Panama Papers:Gefährliche Nähe

Panama Papers: undefined
(Foto: Peter M. Hoffmann)

Die Panama Papers zeigen, dass regierungstreue Wirtschaftsbosse aus der Türkei Briefkastenfirmen nutzen. Damit konfrontiert, bedrohte einer der Unternehmer türkische Journalisten offenbar massiv.

Von Hannes Munzinger und Luisa Seeling

Es war nicht mehr als eine Ankündigung: Die Tageszeitung Cumhuriyet veröffentlichte am 24. Juni den Hinweis, man werde in Kürze über die "Panama'cı Türkler" schreiben - über die Türken, deren Namen in den Panama Papers auftauchen. Darunter druckte Cumhuriyet die Fotos von sechs Männern. Alle sind Unternehmer, fünf von ihnen stehen dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan nahe.

Kurz darauf klingelte in der Redaktion von Cumhuriyet das Telefon. Der Mann am anderen Ende der Leitung war offenbar Mehmet Cengiz - einer der sechs abgebildeten Geschäftsmänner. Cengiz' Firma gehört zu einer Gruppe von Unternehmen, die den neuen Istanbuler Flughafen bauen - ein umstrittenes Prestigeprojekt, das der Präsident persönlich vorantreibt. Cengiz' Name taucht auch im Zusammenhang mit einem Korruptionsskandal auf, der 2013 mehrere Minister zum Rücktritt zwang.

Der Mann am Telefon sprach laut Cumhuriyet eine ziemlich unmissverständliche Warnung aus: "Ihr schämt euch nicht, mein Gesicht auf die Titelseite zu setzen? Ich werde euch bekämpfen (...) Ihr Hurensöhne, macht keinen Killer aus mir". Das kann man als Morddrohung auffassen, vielleicht muss man es sogar. Gerade in der Türkei, wo kritische Journalisten seit Jahren entlassen, mit Klagen überzogen oder persönlich bedroht werden.

Seit Cumhuriyet 2015 kurz vor der Parlamentswahl über eine Waffenlieferung des türkischen Geheimdiensts nach Syrien berichtete, ist die Zeitung zum Symbol für den Kampf um die Pressefreiheit geworden. Der türkische Präsident erstattete persönlich Anzeige, kurz darauf kamen Can Dündar, der Chefredakteur, und Erdem Gül, Leiter des Ankara-Büros, in Untersuchungshaft. Am Prozesstag, am 6. Mai dieses Jahres, überlebte Can Dündar nur knapp einen Anschlag. Ein Mann nannte ihn Vaterlandsverräter und schoss auf ihn - verfehlte ihn aber. Kurz darauf verkündete das Gericht in Istanbul das Urteil: Mehrjährige Haftstrafen für Dündar und Gül, wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen. Bis zum Berufungsverfahren bleiben sie auf freiem Fuß. Ihre Redaktion arbeitet weiterhin in diesem schwierigen Klima.

Wer so etwas in der Türkei veröffentlicht, lebt gefährlich

Cumhuriyet ist nun das einzige türkische Medium, das Zugang zu den als Panama Papers bekannt gewordenen Unterlagen des Offshore-Dienstleisters Mossack Fonseca bekommen hat. Zusammen mit dem ICIJ, dem Recherchenetzwerk OCCRP und der Süddeutschen Zeitung haben Reporter von Cumhuriyet in den vergangenen Wochen in den 2,6 Terabyte Daten nach Spuren in die Türkei gesucht.

In den Panama-Papieren fanden sich bislang 13 aktuelle oder frühere Staats- und Regierungschefs sowie die Verwandten oder Vertrauten von Dutzenden weiteren. Islands Premier musste bereits zurücktreten, in Pakistan und Argentinien sind die Enthüllungen belastend für den Premier beziehungsweise den Präsidenten.

Derart hoch sind die direkten Treffer im Fall der Türkei nicht angesiedelt, so viel sei an dieser Stelle bereits vorweggenommen. Weder der türkische Präsident noch der Premier Binali Yıldırım fanden sich in den geleakten Unterlagen der Panama Papers. Jedoch etliche Wirtschaftsbosse mit Nähe zur AKP - jener Partei, die seit 2002 das Sagen hat und der Erdoğan als Parteichef vorstand, bis er 2014 vom Amt des Premiers an die Staatsspitze wechselte. Die Panama Papers belegen, dass regierungstreue Wirtschaftsgrößen ihr Geld gerne in Briefkastenfirmen verstecken. Wer aber so etwas in der Türkei veröffentlicht, lebt gefährlich.

