Kolumnen von Flüchtlingen:So lebt ihr hier also

Das SZ-Team "Neue Heimat" (von links): Nasrullah Noori, Lillian Ikulumet, Mohamad Alkhalaf und Olaleye Akintola.

Das SZ-Team "Neue Heimat" (von links): Nasrullah Noori, Lillian Ikulumet, Mohamad Alkhalaf und Olaleye Akintola.

(Foto: Korbinian Eisenberger)
  • Geflohene Journalisten aus Nigeria, Syrien, Uganda und Afghanistan schreiben in der SZ, wie sie Deutschland sehen und die Oberbayern erleben.
  • Unter diesem Link finden Sie die gesammelten Kolumnen.
  • Unter diesem Link finden Sie ein Sonderdossier mit einem Best of und Hintergründen zu den Autoren.
  • In diesem Porträt stellen wir Lillian Ikulumet, Olaleye Akintola, Mohamad Alkhalaf und Nasrullah Noori vor.

Von Korbinian Eisenberger

Überall Fenster und Licht, "ist das denn hier sicher?", fragt Lillian Ikulumet. Für die 36-Jährige aus Uganda ist es der erste Besuch in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung. In ihrem Heimatland hat die 36-Jährige hinter dicken Türen geschrieben, am Ende hat sie sich dort vor ihren Verfolgern verschanzt. Ähnlich erging es ihren Journalisten-Kollegen Mohamad Alkhalaf aus Syrien, Olaleye Akintola aus Nigeria, Tahiri Ahmed und Nasrullah Noori, beide aus Afghanistan. Wie für viele Journalisten in Krisengebieten war die Flucht der letzte Ausweg.

Ikulumet, Alkhalaf, Nasrullah und Akintola bilden zusammen das Autorenteam der Kolumne "Neue Heimat", die seit 1. Juli 2016 jeden Freitag auf der Leute-Seite der SZ erscheint. Tahiri Ahmed, der unter Pseudonym schrieb, schreibt aus persönlichen und beruflichen Gründen nicht mehr, zumindest vorerst. Alle Autoren verbindet, dass sie wegen ihres Berufs flüchten mussten - vier von ihnen wollen jetzt im Journalismus wieder Fuß fassen. In ihren Texten erzählen sie Geschichten aus ihrem Alltag in Oberbayern: eine neue Perspektive für vier verfolgte Journalisten - und für die Leser der SZ.

Olaleye Akintola, 34, Nigeria

Olaleye Akintola hat eine Zeitung in der Hand, er hält sie wie eine poröse Schriftrolle. Sachte fährt er mit den Fingern über die Seiten. "Freie Presse gibt es bei uns in Nigeria nicht", sagt er. Der 33-Jährige ist Politikjournalist, zu Terminen erscheint er in Hemd und Jackett. Weil er sich mit Politikern anlegte, zwang das System Akintola zur Flucht. Mittlerweile wohnt er in einer Vierer-WG in Ebersberg und wartet auf die Anerkennung seines Asylantrags. "Noch wichtiger ist mir", sagt Akintola, "dass ich wieder als Journalist arbeiten kann".

Die letzten Monate in seiner Heimatstadt Lagos in Nigeria hat Akintola als hart in Erinnerung. "Es ging zu wie im Wilden Westen", sagt er. Der 33-Jährige arbeitete dort seit 2011 für eine überregionale Tageszeitung. "In Nigeria bezahlen Leute dafür, ihre Interessen als Artikel in der Zeitung zu haben", sagt er. Was in Deutschland als Anzeige gekennzeichnet werden muss, wird in Nigeria als redaktioneller Text verkauft. "Die Zeitungen sind davon abhängig", sagt Akintola. Der 33-Jährige recherchierte trotzdem, auf eigene Faust, machte Wahlmanipulation zum Thema. Zum Verhängnis wurde ihm ein Artikel über einen Investor, dem er vorwarf, Politiker zu bestechen. "Ich wusste, dass ich damit einiges riskiere", sagt Akintola. Im Herbst 2014 kamen dann vier Männer in sein Stammlokal und drohten ihm Gewalt an. Ende Dezember fand Akintola schließlich seine Wohnungstür aufgebrochen vor, alle Zimmer seien durchwühlt gewesen, sagt er, seine Kamera und sein Diktiergerät fehlten.

