Attentat:Nie war Ansbach gespaltener als an diesem Montag

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Mitten in der Altstadt von Ansbach sprengte sich der Attentäter in die Luft. (Foto: AP)

Nach dem Selbstmordanschlag eines Flüchtlings schwankt die Stimmung in der Stadt zwischen Wut und Trotz.

Von Katja Auer, Stefan Mayr und Uwe Ritzer, Ansbach

Der Tatort: Mit einem gelben Kreidestift ist der Umriss eines Menschen auf den Boden gemalt worden. Biertische sind übersät mit Glassplittern. Ein Schaufenster liegt in Scherben. Blutflecken. Cocktailgläser stehen am Rand des Parkplatzes, der am Vorabend noch ein Konzertareal war. 2000 Musikfans feierten das große Finale des dreitägigen Festivals "Ansbach Open". Nun wird die Bühne am Montagmorgen abgebaut, ganz normal.

Wären da nicht die vielen Polizisten in der Stadt und das Flatterband, das vor dem kleinen gelben Torbogen gespannt ist. Dort war ein Eingang zum Festivalplatz. Auch Mohammad D. wollte zum Festival, und es hätte wohl viele Tote gegeben, wenn er es geschafft hätte.

Doch er hatte keine Eintrittskarte, das Sicherheitspersonal ließ ihn nicht durch und verhinderte so ein Massaker. Stattdessen zündete der Mann die Bombe in seinem Rucksack ein paar Meter entfernt an einem kleinen Biergarten. 15 Menschen wurden verletzt, der Attentäter starb.

Das Pfarrer-Ehepaar Thomas Meister und Susanne Marquardt wohnt direkt neben dem Tatort. Der Pfarrgarten der evangelischen Kirche von St. Gumbertus grenzt an die sogenannte Reitbahn, wo die Ansbach Open stattfanden. "Wir haben mit ein paar Freunden gegrillt und ein bisschen mitgehört", erzählt Meister. Das Konzert des Sängers Gregor Meyle lief gerade. Es war ein schöner, lauer Abend mitten in der Altstadt. Bis zum großen Knall.

"Ich habe Sorge, dass die Stimmung jetzt kippt"

Der Pfarrer ist sofort rausgegangen, um zu schauen, was da passiert ist. Er sah Gäste, die sich in "Eugens Weinstube" geflüchtet hatten. Und er sah Verletzte, um die sich Rettungskräfte kümmerten. Einige von ihnen saßen auf der Kirchentreppe. Der Pfarrer ließ sie in den Behringershof ein. "Der ist besser ausgeleuchtet und etwas abgeschirmt", sagt Meister.

Die Kinder des Pfarrer-Ehepaares, die 18-jährige Tochter und die Söhne im Alter von zehn und 15, erlebten alles mit. Sie sahen die blutenden Menschen. Die vier Schwerverletzten wurden direkt in die Krankenhäuser gefahren. Die anderen elf Verletzten wurden ärztlich und psychologisch betreut. Alle Beteiligten blieben ruhig, erzählt Thomas Meister. "Die Hilfskräfte waren sehr professionell", sagt er. "Ich habe versucht, meine Gefühle auszublenden, und erst einmal funktioniert." Er sprach mit all jenen Verletzten, die reden wollten.

"Ich bin megastolz auf meine Tochter", sagt der Pfarrer. Als Sechstklässlerin hatte sie den Amoklauf am Ansbacher Gymnasium von 2009 miterlebt. Sie kannte den 18-Jährigen, der neun Schülerinnen und eine Lehrerin mit einem Beil und Messern attackierte. Sie war dabei, als das Gebäude evakuiert wurde. Und jetzt musste sie wieder eine Bluttat miterleben. "Sie war sehr taff und hat gut geschlafen", sagt der Vater. Wie es ihm selbst am Tag danach geht? "Ich denke nicht so sehr über mich nach, sondern darüber, wie es in Ansbach weitergeht", sagt der Pfarrer. Er hält inne, blickt zu seiner Frau und sagt: "Ja, ich habe Sorge, dass die Stimmung jetzt kippt."

"Die Engländer wundern sich nur über Hippie-Deutschland"

Bislang sei Ansbach geradezu vorbildlich mit seinen 644 Flüchtlingen umgegangen, es gebe etliche Projekte und Gruppen, die sich ehrenamtlich kümmern. Und jetzt? Meister zitiert die Bibel: "Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe." Er hoffe und bete wirklich, dass die Leute besonnen reagierten.

Und wie ist die Stimmung auf den Straßen der Bezirkshauptstadt? Vor der Kirche St. Gumbertus plätschern zwei Brunnen, einer hat goldene Figuren und ist mit vielen bunten Blumen geschmückt. Mittelfränkische Idylle. Doch auf der anderen Straßenseite redet sich eine Dame in Rage. Sie hat eine Leberkässemmel in der Papiertüte, sie ist dermaßen erregt, dass beim Sprechen die Semmelbrösel fliegen. "Ich würde die alle rausschmeißen!", ruft sie, "Moslems passen nicht zu uns, und wir passen nicht zu denen."

