Live-Streaming:Facebook - ein Nachrichtensender mit 1,5 Milliarden Korrespondenten

Live-Streaming: Ein Facebook-Live-Video soll den Tod von Philando Castile zeigen.

Ein Facebook-Live-Video soll den Tod von Philando Castile zeigen.

(Foto: AFP)

Verdrängt das Live-Streaming auf Facebook also gerade CNN und Co.? Und wenn es so kommt: Was darf man dort zeigen - und was nicht?

Von Michael Moorstedt

Orlando, Dallas, Nizza, Istanbul. 2016 scheint das Jahr des permanenten Ausnahmezustands zu werden. Doch es sind nicht die großen Sender, auf denen die Menschen die ersten Bilder aus der Krisenregion zu sehen bekommen. Sondern Facebook, seitdem es im Frühjahr eine Live-Video-Funktion freigeschaltet hat. Wenn es irgendwo knallt, haben sich, ehe die Sender reagieren können, Millionen Menschen bereits zugeschaltet.

"Facebook befindet sich in einer Machtposition", sagt Jonathan Zittrain vom Berkman Center for Internet and Society der Harvard University. Es werde der Punkt kommen, an dem jemand das Netzwerk auffordere, einen Live-Feed abzuschalten, um zu verhindern, dass er viral werden könnte.

Vielleicht ist es zu dieser Situation sogar schon gekommen. Als nämlich im Juni ein schwarzer Autofahrer in Minneapolis bei einer Routinekontrolle von einem Polizisten erschossen wurde. Das Video, in dem die Welt Philando Castile live beim Sterben zusehen konnte, war kurz - nachdem es seine Lebensgefährtin live übertragen hatte - für mehrere Stunden nicht zugänglich. Und dann wieder doch. War das schon Zensur? Bei Facebook jedenfalls schob man den Vorfall auf einen "technischen Fehler".

Wandelt sich Facebook zu einem globalen Nachrichtensender?

Was kann, darf, soll Facebook zeigen? Muss man die Menschen vor grausamen Szenen schützen? Und wie soll das gehen bei der Masse an Inhalten? Wie üblich soll es eine künstliche Intelligenz richten. Sie würde dann entscheiden, welche Bilder akzeptabel sind - und welche nicht.

Mindestens so interessant wie die Frage nach der moralischen Verantwortung von Facebook ist aber jene, ob sich das soziale Netzwerk gerade zu einem globalen Nachrichtensender wandelt. So wie die Kabel-News-Kanäle im ersten Golfkrieg zu Massenmedien wurden, könnten die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verwerfungen den Internet-Livestreams zum Durchbruch verhelfen.

Zuckerberg scheint "besessen" vom Live-Streaming

Als ein CNN-Team 1991 mit den grünlichen Bildern der Nachtsichtkameras die Einschläge der Marschflugkörper in Bagdad live kommentierte, sorgte das für eine zuvor nie gekannte Unmittelbarkeit des Weltgeschehens. Ähnlich scheint es jetzt bei Facebook zu sein. Immerhin, so der frühere CNN-Chef Jonathan Klein, habe das Netzwerk anderthalb Milliarden potenzielle Korrespondenten.

Konzernchef Zuckerberg soll geradezu "besessen" vom Live-Streaming sein. Kein Wunder, dank dieser Technologie floriert sein Unternehmen. Live-Videos bekommen im Schnitt zehnmal mehr Kommentare als Textbeiträge. Mehr als 100 Millionen Stunden Bewegtbild werden auf Facebook täglich allein auf mobilen Endgeräten konsumiert, acht Mal so viel wie im letzten Jahr. Facebook-Vizepräsidentin Nicola Mendelsohn sagte kürzlich, sie gehe davon aus, dass das Netzwerk in fünf Jahren vollständig auf Videos basieren werde.

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