Von dem Moment an habe er Angst bekommen, sagt Akintola. Er floh über Istanbul nach Bremen und landete schließlich in Oberbayern. Dort suchte er sich Hilfe im Büro von Carl Wilhelm Macke, dem Koordinator des Münchner Vereins "Journalisten helfen Journalisten". "Er hat sich durch seine journalistischen Arbeiten einem immer größer werdenden persönlichen Risiko ausgesetzt", sagt Macke über Akintola. Nach Nigeria zurückzukehren, so Macke, wäre für ihn lebensgefährlich. Akintola lernt seit seiner Ankunft deutsch, derzeit müssen seine Texte aus dem Englischen übersetzt werden. Für die Auftaktkolumne hat sich der 32-Jährige während des Spiels der deutschen Nationalelf gegen die Slowakei in eine Fußballkneipe gesetzt.

Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Das anfängliche Autorenteam der Kolumne "Neue Heimat" (von links): Olaleye Akintola, Tahiri Ahmed (mittlerweile nicht mehr dabei), Mohamad Alkhalaf und Lillian Ikulumet.

(Foto: Florian Peljak)

Lillian Ikulumet, 36, Uganda

Lillian Ikulumet hat ihren Block gezückt, den Kugelschreiber in der Hand. "Diese Situation ist ein bisschen ungewöhnlich für mich", sagt sie. "Normalerweise stelle ich die Fragen." Ikulumet lebt seit mehr als fünf Jahren in München, spricht fließend deutsch. Die 36-Jährige trägt eine Bluse, die gleich unter dem Hals schließt. Eine 20 Zentimeter lange Narbe zieht sich von der Wange bis unter das Kinn. "Wahrscheinlich war es naiv", sagt sie. "Ich bin aber überzeugt, dass ich das Richtige gemacht habe."

Ikulumets Verletzung stammt aus einer Zeit, als die Leidenschaft für ihre Arbeit zur Bedrohung wurde: Im Sommer 2010 wurde in Uganda über eine neue Gesetzesinitiative verhandelt. Statt wie zuvor mit einer mehrjährigen Gefängnisstrafe sollten Homosexuelle in Uganda fortan zum Tode verurteilt werden dürfen. Ikulumet recherchierte in der Schwulen- und Lesbenszene, wog in ihren Artikeln die Argumente der Anti-Homosexuellenbewegung mit den Geschichten Betroffener auf. "Erst kamen die Droh-SMS und -Anrufe", sagt Ikulumet. Später hätten ihr Männer von der Regierungspartei aufgelauert. Es blieb nicht bei Gewalt-Androhungen, sagt sie.

Ikulumet besorgte sich ein Visum für eine Journalistenfortbildung in Hamburg und Berlin, wohnte dort bei der freien Journalistin Karin Flothmann, Mitglied beim Journalistinnenbund, einem Netzwerk für Medienschaffende Frauen. "Lillians Freunde und Kollegen warnten sie davor, nach Uganda zurückzukehren", sagt Flothmann, die ihrer afrikanischen Kollegin beim Übersetzen der Formulare ihres Asylantrags half. Ikulumet musste wegen der Behörden nach München umziehen, dort wurde ihr Antrag bewilligt. "Eine baldige Rückkehr nach Uganda war da längst keine Option mehr", sagt sie. Im Herbst schloss Ikulumet an einer Münchner Hochschule ein Masterstudium in Medien- und Kommunikationsmanagement ab, zuletzt führte sie eine längere Beziehung zu einem Mann aus Bayern. In ihrem ersten Text soll es deshalb um Partnerschaft gehen, ein Thema, das Ikulumet in Uganda fast das Leben gekostet hätte. Angst hat sie in Deutschland nicht mehr, "höchstens vor bösen Leserbriefen".

