Sozialausgaben:Was die Flüchtlinge kosten

Minister Gröhe und die Kassen streiten über die Belastung der Beitragszahler durch Asylbewerber. Keiner sagt die ganze Wahrheit.

Von Guido Bohsem, Berlin

Die große Frage, über die das politische Berlin derzeit redet, über die aber kaum jemand aufrichtig spricht, ist im Grunde ganz einfach. Sie lautet: Werden die Flüchtlinge die Sozialausgaben im Wahljahr 2017 in die Höhe treiben? Für die Gesundheitspolitik hat diese Frage eine besondere Brisanz. Denn hier steigen die Beiträge ohnehin kräftig, ganz ohne Flüchtlingsproblematik, verursacht alleine durch die Ausgabenpolitik der großen Koalition. So rechnet der Spitzenverband der Krankenkassen (GKV) damit, dass der durchschnittliche Zusatzbeitrag um 0,3 Punkte auf 1,4 Prozent zunehmen wird, was insgesamt zu einer Belastung von 16 Prozent des Bruttolohns führen könnte.

Das sind keine angenehmen Nachrichten kurz vor der heißen Phase des Wahlkampfs, weder für die Union noch für die SPD. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat deshalb bereits angekündigt, 1,5 Milliarden Euro aus den Reserven des Gesundheitsfonds an die Kassen ausschütten zu wollen. Davon sollen etwa eine Milliarde Euro dazu dienen, die zusätzlichen Kosten für die Flüchtlinge abzufedern.

Bei den Kassen hingegen will man von einer Kostenbelastung durch die Flüchtlinge nichts wissen. "Wir gehen bisher davon aus, dass es dadurch keine zusätzliche Belastung für die Kassen gibt", sagte die Chefin des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer. Die Belastung durch die Beitragszahler entstünde, weil die Kassen nach Willen der Koalition mehr Geld für die Krankenhäuser, für die Gesundheitsvorsorge und für andere Dinge ausgeben müssten, die von der Koalition beschlossen wurden.

Wie kommt ein derart offenkundiger Widerspruch zustande? Nun, beide Seiten, weder die Politik noch die Krankenkassen sagen die volle Wahrheit. Doch um das zu verstehen, muss man ein wenig tiefer in die Feinheiten des Prozesses steigen.

Klar ist, dass die Zahl der anerkannten Flüchtlinge steigt, die dann zu Empfängern von Arbeitslosengeld II werden. Erste vorsichtige Schätzungen gehen für das kommende Jahr von insgesamt 800 000 Menschen aus. Da aber Hartz-IV-Empfänger auch Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung werden, steigen die Kosten der Kassen an. Gröhe hat also recht mit seiner Aussage. Oder?

Die Kassen argumentieren anders. Aus ihrer Sicht entsteht das Problem der zusätzlichen Kosten vor allem deshalb, weil der Bund schon jetzt zu wenig Geld an die Kassen zahlt, um die Gesundheitskosten von Hartz-IV-Empfängern abzudecken. Nach Pfeiffers Worten fehlten den Kassen dadurch alleine in diesem Jahr rund 2,3 Milliarden Euro. Die Flüchtlinge verursachen das Problem also nicht, sie verschärfen es allenfalls. Zumal, wie Pfeiffer unterstrich, die Mehrzahl von ihnen jung ist und nicht mehr Kosten verursacht, als die entsprechende Altersgruppe in der Krankenversicherung, definitiv aber weniger als der Schnitt der Hartz-IV-Empfänger.

Während Pfeiffer deshalb verlangt, dass das fehlende Geld für die Hartz-IV-Versicherten vom Bund, also aus Steuermitteln, kommen muss, wählt Gröhe den anderen Weg. Er will das Geld aus den Reserven des Gesundheitsfonds nehmen, die sich aus Beitragsgeldern zusammensetzen. Gröhes Begründung dafür ist einfach. Wegen der Negativzinsen der Europäischen Zentralbank habe der Fonds im vergangenen Jahr 1,8 Millionen Euro an die Banken zahlen müssen. Da lohne es sich nicht, so viel Geld auf der hohen Kante liegen zu haben. Die Kassen klagen, dass damit Beitragsgelder verwendet werden, um Aufgaben des Bundes zu finanzieren. Das Geld aus dem Fonds wollen sie freilich auch, aber nicht, um das Minus bei den Hartz-IV-Empfängern zu decken.

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