Bodenmais:Woid Woifes Welt

Bodenmais: Nur im Wald fühlt sich der 40-jährige Wolfgang Schreil, genannt Woid Woife, richtig wohl. Am liebsten ist er nur mit Hund Else unterwegs.

Nur im Wald fühlt sich der 40-jährige Wolfgang Schreil, genannt Woid Woife, richtig wohl. Am liebsten ist er nur mit Hund Else unterwegs.

(Foto: Stephanie Probst)

Wolfgang Schreil ist am liebsten im Bayerischen Wald unterwegs, beobachtet und fotografiert Flora und Fauna. Mit dieser Leidenschaft hat er schon viel für die Natur getan.

Von Stephanie Probst, Bodenmais

Auf Handtüchern und Decken liegt ein Rehkitz in einer geschützten Nische zwischen Couch und Wand, mit einer blutenden Verletzung am Hals und glasigen Augen. Wolfgang Schreil streichelt mit seinen großen Händen behutsam über das Fell, die Stirn in viele Sorgenfalten gelegt. Vor einer halben Stunde wurde ihm das Kitz gebracht, ein Hund hatte es angefallen und verletzt. "Warum können die Leute ihre Hunde nicht einfach anleinen", sagt Schreil und schüttelt den Kopf.

Vor allem im Frühjahr werden bei dem 40-Jährigen immer wieder verletzte oder verwaiste Tiere abgegeben. Auch Findlingsvogel Fridolin wohnt seit ein paar Wochen bei Schreil und seiner Frau Sabine. Als der Bodenmaiser die Käfigtür öffnet, flattert der kleine Vogel heraus und landet auf dem Anhänger von Schreils Kette, einem kleinen Rehhorn. "Er glaubt, ich bin seine dicke Mama", sagt Schreil und lacht.

Im Bayerischen Wald ist der große, kräftige Mann als "Woid Woife" bekannt. Es heißt, er sei ein Tierflüsterer. Nicht zuletzt, weil er Hunderte Wildtiere mit seiner Kamera auf der Hochzell, seinem Heimatberg, festgehalten hat. Ganz ohne Profi-Ausrüstung ist er den Wildtieren ganz nah gekommen. "Ich bin schon mein ganzes Leben in diesem Wald, ich glaube die Tiere kennen mich einfach", so erklärt es sich Wolfgang Schreil.

Obwohl es regnet und ungemütlich ist, wird er auch heute wieder durch die Wälder seines Berges ziehen - wie jeden Tag. Mit dunkelgrünem Trachtenhut und einem Wanderstock ausgerüstet, läuft der Woid Woife nur ein paar Meter auf der breiten Schotterstraße. Nach ein paar Höhenmetern verschwindet der große Mann dann zwischen den Bäumen und Sträuchern im grünen Dickicht. Es riecht nach Laub, Moos und Regen. "Es ist wie nach Hause kommen", sagt Schreil und greift mit beiden Händen in den Waldboden.

Diese Mischung aus schwarzer Erde, Fichtennadeln, Laubblättern und kleinen Ästen hält sich der bärtige Mann dicht unter die Nase. "Das ist der Geruch meiner Heimat. Ich glaube, je älter ich werde, desto intensiver wird meine Bindung zum Wald", sagt er in einem brummenden, fast bellenden Dialekt, den man im Landkreis Regen nur in dieser Gegend spricht.

Tierflüsterer, Fotograf, Naturschützer

Bei seinen Ausflügen hat er seine Kamera immer dabei. Fünf Jahre lang fotografiert der Woid Woife schon die Tiere in seinem Wald. "Fotograf bin ich sicher nicht. Und auch kein Künstler", sagt er. Denn angefangen hatte alles aus einem ganz anderen Grund: Niemand glaubte ihm, dass die unscheinbare Hochzell Heimat vieler seltener Tierarten ist.