Freiheit im Exil

Deutschland ist neben Frankreich das beliebteste europäische Ziel für geflüchtete Journalisten. Ein Großteil der registrierten Exiljournalisten wendet sich an das internationale Netzwerk Reporter ohne Grenzen (ROG). Die Organisation hat seit Anfang 2015 (bis 31. Mai) 85 Journalisten "bei ihrer Flucht nach Deutschland begleitet und dabei unterstützt, einen Asylantrag zu stellen". 41 davon stammen aus Syrien. Wie viele Exiljournalisten sich genau im Bundesgebiet aufhalten, lässt sich derzeit nicht bemessen. Weltweit war ROG im Jahr 2015 mit 197 geflüchteten Journalisten in Kontakt. koei

Mohamad Alkhalaf, 32, Syrien

Natürlich wollte er mit seinen Geschichten was erreichen, sagt Mohamad Alkhalaf. Weil Syriens Präsident Baschar al-Assad einen Großteil der Medien überwacht, sei dies jedoch immer schwieriger geworden, berichtet Alkhalaf. Feras Alhakkar, syrischer Journalist, der nach Brüssel flüchtete, arbeitete mit Alkhalaf bei der Zeitung Alforat mehrere Monate in einem Team. "Wir haben in unseren Texten die Regierung wegen mangelnder Pressefreiheit kritisiert", sagt Alhakkar: "Wegen der Texte sind wir bedroht worden", sagt er. Mit politischen Einordnungen hätte sich Mohamad Alkhalaf auch beim Nachrichtenportal eSyria zurückhalten sollen. Weil er, entgegen der Vorgaben, einen Assad-nahen Stadtpolitiker der Korruption bezichtigte, landete er schließlich für einen Monat im Gefängnis.

Ein Mehrfamilienhaus am Ortsrand von Kirchseeon im Landkreis Ebersberg, Alkhalaf trägt Jeans und Hemd, serviert frisch geschnittenes Obst. "Ich will als Journalist endlich frei sein", sagt er. Der 32-Jährige hat seine Artikel in einem Stoß gesammelt, Referenzen, die ihm in seiner Heimat jedoch nicht mehr weiterhelfen. Er erzählt, wie er schließlich auch mit der zweiten syrischen Front aneinandergeriet: Wie viele andere syrische Journalisten, musste er vor der Terrormiliz Islamischer Staat vor einem Jahr aus seiner Heimatstadt Raqqa flüchten. Ausschlaggebend, sagt er, sei ein Foto gewesen, auf dem er eine Regierungsmitarbeiterin in Assad-T-Shirt während eines Pressetermins die Hand gibt. "Die Frau ist von einen Tag auf den anderen verschwunden", sagt er. Kurz darauf erhielt er die ersten Drohungen. "Ich bin mir sicher, dass ihre Kidnapper das Foto mit meinem Gesicht auf ihrem Handy fanden", sagt er. Alkhalaf entschied sich zur Flucht, wanderte 400 Kilometer zu Fuß bis nach Istanbul, über Felder und Pfade, sagt er, "die Straßen waren von IS-Kämpfern bewacht".

Damit Mohamad Alkhalaf demnächst ohne Übersetzer auf Deutsch schreiben kann, sitzt er täglich drei Stunden im Sprachkurs. In Alkhalafs erster Kolumne soll es um seine Beobachtungen aus der Nachbarschaft gehen. "Aus aktuellem Anlass", sagt er. Nicht nur wegen der Diskussion um Nationalverteidiger Jérôme Boateng. "Im Garten meiner Einliegerwohnung habe ich einige Lektionen gelernt."

