Außergewöhnliches Zusammentreffen:Das Leben der Anderen

Außergewöhnliches Zusammentreffen: Gebannt haben Jugendliche in Haag den Schilderungen von Flüchtlingen zugehört, die in der Gemeinde leben.

Gebannt haben Jugendliche in Haag den Schilderungen von Flüchtlingen zugehört, die in der Gemeinde leben.

(Foto: Marco Einfeldt)

In Haag lebende Flüchtlinge erzählen deutschen und amerikanischen Schülern, was Verfolgung bedeutet

Von Katharina Aurich, Haag

Zwei Stunden lang haben 16 Schüler des Moosburger Karl-Ritter-von-Frisch-Gymnasiums und 14 Austauschschüler der amerikanischen Exeter Senior Highschool in Pennsylvania gebannt der Geschichte von der Flucht von Habib Amiri, Fatema und Tahira Mohseni und ihren Schilderungen des alltäglichen Lebens in Afghanistan zugehört. "Was würdest Du in einer solchen Situation tun?", stand in großen Buchstaben auf der Leinwand geschrieben, auf der Amiri eine Präsentation von Fotos und Videoclips aus Afghanistan zeigte - und dazwischen Flüchtlinge interviewte, die inzwischen in Haag leben.

Das außergewöhnliche Zusammentreffen in der Aula der Haager Grundschule hatte Ulrike Gänssle initiiert, deren Sohn am USA-Austausch des Moosburger Gymnasiums teilnimmt. Sie hält gleichzeitig Kontakt zum Haager Helferkreis. John Printz und Robert Wickstrom, die beiden Deutschlehrer der Exeter Senior Highschool ,waren sofort von dieser Möglichkeit, hautnah zu erfahren, was Flucht bedeutet, angetan. Das Jahresthema der Schüler sei heuer "Vertreibung und Flucht", erläutert Printz und er verspreche sich von diesem gemeinsamen Nachmittag, dass seine Schüler merkten, wie gut es ihnen gehe. Er sei beeindruckt, wie die Flüchtlinge über ihren Weg berichteten. Nur so, durch persönliche Kontakte, entstünden Verbindungen zwischen Menschen, so dass Verständnis und Toleranz wachsen könnten, sagt Wickstrom überzeugt. Dann hätte Ignoranz, die Kriege und Vertreibung erst möglich mache, keine Chance.

Die Barrieren fielen an diesem Nachmittag sehr schnell, als ein 19-Jähriger aus Afghanistan an das Mikrofon trat und auf Deutsch sagte, dass er zu Hause den Beruf des Tischlers erlernt habe. Aber als sein Bruder von den Taliban ermordet worden sei, versprach er seiner Mutter, sich in Sicherheit zu bringen. "In meinem Land gibt es keine Hoffnung", sagte er dann auf Farsi, das Amiri ins Englische übersetzte.

Ein anderer Geflüchteter aus dem Irak erzählte, dass er eine Freundin hatte, was in dem muslimischen Land streng verboten sei. Er wurde bedroht und seine Freundin von ihrer Familie ermordet, daher entschloss er sich zur Flucht.

Die Geschichten der Flüchtlinge gleichen sich und was man meist nur aus dem Fernsehen kennt, rückte an diesem Nachmittag sehr nah an die jungen Zuhörer heran: Bedrohung, Angst, Flucht. Der Preis der Sicherheit in Deutschland ist hoch, alle, die an das Mikrofon traten, schlossen ihre Schilderungen damit, wie sehr sie ihre Familien vermissten. Auch Fatema Musehni kämpfte mit den Tränen, als sie zu den Fotos, die ihre Mutter mit ihren vier Schwestern und idyllische Landschaftsbilder aus Afghanistan zeigten, aus ihrem früheren Leben als TV-Moderatorin berichtete. Videoclips von glamourösen TV-Shows wie "Deutschland sucht den Superstar" standen in krassem Widerspruch zu den Bildern von Soldaten, die den Sender schließlich kontrollierten, da die Taliban Unterhaltung und besonders unverschleierte Frauen in der Öffentlichkeit verbieten. Die Bilder, Videos und Erzählungen der jungen Geflüchteten brachten die bedrohliche Situation und vor allem auch die Rolle, zu der Frauen in dem muslimischen Land gezwungen werden, ganz nah an ihre Zuhörer heran.

Als die Taliban alle Mitarbeiter des TV- Senders im Internet für vogelfrei erklärt hatten und ein Selbstmordattentäter viele Kollegen in den Tod riss, entschlossen sie sich zur Flucht, berichtete Fatema Mohseni. Still und betroffen hörten die jungen Deutschen und Amerikaner diesen Schilderungen zu, sahen Fotos von der Flucht im Dezember über das Mittelmeer und dem langen Landweg nach Deutschland. Während einer Pause gab es typisch afghanische Snacks, welche die Flüchtlinge für ihre deutschen und amerikanischen Gäste zubereitet hatten. Die Schüler werden diesen Nachmittag sicher nicht vergessen, der besser als jeder Unterricht vermittelte, warum Menschen aus Angst um ihr Leben alles zurücklassen und mit nichts in einem Land, dessen Sprache sie nicht beherrschen, neu anfangen.

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