Großbritannien:Das Summen des Premiers, neu interpretiert

Lesezeit: 2 min

Ein Politiker summt dummes Zeug und die Welt antwortet mit Schönheit, Glanz und Eleganz. Eine Auswahl.

Von Alex Rühle

David Cameron tritt ab, und plötzlich ist Schönheit in der Welt: Nachdem der britische Premier seinen Rücktritt verkündet hatte, summte er im Abgang vier Töne vor sich hin, nicht daran denkend, dass er noch verkabelt ist.

Einige erinnerte das Gebrummel an Winnie the Pooh, das aber ist sehr unfair, denn Pooh ist vielleicht ein Bär von geringem Verstand, aber er ist kein Politiker, der sich summend summarum denkt, och, Brexit, klar, hab' ich Mist gebaut, aber ab sofort ist das nicht mehr mein Problem.

Cameron hatte das Mikrofon kaum abgenommen, da analysierte der Internetsender ClassicFM das kleine Thema schon musiktheoretisch: flotter ¾-Takt, ambivalente Harmonik, Quartsprung nach oben, aber wie zur Hölle ist das abschließende dis harmonietheoretisch zu erklären? Eine Fusion aus Beethovenfanfare und Wagnerscher Dissonanz, dazu noch, beim Betreten von 10 Downing Street, im Moment, da er von der weltpolitischen Bühne abtritt, das perkussiv gesprochene "Right", der Mann kennt sich mit zeitgenössischen Kompositionstechniken aus!

Am Ende lud der Sender seine Hörer und Leser ein, selbst Interpretationsideen einzuschicken. Was aber dann geschah, ist ein musikalisches Wunder. Ein Politiker summt dummes Zeug, die Welt antwortet mit Schönheit, Glanz und Eleganz: Der britische Komponist Thomas Hewitt schickte eine Fantasie für Cello und Klavier, flächig und dräuend, könnte man ohne Weiteres als Filmmusik verwenden, vielleicht für ein tragisches Fantasy-Epos, in dem eine stolze Insel in Zeitlupe im Meer versinkt:

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Ein anderer Komponist dehnte die paar Töne in ein dramatisch orchestrales Lamento, halb Tschaikowsky, halb Hans Zimmer, Camerons "Independence Day" in Cinemascope:

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Graeme Coleman verwandelte die vier Töne in einen Dance Remix inklusive choreographiertem Abgang:

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Die venezolanische Improvisationskünstlerin Gabriela Montero war dann die erste, die das kontrapunktische Potenzial in dem eigentlich ja eher kargen Thema entdeckte und das Ganze in ein zweistimmig dahineilendes Fugato verwandelte:

Das war der Auftakt für eine Art Barockfestspiele: Erst schickte der Organist Sam Bardsley eine polyphon brausende Orgelfuge, an der Bach seine helle Freude gehabt hätte.

Noch schöner ist nur die a-Capella-Version dieses Kammerchors, ebenfalls in Form einer Fuge, der Camerons "Right" am schönsten einsetzt und am Ende so dramatisch abbricht wie Bachs "Kunst der Fuge", mitten in der Bewegung:

Classic FM hat dann selbst nochmal nachgelegt und all die möglichen musikgeschichtlichen Bezüge und Anklänge herausgearbeitet, Tannhäuser-Ouvertüre, Schönbergs "Pelleas und Melisande" und Schostakowitschs fünfte Symphonie.

Viel wichtiger aber: Ein Land, das aus solch bleichem Material derartige Werke zaubert, muss doch auch den Brexit am Ende in irgendetwas Sinnvolles verwandeln können.

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