Immobilien nach dem Brexit:Erinnerung an die letzte große Krise

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Viele große Immobilienfonds stoppen den Handel. Es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, doch die Märkte stürzen ab.

Von Benedikt Müller

Was zurzeit auf den britischen Finanzmärkten passiert, weckt böse Erinnerungen: Bereits sechs große, britische Immobilienfonds haben in dieser Woche den Handel mit Anteilen ausgesetzt. Nach der britischen Investmentfirma Standard Life verfügten nun auch die Anbieter Aviva, M&G, Henderson Global, Columbia Threadneedle sowie Canada Life, dass die Anleger bis auf Weiteres nicht aus den Immobilienfonds aussteigen dürfen. Insgesamt stecken in den Fonds mehr als 15 Milliarden Euro privater Ersparnisse. Nun streiten Experten darüber, wie akut diese Anlagen gefährdet sind.

Die Institute berichten, dass viele Anleger ihre Anteile an den Immobilienfonds loswerden wollen, seitdem sich die Mehrheit der Briten für einen Austritt aus der EU ausgesprochen hat. Die Investoren fürchten, dass die Fondsanteile durch den Brexit stark an Wert verlieren könnten.

Jahrelang hatten Käufer aus der ganzen Welt die Preise für Büros und Wohnungen in London in die Höhe getrieben. Doch nun kappen Forscher die Wachstumsprognose für Großbritannien. Vor allem ausländische Banken könnten ihre Europa-Zentralen in andere Staaten verlagern. Dadurch würden der Büro- und Wohnungsmarkt viele reiche Käufer und Mieter verlieren. Standard Life etwa musste den Wert seiner Immobilien bereits um fünf Prozent nach unten korrigieren.

Londoner Immobilien könnten an Wert verlieren, wenn die Banken ihr Geschäft von der Themse weg verlagern. An der Börse steigt die Angst, dass eine Preisblase platzen könnte. (Foto: Matthew Lloyd/Bloomberg)

Für offene Immobilienfonds ist es gefährlich, wenn viele Anleger gleichzeitig ihre Anteile zurückgeben wollen. Denn die Manager halten nur einen kleinen Teil der Anlagen in bar, Standard Life zuletzt etwa 13 Prozent des Fondsvolumens. Den viel größeren Teil haben sie in Bürotürme, Hotelgebäude oder Kaufhäuser investiert.

Sollten nun viele Immobilienfonds gleichzeitig gezwungen sein, einen Teil ihrer Immobilien zu verkaufen, entsteht ein Überangebot auf dem Markt. Das wollen die Fondsmanager verhindern. Deshalb haben sie den Handel mit den Papieren für mindestens vier Wochen ausgesetzt; Anleger kommen in dieser Zeit nicht an ihr Geld. Eigentlich eine Vorsichtsmaßnahme.

Doch an den Finanzmärkten sorgen die Ankündigungen für weitere Unsicherheit. In der Nacht zum Mittwoch ist der Kurs des britischen Pfund unter 1,30 Dollar gefallen, zum ersten Mal seit gut 30 Jahren. Seit der Brexit-Entscheidung hat etwa der Fondsanbieter Standard Life 24 Prozent seines Börsenwerts verloren. Die Aktienkurse der Wohnungsbaufirmen Redrow und Bovis Homes sind sogar um mehr als 35 Prozent eingebrochen.

Einen Zusammenbruch offener Immobilienfonds hatten hiesige Anleger im Jahr 2008 erlebt. In der Finanzkrise fielen die Immobilienpreise vor allem in den USA, in Spanien und in Irland um bis zu 40 Prozent. Deutsche Immobilienfonds setzten damals ebenfalls den Handel ihrer Anteile aus. Viele Fonds mussten abgewickelt werden; das Vertrauen in die Anlageklasse war vorerst zerstört.