Korruption ohne Konsequenzen

Mehmet Cengiz, jener Mann, der offenbar Cumhuriyet anrief, steht laut den geleakten Unterlagen im Zentrum eines ganzen Netzwerkes von mindestens 20 Briefkastenfirmen. Deren Zweck lässt sich nicht in allen Fällen aus den internen Dokumenten von Mossack Fonseca rekonstruieren, Cengiz scheint großen Wert auf maximale Verschleierung zu legen. Doch man findet auch auffällige Zahlungen in Millionenhöhe, die der Unternehmer nicht öffentlich erklären will. Auf eine Anfrage der SZ reagierte er nicht.

Gemeinsam mit seinem Bruder Ekrem ist Mehmet Cengiz den Panama Papers zufolge Bevollmächtigter einer Firma namens Bonito International Inc., registriert auf der Pazifikinsel Niue. Über diese Firma sind die Brüder an der in Großbritannien registrierten MEC Metal Equipment & Consultancy Co. beteiligt. Die Firma war bisher ein schwarzes Loch. Welchem Zweck sie dient, war unbekannt. Ein Dokument in den Panama Papers beinhaltet einen Beratungsvertrag der MEC Metal Equipment & Consultancy Co. über "Marktstudien und -analysen in Verbindung mit den Metall-, Bergbau- und Bausektoren in Russland und China".

Vertragspartnerin ist eine gewisse "Vremax Properties Limited" auf den Britischen Jungferninseln, ebenfalls eine gänzlich unbekannte Firma. Auf knapp zwei Seiten vereinbaren sie kaum konkretisierte Beratungsleistungen - und eine Zahlung von 3,07 Millionen US-Dollar. Das Geld fließt augenscheinlich Ende Juni 2008 auf ein Konto der Vremax Properties Limited bei einer Schweizer Privatbank. Ob eine Beratung tatsächlich stattgefunden hat, ist unklar. Auf diese Weise jedenfalls ließ sich auch öffentliches Geld durch die Fassade einer Firma in die eigene Tasche stecken. Und in der Türkei heißt es, keiner habe in den vergangenen 14 Jahren mehr öffentliche Ausschreibungen gewonnen als Mehmet Cengiz.

Unternehmer wie Cengiz nennt man auch "anatolische Tiger"

Cengiz gehört einer relativ neuen Schicht von muslimisch-konservativen Unternehmern an, die seit dem Regierungsantritt der AKP 2002 zu viel Geld, Macht und Einfluss gekommen sind. Man nennt sie die "anatolischen Tiger". Heute gehören viele von ihnen zu den wirtschaftlichen Schwergewichten des Landes.

Mitglieder der Cengiz-Familie tauchen regelmäßig auf der Forbes-Liste der reichsten Türken auf. Sie pflegen gute Beziehungen zur regierenden AKP - und zu Erdoğan persönlich. Die Familie stammt aus der Schwarzmeer-Stadt Rize, wie der Präsident. Hier steht die Erdoğan-Universität, an der ein Sohn des Präsidenten, Bilal Erdoğan, und Mehmet Cengiz im Beirat einer Wohltätigkeits-Stiftung sitzen.

Als die AKP vor 14 Jahren an die Regierung kam, war sie auch gewählt worden, weil die Menschen hofften, sie werde das Land von der Vetternwirtschaft befreien. Nicht zufällig lautete das Kürzel der Adalet ve Kalkınma Partisi - Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung - AK, was im Türkischen "weiß" oder "rein" heißt; als Logo wählte die Partei eine Glühbirne. Die AKP versprach ihren Wählern Transparenz; Politiker sollten verpflichtet werden, ihren Wohlstand offenzulegen.

Von diesen Versprechen ist kaum etwas übrig geblieben. Die AKP steht heute selbst im Zentrum klientelistischer Netzwerke, Politiker und konservative Unternehmer bilden einträgliche Allianzen. Der neue Premier, Binali Yıldırım, gehe als Regierungschef in die Geschichte ein, der Anti-Korruptionsmaßnahmen bei seinem Amtsantritt nicht einmal erwähnte, beklagt der Journalist Şükrü Küçükşahın auf dem Analyseportal Al-Monitor. Kaum war Yıldırım im Amt, löste er eine Anti-Korruptionskommission auf, die sein Vorgänger geschaffen hatte. Wobei wohl kaum jemand erwartet hatte, dass das Gremium viel bewirken würde.

