beides unter einen Hut zu bringen, und zwar nicht nur irgendwie, sondern richtig gut. Vier Faktoren sprechen dafür: die grundsätzlichen Anforderungen an Arbeitnehmer, die gesellschaftliche Veränderung, die konjunkturelle Lage und die technischen Möglichkeiten.

Erstens: Viele moderne Jobs verlangen als Voraussetzungen Fähigkeiten, die Eltern beherrschen. Sie haben gelernt, mit Stress umzugehen, sind Zen-Buddhisten der Geduld. Die Kunst der kontrollierten Eskalation beherrschen sie meisterlich. Vor allem aber verstehen sie etwas von Menschenführung und können sich sehr gut in die Bedürfnisse anderer einfühlen. Und, so hat es die Techniker-Krankenkasse rausgefunden, fehlen sie auf Dauer deutlich seltener als die Kollegen ohne Kinder. Eltern passen ideal in die neue Arbeitswelt.

Digitalisierung hilft

Zweitens: Auch wenn es noch viel zu langsam geht, das Verständnis in den Unternehmen wächst - für Väter in Elternzeit und für Mütter in Teilzeit. Inzwischen zeigen die Töchter der alten Firmenpatriarchen ihren Vätern, was nötig ist, um ein attraktives Angebot für Eltern bereitzuhalten.

Denn drittens ist es für die Unternehmen angesichts des Fachkräftemangels dringend notwendig, das alte Nullachtfuffzehn-Schema zu verlassen und neue Wege zu gehen. Attraktiv als Arbeitgeber ist nur, wer es schafft, passende Jobs eben auch für Mütter und Väter zu finden. Flexible Arbeitszeiten, Homeoffice, betriebseigene Kindergärten, Zusammenarbeit mit Babysitter-Agenturen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Die beinahe unter Vollbeschäftigung fahrende Wirtschaft kann es sich beim besten Willen nicht leisten, hoch qualifizierte Mitarbeiter zu verlieren, weil diese gezwungen sind, wegen ihrer Kinder zu Hause zu bleiben. Je dringender auch traditionelle Betriebe Mitarbeiter suchen, desto eher werden sie diese Lektion lernen.

Viertens gibt es durch die Digitalisierung so gute technische Möglichkeiten, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, wie noch nie zuvor. Das Büro wird zunehmend mobil, und den meisten Projekten ist es nun mal völlig wurscht, ob sie nun im Büro oder im heimischen Wohnzimmer bearbeitet werden. Vielleicht sogar, nachdem man die Kinder ins Bett gebracht hat, und vielleicht sogar in der Gewissheit, dass der kommende Vormittag sich eben nicht mehr so anfühlt wie einer aus der Vorhölle.

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