Regisseurin Maren Ade:Extrem ausgeruht

'Toni Erdmann' Photocall - The 69th Annual Cannes Film Festival

Maren Ade in Cannes: "Ach so, jetzt also kein Preis."

(Foto: Getty Images)

Seit Maren Ade beim Filmfestival in Cannes die Kritik mit "Toni Erdmann" begeisterte, wird sie als Hoffnungsträgerin des deutschen Kinos gefeiert. Was ist ihr Erfolgsgeheimnis?

Porträt von Paul Katzenberger

Es gibt kaum eine Situation, die peinlicher ist: Da lästert man über jemanden bei oberflächlichen Bekannten so richtig ab, und dann stellt sich heraus, dass der Beschimpfte die ganze Zeit zugehört hat. Eine beschämende Szene. Zum Lachen und gleichzeitig so, dass der Zuschauer mit dem Lästermaul am liebsten gleich mit im Erdboden versinken würde. Der Film "Toni Erdmann" der Berliner Regisseurin Maren Ade ist voll von solchen Auftritten und das knapp drei Stunden lang.

Filme, die so lange dauern, werden vom Zuschauer oft als Zumutung empfunden. Doch nicht, wenn er so hineingezogen wird in eine Handlung, wie in diese. Ohne jeden Zweifel hat Ade aus ihrem dritten Spielfilm das Optimum herausgeholt.

Als die Tragikomödie im Mai in Cannes Premiere feierte, war das internationale Presseecho überwältigend positiv: Ein Film, der originell und wirklich witzig ist - aber auch gehaltvoll - das hatten die Beobachter einer deutschen Filmemacherin nicht zugetraut.

Und auch die Länge von 162 Minuten passt. Ade war natürlich klar, dass ein kürzeres Opus gefälliger sein könnte: "Ich habe versucht, den Film zu kürzen", sagt sie. "Doch im Schnitt habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, dass man mit den zwei Hauptprotagonisten mitgeht, dass wirklich jeder Schritt, den die machen, nachvollziehbar bleibt. Als ich Szenen herausgenommen habe, fühlte sich der Film länger an als mit den Szenen."

"Im Moment zu bleiben" - das ist der Anspruch, den die Regisseurin an ihre Schauspieler stellt und dem diese nur gerecht werden können, wenn sie das Proben vom Theater her kennen. Bei "Toni Erdmann" sind dies Sandra Hüller und Peter Simonischek, beides hochdekorierte Topstars des deutschsprachigen Theaters, die ihre Szenen für Ade viel öfter wiederholen mussten, als sie das von anderen Regisseuren her kennen. Denn die 39-Jährige experimentiert gerne mit der ganzen Bandbreite von Stimmungen und Gefühlen: Mal lässt sie eine Szene verhalten spielen, dann hitzig - es eilt ihr der Ruf voraus, dass sie Einstellungen bis zu 40-mal wiederholen lässt.

Trotz und Hingebung

Da Ade ihre Filme mit der eigenen Firma "Komplizen Film" produziert, kann sie sich die Zeit nehmen, die sie braucht. An Toni Erdmann arbeitete sie sechs Jahre.

Der Lohn für die extrem ausgeruhte Arbeitsweise: Der Zuschauer bleibt sprichwörtlich im Film. Zu diesem sich Hineinversetzen gehört dann etwa auch, dass das Publikum Hüller und Simonischek bei Minute 140 sehr lange dabei zuschaut, wie sie bei einer rumänischen Familie Ostereier anmalen. Doch dieses kleine Detail sei notwendig gewesen, sagt Ade, denn ohne es wäre eine Schlüsselszene des Films nicht mehr glaubwürdig gewesen, in der Hüller einen umwerfenden Auftritt hat, bei dem sie "Greatest Love of All" von Whitney Houston in einer unvergleichlichen Mischung aus Trotz und Hingebung zum Besten gibt.

Film 'Toni Erdmann'

Sandra Hüller gibt vor bemalten Ostereiern Whitney Houston: Szene aus dem Film "Toni Erdmann".

(Foto: dpa)

Es ist dieser ausdauernde, gründliche und genaue Blick, mit dem Ade Konstellationen und Milieus durchschaut, der ihre Filme so besonders macht. Denn ohne diese Akribie würde ihren Werken der Realitätsbezug fehlen, den ihr die Zuschauer sofort abnehmen. Und ohne diese Authentizität wären ihre Filme nicht so unvorstellbar komisch, wie es jetzt Toni Erdmann wieder ist.

Ein großes Drama

Der Film erzählt die Geschichte eines Alt-Achtundsechziger-Vaters, der unter der Distanz zu seiner ehrgeizigen Karrierefrau-Tochter leidet, und mit seiner notorischen Neigung, den Clown zu spielen, ihr wieder näher kommen will. Beide finden in Bukarest zueinander - ihrem Einsatzort als Unternehmensberaterin - nicht ohne vorherige Verwicklungen, die oft urkomisch, in Wahrheit aber auch ein großes Drama sind.

Den Reiz, den der Film entwickelt, verdankt er neben der großartigen schauspielerischen Leistung Hüllers und Simonischeks vor allem der präzisen Darstellung der bizarren Welt der Unternehmensberater. Ade belässt es nicht bei der üblichen Beschreibung dieses Metiers, nach der Devise: sind ja ohnehin nur erfolgshungrige amoralische Egomanen. Sie nimmt dieses Gewerbe ernst - bevor die Dreharbeiten 2014 begannen, recherchierte sie vier Jahre lang immer wieder bei Unternehmensberatungen.