2013 erschütterte eine Korruptionsaffäre die türkische Regierung

Die Türkei leidet unter massiver Korruption, und nicht erst seit der AKP. Welche Ausmaße die Verfilzung aber angenommen hat, davon bekam die türkische Öffentlichkeit Ende 2013 eine Vorstellung. Da knipsten, um im Bild zu bleiben, entschlossene Staatsanwälte die Glühbirne an. In einer groß angelegten Operation nahm die Polizei Dutzende Personen fest, darunter einflussreiche Unternehmer und drei Ministersöhne. Es ging um illegale Goldgeschäfte mit Iran, Bestechung und manipulierte Ausschreibungen.

Die Affäre erschütterte die Regierung. 2013 traten auf Weisung des Premiers drei Minister zurück, darunter der Städtebauminister. Sein Sohn soll den Ermittlern zufolge Schmiergeld für die Vermittlung von Baulizenzen und öffentlichen Aufträgen kassiert haben. Tags darauf entließ Erdoğan sieben weitere Minister. Gegen mehrere von ihnen gab es Anschuldigungen. Auch gegen Binali Yıldırım, den heutigen AKP-Chef und Premier. Der langjährige Verkehrsminister soll den Ermittlern zufolge bei der Vergabe von Aufträgen der Staatsbahn gemauschelt haben. Die Beschuldigten bestritten die Vorwürfe.

Was sich da vor den Augen der türkischen Öffentlichkeit abspielte, war nicht der Skandal einer einzigen Firma, eines einzelnen Politikers. Es war die Demontage der politischen und wirtschaftlichen Führungsriege des Landes. Auch Erdoğan selbst geriet ins Zwielicht. Der Name seines Sohnes Bilal war auf einer Liste der Fahnder zu lesen, die öffentlich wurde. Der Sohn des damaligen Premiers ist Vorstandsmitglied einer Stiftung, die staatliche Grundstücke in Istanbul zu einem verdächtig günstigen Preis bekommen haben soll. Bald kursierten auch noch Telefon-Mitschnitte im Internet, auf denen angeblich Erdoğan zu hören ist, der seinen Sohn anweist, Millionenbeträge fortzuschaffen. Erdoğan nannte sie eine dreiste Montage.

Diamanten, Bauprojekte und Textilien

Dieser Höhepunkt des Polit-Thrillers war zugleich sein jähes Ende. Es gab keine weiteren Festnahmen. Die Regierung ließ innerhalb weniger Monate Tausende Polizisten, Justizangestellte und Staatsanwälte versetzen oder aus dem Dienst entfernen. Erdoğan erklärte die Ermittlungen zum Putsch-Versuch seines Rivalen Fethullah Gülen, eines im US-Exil lebenden islamischen Predigers, der in der Türkei Millionen Anhänger hat. Die Ermittlungen wurden eingestellt, niemand wurde angeklagt.

Unter den Männern, die 2013 ins Visier der Ermittler gerieten, waren auch mehrere Bauunternehmer - auch Mehmet Cengiz. Dass die illegale Vergabepraktiken im Zentrum der Ermittlungen standen, ist wenig überraschend. Vor allem die Bau- und Energiebranche ist notorisch verfilzt. Die Regierung hat das Vergaberecht so oft geändert, dass es inzwischen fast so viele Ausnahmen wie Regelfälle gibt. Der EU-Fortschrittsbericht beklagt das regelmäßig, 2015 heißt es darin: "Wegen zahlreicher Ausnahmen, die das Vergaberecht erlaubt, sind öffentliche Ausschreibungen besonders korruptionsgefährdet." Jüngste Änderungen hätten die Gesetze sogar noch weiter vom EU-Standard entfernt.

Jahrelang hat die AKP mit dem Versprechen auf eine strahlende Zukunft Wahlen gewonnen. Eine "neue Türkei" wolle Erdoğan schaffen; bis 2023, dem 100-jährigen Geburtstag der Republik, werde die Türkei zu den zehn größten Wirtschaftsnationen der Welt gehören. Um dieses Ziel zu erreichen, schob er gigantische Infrastruktur-Projekte an. Die Regierung ließ Staudämme bauen und Brücken, Flughäfen und Kraftwerke. Meist galt: Wer Freunde in der Regierung hat, machte gute Geschäfte.

Fettah Tamince ist einer der sechs "Panama-Türken"

Beispiele für die Nähe zwischen AKP-Spitze und konservativer Wirtschaftselite gibt es viele. Fettah Tamince ist einer der sechs "Panama-Türken", über die Cumhuriyet in diesen Tagen berichtet, weil sie Offshore-Firmen besitzen. Tamince profitierte direkt von seinen Kontakten in den Staatsapparat. Der schillernde Bauunternehmer und Eigentümer der Rixos-Hotelkette soll fast ein Jahrzehnt weder Einkünfte deklariert noch Unternehmenssteuern gezahlt haben. Die Steuerverwaltung ließ ihn offenbar gewähren. In den Panama Papers taucht er als Geschäftsführer und Eigentümer mehrerer Briefkastenfirmen auf. Nachfragen der SZ ließ er ohne Antwort. Tamince soll ein guter Freund des Präsidenten sein.