Hoffen auf einen "soft Brexit"

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(Foto: SZ)

Munich Re-Vorstandschef Nikolaus von Bomhard glaubt, dass sich EU und Großbritannien auf eine Kooperation "irgendwo zwischen EEA und Efta" verständigen werden, also zwischen den Modellen der Zusammenarbeit der Union mit Norwegen und der Schweiz. Bomhard nennt das einen "soft Brexit", also einen weichen Austritt Großbritanniens. Er sagte, führende Politiker in der konservativen Partei in Großbritannien wollten das Land und die Hauptstadt London in eine Art Singapur Europas verwandeln. Solche Pläne könne man nicht einfach von der Hand weisen. Allerdings seien die Erwartungen vieler Akteure in Großbritannien an die Kompromissbereitschaft der EU und an das, was sie in Verhandlungen mit Brüssel erreichen könnten, zu optimistisch. Der Brexit werde das Wirtschaftswachstum abschwächen, sagte er. Dabei werde Großbritannien deutlich stärker getroffen als die restliche EU. Dazu komme die Möglichkeit, dass Schottland das Vereinigte Königreich verlasse. Große Finanzinstitutionen werden London den Rücken kehren, glaubt Bomhard. "Dublin wird sehr viel bekommen", sagte er zu den Gewinnern des Brexit. Auch Frankfurt und Paris würden wahrscheinlich profitieren. Die Brexit-Entscheidung werde zu Unsicherheit an den Finanzmärkten und einer noch längeren Niedrigzinsphase führen, erwartet Bomhard. Munich Re sei vorbereitet. Die Währungsschwankungen treffen das Unternehmen nicht. Der Konzern hat hohe Dollar-Bestände, aber vergleichsweise kleine Summen in Pfund angelegt. "Wenn es allerdings in der Folge zu einer Finanzkrise kommt, könnten wir uns nicht entziehen", sagte er. Dazu könne es kommen, wenn eine Bank in große Schwierigkeiten gerät oder es ein "großes Kreditereignis" gibt, also den Ausfall eines bedeutenden Schuldners. Eine Austrittswelle aus der EU erwartet der Munich Re-Chef nicht, erst recht nicht in Osteuropa. "Die denken überhaupt nicht daran." Die EU komme eher in den Niederlanden oder in Deutschland unter Druck.

Deutsche Fondsmanager erleben gerade das Gegenteil. Sie können sich vor Geld kaum retten

Zwar lassen sich einige Parallelen zwischen 2008 und heute ziehen. So sind die Immobilienpreise in London zurzeit sogar höher als damals, sagt Manfred Binsfeld, Immobilienforscher der Rating-Agentur Feri. "Insofern ist die Situation heute zyklisch gesehen ähnlich extrem wie vor dem Ausbruch der letzten Finanzkrise." Doch damals seien die Immobilienmärkte von Euphorie und Spekulation geprägt gewesen, sagt Binsfeld. "Bis heute haben die Investoren dagegen so rational wie möglich angelegt, es geht um die Flucht in sichere Häfen." Zudem konnten sich Anleger auf ein Brexit-Szenario einstellen.

Anders als damals in Spanien oder Irland sieht Binsfeld auch keine spekulative Bautätigkeit. "Es gibt kein Überangebot, erst recht nicht auf dem Wohnungsmarkt." Gezwungen zum Verkauf seien Investoren dann, wenn sie sich für Objekte übermäßig verschuldet hätten und dann die Zinsen stiegen. "Zurzeit rechnet aber kein Mensch mit steigenden Zinsen." Deshalb sieht Binsfeld keine Blase platzen, erwartet aber durchaus Preisrückgänge.

Und deutsche Immobilienfonds? Sie erleben gerade das Gegenteil ihrer britischen Pendants. Seit Monaten legen Investoren so viel Geld in diese Anlageklasse an wie seit Jahren nicht. Denn Jahr für Jahr schütten offene Immobilienfonds etwa drei Prozent Rendite an ihre Anleger aus, während etwa Bundesanleihen oder Festgeld kaum noch Zinsen bringen. Deshalb geben erste Anbieter in Deutschland zurzeit keine neuen Anteilsscheine ihrer Immobilienfonds aus. Das viele Geld muss zunächst angelegt werden. Zwar haben deutsche Immobilienfonds fünf bis 25 Prozent ihres Geldes in britische Immobilien investiert, wie die Berliner Rating-Agentur Scope berichtet. Doch noch gebe es kein Grund zur Panik. Denn wenn der Londoner Markt schwächele, könnten die Preise in deutschen Städten weiter steigen. Denn sie versprechen gerade jene Sicherheit, die Investoren so dringend suchen.

© SZ vom 07.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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