Nasrullah Noori, 27, Afghanistan

Nasrullah Noori stammt aus Kundus in Nordafghanistan. Er studierte dort und arbeitete dann als Journalist fürs Fernsehen, unter anderem für den staatlichen Sender RTA. Wegen seiner Berichte über Mädchenschulen erhielt er von der Taliban-Miliz Morddrohungen, ähnlich wie sein damaliger Kollege Abdul Basir Abid, 28, der ebenfalls floh. "Unsere Recherchen brachten uns in Gefahr", sagt Abid.

Noori berichtet vom August 2013 und vom Angriff dreier Männer mit Kalaschnikows auf sein Auto. "Wahrscheinlich waren es Taliban", sagt Noori. Er zeigt eine Narbe auf der Stirn, die Erinnerung an einen Glassplitter, der knapp sein Auge verfehlte. Gemeinsam mit Eltern und zwei Geschwistern verließ er kurz darauf das Land. Seit 2014 lebt er mit seiner Familie in München.

Tahiri Ahmed, 23, Afghanistan

Tahiri Ahmed hat erst vor Kurzem zu schreiben begonnen, für ihn ist es eine Form der Verarbeitung. Die Vergangenheit hat Spuren bei Ahmed hinterlassen, auf seinem Oberkörper und in seinen Texten. Aus Sicherheitsgründen muss sein echter Name geheim, sein Gesicht auf Fotos unkenntlich sein. Die Gefahr, dass ihn seine Verfolger von damals erkennen, wäre sonst zu groß.

Ein Flüchtlingswohnheim in Freising, durch die Holzwände dringt Kindergeschrei. "Meine Großeltern und Freunde denken bis heute, dass ich tot bin", sagt Ahmed. Der 23-Jährige sitzt strumpfsockig auf dem Teppich seines Zimmers und erzählt eine Geschichte, die wie ein Schauermärchen klingt. Im Herbst 2012 hatte Ahmed gerade die ersten Semesterprüfungen hinter sich. Zusammen mit Freunden wollte er in einem Kleinbus von Kabul zu seinen Eltern fahren, als ein bewaffneter Mann die Ausfahrt blockierte. "Er hat verlangt, dass ich drei Kilo Opium für ihn transportiere", sagt Ahmed. "Ich habe mich geweigert, denn ich hätte damit meinen Studienplatz riskiert", sagt er. Ahmed erinnert sich noch, wie der Mann auf ihn einstach. Sein T-Shirt verdeckt die Stichwunden, die mittlerweile vernarbt sind.

In Afghanistan tobt seit Jahrzehnten ein Drogenkrieg, die Mafia wählt willkürlich Zivilisten aus und zwingt sie dazu, die Opium-Pflanze Mohn anzubauen oder zu schmuggeln. In den folgenden Monaten, sagt Ahmed, habe die Mafia ihn und seine Familie bedroht und schließlich seinen besten Freund erstochen. Als letzten Ausweg habe sein Onkel schließlich Ahmeds Tod bei einer Autoexplosion inszeniert. Von Freund und Feind tot geglaubt, habe er es in einer geheimen Fluchtaktion über den Iran, die Türkei, Bulgarien, Mazedonien, Serbien und Österreich nach Deutschland geschafft. "Außer meinen Eltern und meinem Onkel weiß das niemand", sagt er.

Die Geschichte macht ihm noch immer zu schaffen. "Am liebsten möchte ich sie in einem dicken Buch einsperren", sagt er. Erste Texte hat er bereits für die Münchner Flüchtlingszeitung Neuland geschrieben, deren Auftaktausgabe Mitte Juni erschien. Susanne Brandl, Gründerin und Vorsitzende des Magazins, hat sowohl den Autor, als auch den Mensch Ahmed kennengelernt. "Seine Texte haben etwas Unschuldiges", sagt sie. "Die kurzen Sätze und klaren Worte lassen beim Leser ein konkretes Bild entstehen." In Ahmeds erstem SZ-Text soll es um seine Erfahrungen bei der Arbeitssuche in München gehen. "Vieles ist hier gerecht", sagt er, "aber auch hier versuchen manche Leute, Gesetze zu umgehen".

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