Ein älterer Herr kommt mit dem Rad vorbei und beschimpft Journalisten: "Ihr habt alle einen Maulkorb, ihr seid die wahren Verbrecher." Ein dritter Passant spricht betont sachlich, aber auch seine Worte sind voller Ärger: "Es wird noch mehr passieren, wir schaffen das schon", sagt er in Anspielung an das berühmte Merkel-Zitat. "Unsere Regierung schadet unserem Land", sagt er, "die Engländer wundern sich nur über Hippie-Deutschland."

Nie war Ansbach zerrissener als an diesem Montag: Hier die Immer-noch-Idylle des 40 000-Einwohnerstädtchens. Menschen sitzen in der Nähe des Tatorts in Straßencafés, als wäre nichts geschehen. Und doch gibt es nicht wenige Leute, die zumindest an diesem Tag eben nicht zur Tagesordnung übergehen wollen. Weil die Gewalt ihr Herz getroffen hat. Eine Woche nach Würzburg, drei Tage nach München, einen Tag nach Ansbach wird vielen Menschen klar: Der Terror kann dich überall treffen. "Nach München habe ich noch gesagt, gut, dass wir in keiner Großstadt studieren", sagt ein Student vor dem abgesperrten Tatort zu seinem Kumpel. "Und jetzt das."

Gleich am Morgen nehmen Ermittler die Unterkunft in Augenschein, in der Mohammad A. seit zwei Jahren lebte. Das "Hotel Christl" an der Richard-Wagner-Straße ist eine in die Jahre gekommene Unterkunft, die seit 2010 nicht mehr als Hotel geführt wird. Am Ende der gelben Schrift auf dem Dach fehlt das L. Seit zwei Jahren leben Asylbewerber in dem Gebäude, 27 Namen stehen auf dem Briefkasten - auch der von Mohammad D.

Mitbewohner beschreiben ihn als ganz normalen Typen. "Wir konnten alle nicht glauben, dass er das getan haben soll", sagt einer von ihnen am Morgen nach der Tat. Gut gekannt habe er ihn nicht; nur ein paar Mal habe man sich in der Küche getroffen. Muslim sei der Mann schon gewesen, sagt der Mitbewohner, "aber ich denke nicht, dass er religiös war". Er habe die Haare schulterlang getragen, manchmal zu einem Pferdeschwanz gebunden.

"Wir wussten in dem Moment nicht: Einzeltäter oder mehrere?"

Als am Abend zuvor das Konzert von Gregor Meyle, der Schlusspunkt der Ansbach Open, abgebrochen wurde, gingen die Besucher zunächst von falschen Voraussetzungen aus. Nach dem lauten Knall hieß es zunächst, es habe eine Gasexplosion gegeben. Kulturreferentin Ute Schlieker ging gegen 22.15 Uhr auf die Bühne und sagte dem Tourneeleiter, das Konzert müsse schnellstmöglich abgebrochen werden. Gregor Meyle verstand offenbar sofort die Situation. Er spielte und sang sein Lied zu Ende, um dann "ruhig und höflich" (so ein Zeuge) das Publikum über eine notwendige Unterbrechung des Konzertes zu informieren.

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Meyle bat die Menschen, sie mögen doch den Platz durch die seitlichen Eingänge verlassen. Der Künstler habe umsichtig reagiert, sagen Augenzeugen. Das habe dazu beigetragen, dass es zu keiner Panik kam. Und das, obwohl Feuerwehr-Einsatzleiter Horst Settler zu diesem Zeitpunkt schon von einem Sprengsatz ausging. "Wir wussten in dem Moment nicht: Einzeltäter oder mehrere?", sagt der Stadtbrandrat. "Das war ein Grund für uns, sofort abzubrechen."

Am Nachmittag treten die parteilose Oberbürgermeisterin Carda Seidel und die Ansbacher Kulturreferentin Ute Schlieker vor die Presse. Sie haben von Sonntag auf Montag jeweils nur drei Stunden geschlafen, "und das nicht gut", wie Seidel sagt. Mit glasigen Augen betreten sie den alten, holzgetäfelten Sitzungssaal im Stadthaus. Mehr als 20 Kamerateams und noch viel mehr Journalisten sind da. Aus Großbritannien, Frankreich, Russland, aus Asien und aus den USA, die US Army hat ein bedeutenden Standort in der Stadt. Die Luft ist extrem stickig, die Hitze lässt die Gesichter der Frauen glänzen.

Vor allem Seidels Aussagen machen klar, dass Ansbach knapp einer noch größeren Katastrophe entgangen ist. "Wir hatten verstärkte Sicherheitsmaßnahmen ergriffen nach München", erzählt die OB. Deshalb seien die Ordnungskräfte für das Ansbach Open verstärkt worden. Eingangskontrolle und Taschenkontrollen wurden verschärft. Hätte der Täter ein Ticket für das Konzert besessen, wäre er an die nächste Kontrollschleuse vorgestoßen, dort, wo die Taschen und Rucksäcke kontrolliert wurden. "Das konnte er beobachten", sagt Seidel, "das hat wohl eine abschreckende Wirkung gehabt."

Am Montag um 16.30 Uhr können die Anwohner in ihre Häuser zurück. Einer von ihnen hat einen Auge verbunden und ein dickes Pflaster am Hals. Er sagt: "Ich habe noch Glück gehabt. Mein Kumpel hat gesehen, wie der Attentäter den Rucksack auf den Boden stellte und streichelte und dann . . ." Er bricht an dieser Stelle ab.

© SZ vom 26.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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