"Für viele im Dorf war ich lange Zeit nur ein Spinner, ein verrückter Außenseiter", sagt Schreil. Als vor ein paar Jahren beschlossen wurde, dass auf seinem Hausberg eine Gondelbahn gebaut werden soll, fing er an, die seltenen Tiere seines Waldes zu fotografieren. Mit Erfolg: Mit den Beweisbildern konnte Schreil den Bau verhindern. Seither ist die Hochzell sogar Auerwild-Schutzgebiet. Und Schreil selbst genießt den Ruf eines Tierflüsterers.

Das System darf draußenbleiben

Vorbei an kleinen Bächen und hohen Felsen führt Schreils Weg durch den Wald zu einer riesigen Buche, die quer über dem Weg liegt und das Weiterkommen behindert. Der tote Baum ist zu hoch, um einfach rüberzuklettern, darum sucht sich Schreil kurzerhand eine passende Stelle und kriecht unter dem Stamm hindurch. Unwegsames Gelände scheut der Woid Woife nicht, am liebsten bewegt er sich fernab der Wanderwege. "Wenn ich dem Trubel entgehen will, dann komme ich hierher", sagt er und schiebt Ast um Ast im immer dichter werdenden Wald sanft zur Seite. Plötzlich bleibt er stehen, biegt einen letzten Ast nach hinten und es öffnet sich ein atemberaubender Ausblick auf die Weite des Bayerischen Waldes.

An diesem Platz hat er schon viele Stunden verbracht. Ganz ruhig sitzt Schreil dann auf einem Felsen oder im Laub, lauscht den Vögeln und dem Wind. Er wartet auf nichts. Auf kein Tier, kein Ereignis. Langeweile kennt er nicht. "Ich fühle mich dann als Teil des Ganzen", sagt er. "Was wirklich wichtig ist, geht immer mehr verloren. Der Mensch beutet die Natur aus und vergisst dabei, dass er die Natur zum Leben braucht." Wenn er könnte, wäre er immer im Wald.

Mit dem "System", wie Schreil es nennt, habe er kaum Berührungspunkte, doch ganz lossagen kann er sich nicht: "Geld ist mir absolut unwichtig, ich weiß nicht mal, wann mein Lohn kommt. Ganz ohne geht es aber leider auch nicht." Deswegen arbeitet der gelernte KFZ-Mechaniker seit zehn Jahren als Totengräber in der Nachbarstadt. "Ohne den Tod gibt es kein Leben", sagt er und streicht im Vorbeigehen sanft über die Blätter der Farne, "wie hier im Wald eben auch."

Das Handy ist nur für den Notfall

Wie wertvoll das Leben ist, musste Schreil vergangenes Jahr am eigenen Leib erleben. Innerhalb von neun Monaten hatte er zwei Schlaganfälle, andere gesundheitliche Probleme kamen dazu. "Darum versuche ich heute umso mehr, mein Leben so zu führen, wie ich es für richtig halte", sagt er. Das einzige, das sich seither verändert hat: Seiner Frau zuliebe hat er sich ein kleines Handy gekauft - für Notfälle.

Viel mehr als telefonieren kann es nicht, doch das reicht dem Woid Woife. Ein "Handy zum Wischen" brauche er keines. Trotzdem hat es der Technik-Verweigerer auf Facebook geschafft: 1400 Fans zeigt er regelmäßig seine Fotografien und teilt mit ihnen seine Gedanken. Das habe aber alles einen guten Grund: "Vielleicht denken manche ein bisschen um. Es wäre besser, wenn jeder ein bisschen mehr Wert auf die Natur legen würde und weniger Wert darauf, was für ein Auto er fährt oder welche Marke er trägt", sagt Schreil.

Zurück in der Wohnung sieht der Tierfreund gleich nach dem Rehkitz. Schreils Frau konnte dem kleinen Geschöpf mittlerweile mit einer Saugflasche etwas Ziegenmilch schmackhaft machen. Jetzt schläft das Wildtier und atmet ruhig. Der Woid Woife ist erleichtert, doch die Nacht wird er neben dem Kitz verbringen und noch heute Abend in Facebook darum bitten, Hunde an die Leine zu nehmen. "Wir sind nur Gäste auf dieser Welt. Und ich versuche ein guter Gast zu sein", sagt Schreil.

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