Nachlass:Kunst sucht Liebhaber

Marquartstein: NACHLASS des Künstlers FRITZ HARNEST

Enkel Stephan Harnest mit den Bildern seines Großvaters. Das umfangreiche Werk wurde bisher noch nicht systematisch erforscht.

(Foto: Johannes Simon)

In Übersee hortet der Enkel des Malers Friedrich Heinrich Harnest einen ungehobenen Schatz von 300 Ölbildern und 1000 Grafiken. Obwohl sie kunsthistorisch bedeutsam sind, scheint sich niemand für ihren Erhalt zu interessieren

Von Gianna Niewel, Übersee

Die Bilder sind aufgestellt, nicht ausgestellt, das ist ein Unterschied. Stephan Harnest tastet die Wand entlang, tastet im Dunkeln, findet den Schalter nicht. Durch die Tür fällt etwas Licht herein, am Ende des Raumes sind mehrere Leinwände zu erkennen. Wie viele Leinwände hier stehen? Achselzucken. Einhundert, vielleicht mehr. Auch im Gang lehnen Bilder an der Wand, Öl auf Leinwand, 1,80 Meter mal 1,45 Meter, sie zeigen das Frühwerk des Künstlers Fritz Harnest, dann aufgelöste Konturen und viel Farbe, sein Spätwerk war abstrakt. Dass die Bilder seines Großvaters überhaupt hier in diesen unverputzten Büroräumen stehen, genauer: gelagert werden, erzählt schon viel darüber, wieso Stephan Harnest in Sorge ist.

Harnest ist ein hagerer Mann, 49 Jahre alt, er hat mal Architektur studiert. Jetzt stapeln sich vor ihm Ordner und Briefe, fragile Türme aus Zeichnungen und Grafiken, die Preise dazu in Reichsmark, dann der Reisepass von Friedrich Heinrich Harvest, Nummer 8388008555. Harnest zeigt die filigranen Holzschnitte seines Großvaters, den alle nur Fritz nannten. Dann dort, sein Mitgliedsausweis aus der Münchner Künstlervereinigung "Neue Gruppe". Jedes Mal, wenn Harnest wieder aufsteht, umherläuft und etwas Neues hervorkramt, ist da ein Enkel, der an seinen Großvater erinnern möchte. Er stemmt sich gegen das Vergessen und auch gegen die Zeit, die die Dokumente einstaubt. "Wer soll nach mir noch seine Geschichte erzählen?", sagt er. Dann schlägt er die Mappe "Fritz Harnest zum 80. Geburtstag" auf, darin gute Wünsche von Emil Schumacher, Hann Trier, Gyorgy Stefula.

Fritz Harnest wird 1905 in München geboren. Er studiert Malerei an der Akademie der Bildenden Künste, schon mit 16, normal sind Schüler erst ab 18 Jahren zugelassen. In München lernt er von Karl Casper. Er fährt zu Studienzwecken nach Paris und Berlin, trifft Emil Nolde. "Kunst ist Kampf und Ringen", schreibt ihm der in einem von zahlreichen Briefen. "Wir freuen uns so, dass Sie arbeiten und es wissen, eine wie ernste Sache die Kunst ist und was sie alles von demjenigen verlangt, der ihr dienend ist." Harnest verlässt München während der Nazizeit, er arbeitet im Gefangenenlager in Moosburg als Dolmetscher, nach dem Krieg zieht er an den Chiemsee. Immer zeichnet er. 1999 stirbt Fritz Harnest.

Seinen zwei Enkeln hinterlässt er etwa 300 Ölbilder und tausend Grafiken, 75 Jahre Künstlerleben. Stephan Harnest kann sich noch erinnern, wie all die Leinwände damals das Haus der Familie in Übersee verstellten, wie er und sein Bruder sich dahinter versteckt haben, wie sie mit Bleistift auf die Rückseite kritzelten, unbemerkt. Stephan Harnest hat in den vergangenen Jahren die Werke gesichtet und entstaubt, manche haben die Jahre vergilbt, andere waren schlecht gelagert. Er hat sie sortiert und ab und an hat er die intakten Bilder, ausgestellt. 2005 im Staatlichen Hochbauamt in Rosenheim, 2006 in Bad Aibling, 2007 in der Galerie im alten Rathaus von Prien am Chiemsee.

Es hätte so weiter gehen können, jedes Jahr eine Ausstellung in der Region. Die Besucher hätten Fragen gestellt zu den Bildern und manchmal hätten sie eins gekauft. Aber erst erkrankte Stephan Harnest. Dann starb sein Bruder bei einem Unfall. Jetzt widmet er seine Zeit lieber der Familie, gleichzeitig ist er allein mit dem Erbe seines Großvaters. Und er braucht Hilfe. Er wünscht sich jemanden, der die Geschichte "vom Fritz" aufarbeitet, der sieht, was er sieht. Sicher, sagt er, jeder Künstler behaupte von sich, er sei etwas besonderes. Aber objektiv betrachtet, ist da bei seinem Großvater nicht doch etwas dran? Der Briefwechsel mit Emil Nolde etwa, das seien schließlich historische Dokumente. Harnest hat bereits einige kunsthistorische Institute deutschlandweit angeschrieben, sie hätten auch alle geantwortet: Interessanter Mann, interessantes Thema, leider gerade keine Kapazitäten frei. Jetzt sucht er einen Studenten, der vielleicht seine Masterarbeit zu Leben und Werk von Fritz Harnest schreiben will, zu entarteter Kunst, wie sie die Nazis nannten. Er sucht eine Galerie, die die Bilder aus dem Dunkel der Büroräume holt. Jemand müsste sie abfotografieren, eine Homepage bauen, die Werke müssten sichtbar werden; allein, ihm fehlt die Kraft. Natürlich könne er hoffen, dass sich jemand meldet und gezielt nach einem Bild fragt. Allerdings sind die Chancen gering, sein Großvater hat es trotz viel Lob von Kunsthistorikern nie geschafft, sich auf dem Markt zu behaupten. Das letzte Mal jedenfalls, dass jemand wegen ihm angerufen hat? Kurze Pause. "Ich denke, das war vor sechs Monaten."

Die Preise für die Werke sind verhandelbar. Für die Collagen auf Karton, für die Ölbilder, für den Holzschnitt "Heitere Formen". Ihm sei wichtig, dass sie verkauft werden, dass sie in Wohnzimmern hängen oder Treppenhäusern. "Nur so", sagt er, "leben sie weiter". Und darum sei es gut, wenn sich jemand den Bildern annehme. Harnest sagt das nicht fordernd. Er bittet.

Wer sich für die Werke oder die Arbeit damit interessiert, kann gern eine Mail schreiben an: werke-fritz-harnest@t-online.de

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