"Ich war überrascht, welche Wege mein Gehirn geht"

Regisseurin Maren Ade: Essenzielles Scherzgebiss: Peter Simonischek als Toni Erdmann.

Essenzielles Scherzgebiss: Peter Simonischek als Toni Erdmann.

(Foto: Komplizen Film, NFP)

Wie schon in ihren vorigen Werken "Der Wald vor lauter Bäumen" (2003) und "Alle anderen" (2009) beruht das Grundkonzept des Films weniger auf der Handlung als auf den Charakteren. Sie habe am Anfang immer nur die Figuren im Kopf: Еrst daraus entwickele sich drumherum eine Geschichte, die sie zum Drehbuch ausbaue.

Der Titel "Toni Erdmann" ihres neuen Filmes zitiert zwei persönliche Bezugspunkte der Filmemacherin: "Toni" ist eine Referenz an den verstorbenen US-Komiker Andy Kaufman, der in seinen Shows hinter einer Maske die Kunstfigur "Tony Clifton" verkörperte, die das Publikum anpöbelte und die Kaufman dazu diente, richtig Dampf abzulassen. "Das hat wie die Faust aufs Auge gepasst - daher auch der Vorname für unseren Erdmann", sagt Ade.

Auf eben jenen "Erdmann" stieß die Regisseurin wiederum in ihrer Geburts- und Heimatstadt Karlsruhe: "Das habe ich in irgendeiner Regionalwerbung bei meinen Eltern gesehen. Da war ich überrascht, welche Wege mein Gehirn geht."

Auf das Scherzgebiss aus schiefen Zähnen, das in "Toni Erdmann" eine zentrale Rolle spielt, stieß Ade hingegen in München, wo sie an der Filmhochschule Regie und Produktion studierte. Sie war dort bei einer Premiere der US-Komödie "Austin Powers", in der die Hauptfigur ein solches Pferdegebiss trägt. Die Prothesen wurden bei der Vorführung als PR-Gag verteilt, und sie dachte sich sofort, das ihr Vater diese am besten gebrauchen könne. So war es dann auch - der Altvordere machte von dem Ding reichlich Gebrauch. "Mein Vater neigte schon immer zu Scherzen. Er hat da ein großes Repertoire", sagt Ade. Der väterliche Spaßvogel im Film, der seine Tochter in groteske Situationen hineinzieht, hat für die Regisseurin also durchaus eine autobiografische Komponente.

Aber auch in der Unternehmensberater-Tochter erkennt sich Ade wieder. Wie schon bei "Alle anderen" habe sie sich zwar bemüht, die Männerfiguren gleich wie die Frauenfiguren zu behandeln , sagt sie.

Das Ringen darum, im Leben anzukommen

Doch dann merke sie immer wieder, dass es sie zu den Frauenfiguren mehr hinziehe, in dem Fall zur Tochter Ines: "Natürlich haben wir unterschiedliche Jobs, trotzdem gibt es auch Überschneidungen. Beim Filmemachen muss man Dinge oft auch hoch hängen und übernimmt eine Führungsrolle."

Anders als Ines auf ihrem seelenlosen Karrieretrip geht es Ade allerdings vor allem um die Nöte ihrer eigenen Generation. Ihre zwei vorigen Filme handeln stets von Menschen in den Dreißigern, die darum ringen, im Leben anzukommen - eine Aufgabe, die sich auch die Business-Tochter in "Toni Erdmann" stellt: "Ines spielt in ihrem Job stark eine Rolle, die sie oft ins Private hineinzieht, die ihr immer wieder verrutscht", sagt Ade.

Zwischen Privatem und Beruflichen kann bei Maren Ade hingegen gar nicht viel verrutschen. Sie ist mit Ulrich Köhler verheiratet, der ebenfalls Film-Regisseur ist. Wie sie wird auch er gelegentlich der Berliner Schule zugerechnet, und wie sie ist Köhler bereits mit einer Einladung in den Wettbewerb der Berlinale ausgestattet: Mit "Alle anderen" gewann Ade 2009 den Großen Preis der Jury, während Köhler 2011 mit einem silbernen Regie-Bären ausgezeichnet wurde.

"Eine Jury darf sich gegen die Kritikermeinung stellen"

In Cannes versagte die Jury Ade die "Goldene Palme", was der Einschätzung so gut wie aller Beobachter entgegenstand. Während der Furor in den Medien über diese als ungerecht empfundene Entscheidung groß war, nahm sie selbst das Votum der Juroren mit Gelassenheit hin: "Eine Jury darf sich gegen die Kritikermeinung stellen", sagt sie. Enttäuschung habe sie keine empfunden, ihr Gefühl beschreibt sie mehr als Überraschung: "Ach so, jetzt also kein Preis." Denn sie habe mit dem Werk so viel tolle Sachen erlebt, wie noch nie zuvor: "Dass sich "Toni Erdmann" zum Beispiel so gut verkauft hat. Das ist bei einem solchen Typ Film ja immer das Problem. Ich dachte der spaltet, und jetzt hat er in vielen Ländern einen Verleih gefunden. Das allein hat mich schon sehr zufrieden gemacht."

Man merkt Maren Ade an, dass sie sich von dem Hype, der in Cannes um ihre Person gemacht wurde, nicht verrückt machen lässt. Die Voraussetzungen dafür, dass in ein paar Jahren wieder ein toller, ausdauernd produzierter, Film von ihr vorliegt, stehen also gut.

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