Seelsorge:Das Leben nach dem Tod

Teresa Enke

Vorstandsvorsitzende der Robert-Enke-Stiftung: Teresa Enke, die Ehefrau des 2009 verstorbenen Nationaltorwarts.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Teresa Enke, die Witwe des Fußballers Robert Enke, erzählt auf einem Kongress von ihrer schwierigen Trauerarbeit.

Von Varinia Bernau, Aachen

Der Suizid ihres Mannes liegt keine 24 Stunden zurück, als Teresa Enke diese Worte in die Fernsehkameras spricht: "Wir dachten, mit Liebe geht das. Aber man schafft es doch nicht immer." Damals, im November 2009, hält das ganze Land den Atem an. Kaum einer konnte sich vorstellen, dass Robert Enke, Torhüter der deutschen Nationalmannschaft, ein Sympathieträger und Kämpfer, sich das Leben nimmt. Und wohl auch nicht, dass seine Witwe so offen über seine Depressionen spricht.

Jetzt sitzt Teresa Enke, 37, auf der Bühne einer Kongresshalle in Aachen. Die Stuhlreihen sind dicht gefüllt. Inderinnen im Sari sitzen neben älteren Herren, die schon Birkenstocksandalen trugen, als diese noch nicht hip waren. Einige haben den Moment, der das Leben von Teresa Enke und vielleicht auch den gesellschaftlichen Umgang mit Depressionen verändert hat, noch in Erinnerung. Andere haben den Namen des Fußballspielers noch nie gehört. Die Frage aber, auf die Teresa Enke nun Antworten geben soll, bewegt sie alle: Wie umgehen mit dem Verlust eines geliebten Menschen?

Teresa Enke sagt, sie sei damals einer Intuition gefolgt. "Ich wollte über die Krankheit sprechen, was mein Mann leider nicht konnte." Drei Jahre zuvor war bereits ihre ältere Tochter an einem Herzfehler gestorben. In der ersten Trauer hat sie sich gemeinsam mit ihrem Mann damit getröstet, dass es irgendwann auch wieder den Moment geben werde, in dem sie sich über ganz banale Dinge aufregt. Inzwischen ertappt sie sich dabei, wie sie sich ärgert, wenn es in einem Laden eine Jeans, die ihr gefällt, nicht in ihrer Größe gibt. "Es wird wieder besser. Wir Menschen sind Gott sei Dank so gestrickt."

Teresa Enke ist der Einladung der evangelischen Telefonseelsorge gefolgt, die haupt- und ehrenamtliche Helfer aus mehr als 30 Ländern zum Austausch in Aachen zusammengebracht hat. Allein im vergangenen Jahr haben sie in Deutschland bei etwa 56 000 Gesprächen Menschen mit Suizidgedanken beigestanden. Die meisten dieser Anrufer leben allein, etwa die Hälfte von ihnen leiden unter einer psychischen Erkrankung.

"Es ist die Einsamkeit, die einen in den Tod treibt", hatte wenige Augenblicke vor Enkes Auftritt noch Viktor Staudt auf der Bühne gesagt. Der Niederländer hat sich vor 17 Jahren vor einen Zug geworfen, aber überlebt. Er hat beide Beine verloren und trotzdem zur Fröhlichkeit zurückgefunden. Heute spricht er darüber auf Kongressen und in Talkshows. Wenn die Einsamkeit einen also in den Tod treibt, dann muss, wer am Leben bleiben will, wohl raus in die Gesellschaft.

Auch deshalb hat Teresa Enke kurz nach dem Tod ihres Mann eine Stiftung gegründet. Diese will Depressionen und Kinderherzkrankheiten erforschen, behandeln und darüber aufklären. Die Arbeit in der Stiftung sei eine Art der Trauerbewältigung, sagt sie.

Die ersten drei Jahre nach dem Suizid ihres Mannes, erinnert sich Teresa Enke, seien extrem hart gewesen. Es gab die Momente, in denen sie sich Vorwürfe gemacht hat. Es gab die Momente der Wut. Darauf, dass ihr Mann sie und die Tochter einfach zurückgelassen hat. "Aber er war krank. Wir können uns nur schwer diese schwarzen Gedanken vorstellen." Sie selbst möchte das auch nicht. Im vergangenen Herbst gab es in Hannover, wo Robert Enke zuletzt spielte, eine Ausstellung. Diese erinnerte an Stationen seiner Karriere, aber klärte auch über seine Krankheit auf. Es gab dort einen Workshop, um sich in einen depressiven Menschen hineinzudenken. Sie habe sich nicht getraut, daran teilzunehmen.

"Vielleicht wäre ich auch daran zerbrochen, wenn ich meine Tochter nicht gehabt hätte", sagt Teresa Enke. Das Leben ging einfach weiter, weil es weitergehen musste. Nach dem ersten öffentlichen Auftritt kurz nach dem Tod ihres Mannes zog sie sich zurück, dann wagte sie sich wieder behutsam raus.

Teresa Enke mag es nicht, wenn andere zu ihr sagen: "Das, was du da machst, das könnte ich nicht." Weil das so klinge, als sei sie ein Eisblock. Sie glaubt auch nicht, dass sie ein besonders mutiger Mensch sei. Als Kind habe sie sich ständig irgendwelche Krankheiten eingebildet. Als ihr früher jemand ein Mikro vors Gesicht hielt, hat nichts sagen wollen oder sich verhaspelt. "Durch dieses Schicksal bin ich gewachsen."

Auftritte kosten sie noch immer Kraft, sagt Teresa Enke. Aber sie sei dankbar, ihre Geschichte erzählen zu dürfen. Dass so viele Menschen Anteil genommen haben, habe sie als ein Privileg empfunden. Und trotzdem habe auch sie gemerkt, wie manche tuscheln: Na, irgendetwas wird da gewiss nicht in Ordnung gewesen sein; die Ehe könne ja keine glückliche gewesen sein. Solche Sachen. Depressionen seien noch nicht als Krankheit anerkannt wie etwa Krebs. "Da muss sich noch einiges in den Köpfen bewegen."

Es sei schmerzlich, dass die Liebe es nicht geschafft hat, Robert Enke zu retten. "Trotzdem weiß ich: Durch die Liebe habe ich die Kraft, für meinen Mann, für seine Anerkennung zu kämpfen", sagt Teresa Enke. Dann hält sie kurz inne, lächelt und ergänzt fast sieben Jahre nach ihren Worten vor der Fernsehkamera: "Doch, mit Liebe schafft man es."

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