Wie auch Cihan Kamer, der durch den Handel mit Diamanten reich geworden ist. Dass die Regierung 2004 den Diamanthandel von der Umsatzsteuer befreite, soll vor allem eine seiner Firmen genutzt haben. Über eine Briefkastenfirma von Mossack Fonseca und eine panamaische Stiftung hielt er Firmenbeteiligungen und mehrere Konten bei Schweizer Banken. Gegenüber Cumhuriyet teilte er mit, die Firmen seien nicht geschäftlich aktiv gewesen. Eine Anfrage der SZ ließ er unkommentiert. Kamer machte auch mit Erdoğans Sohn Burak und dessen Frau Sema Geschäfte. Die drei waren offenkundig Partner bei der Firma Atagold.

Beste Beziehungen zum Präsidenten pflegt auch der Textilunternehmer Remzi Gür. Türkische Medien berichteten, er habe die akademische Ausbildung aller Kinder Erdoğans bezahlt. 2008 wurde Gür zu zehn Jahren Haft verurteilt, weil er einen Politiker bestochen haben soll. Er stritt dies ab, denn er "hasse Korruption". Das Urteil wurde 2010 in eine milde Geldstrafe umgewandelt. In den Panama Papers taucht er als Eigner der Firma "Excel Energy Trading Limited" auf, die der Schlüssel dazu sein könnte. Eine Anfrage der SZ ließ Gür unbeantwortet.

Positive Berichte über die Regierung erhöhen die Chancen auf lukrative Aufträge

Im Zuge der Korruptionsaffäre 2013 kam auch zutage, wie AKP-Politiker und regierungsnahe Wirtschaftsbosse in die Medienlandschaft eingreifen. Beispiel Çalık-Gruppe: Vorstandsvorsitzender des Mischkonzerns, zu dem auch Bau- und Energiefirmen gehören, war bis 2013 Berat Albayrak - Erdoğans Schwiegersohn. 2015 wurde er für die AKP ins Parlament gewählt, bald darauf war er Energieminister. 2008 stieg die Çalık-Holding ins Mediengeschäft ein und kaufte den Fernsehsender ATV und die Zeitung Sabah. In kürzester Zeit wurde das Blatt zum Verlautbarungsorgan der Regierung. Profitabel war Sabah-ATV nicht: Mit seiner Mediensparte fuhr Çalık Millionenverluste ein. Doch es ging wohl mehr um Beziehungspflege. Wer positiv über die Regierung berichtet, erhöht seine Chancen auf lukrative Aufträge.

2013 übernahm die Kalyon-Gruppe Sabah-ATV. Die Eigentümer, die Kalyoncu-Brüder, gelten als Erdoğan-nah, der Konzern gewann die Ausschreibung für das Projekt zur Umwandlung des Taksim-Platzes in ein Shopping-Paradies; das Projekt, gegen das sich die Gezi-Proteste richteten. Auch am Bau des neuen Großflughafens ist Kalyon beteiligt.

Die Staatsanwälte, die 2013 versuchten, den Korruptionsskandal aufzuarbeiten, nahmen auch den Verkauf von Sabah-ATV unter die Lupe. Abhörprotokolle der Polizei, die später an die Öffentlichkeit durchsickerten, dokumentieren offenbar Gespräche zwischen Erdoğan, den Kayloncu-Brüdern und Çalık-Chef Albayrak. Laut den Ermittlern hat Erdoğan eine Art "Pool" geschaffen, in den verbündete Unternehmer einzahlen, um in Not geratene regierungsnahe Medien zu finanzieren. Im Gegenzug hätten sie auf Staatsaufträge hoffen dürfen. In der Türkei spricht man seither abfällig von "Pool-Medien".

Auch Mehmet Cengiz, der mutmaßliche Mann am Telefon von Cumhuriyet, dessen Name sich in den Panama Papers findet, taucht offenbar in den Abhörprotokollen auf. An einer Stelle diskutiert er mit einem Geschäftspartner, was passieren würde, wenn der Plan, einen solchen Medien-Pool zu finanzieren, öffentlich würde.

Heute weiß man die Antwort. Niemand wurde belangt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: