Prozess:Waffenhandel im Darknet unter dem Pseudonym "Dosensuppe"

Prozess: Der Screenshot zeigt einen illegalen Waffen- und Munitions-Shop im Darknet, dem verborgenen Teil des Internets. Die Plattform wurde 2015 vom Netz genommen.

Der Screenshot zeigt einen illegalen Waffen- und Munitions-Shop im Darknet, dem verborgenen Teil des Internets. Die Plattform wurde 2015 vom Netz genommen.

(Foto: Alamy/mauritius images)

Ein Sportschütze verkaufte Waffen, nun steht er vor Gericht. Eine Verbindung zum Münchner Amokschützen gibt es nicht - aber er hatte andere gefährliche Kunden.

Von Christoph Dorner, Heidelberg

Der Angeklagte hat das letzte Wort, so will es die deutsche Strafprozessordnung. Und Christian L. sagt an diesem Dienstagvormittag im Sitzungssaal 6 des Heidelberger Landgerichts zumindest einen dürren Satz zum Amoklauf in München. Zweieinhalb Stunden hatte der 32-jährige Sportschütze zuvor starr auf seinen Block geblickt und akribisch mitgeschrieben, was ihm die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer zur Last legt: Den gewerbsmäßigen Handel mit Kriegswaffen, vollautomatischen und halbautomatischen Schusswaffen. Mindestens 65 Waffen soll L. im Darknet, dem anonymen Teil des Netzes, der oft für kriminelle Aktivitäten genutzt wird, verkauft haben.

Nun aber spricht der weitgehend geständige Angeklagte, ein stämmiger, aber unscheinbarer Mann mit Doppelkinn, grauer Designer-Brille und grauem T-Shirt. Die paar Sätze fallen ihm schwer, er verhaspelt sich. In der Untersuchungshaft und besonders nach den Ereignissen von München sei ihm klar geworden, "wie gefährlich und verantwortungslos" sein Verhalten gewesen sei. "Ich werde mich den Rest meines Lebens von Waffen distanzieren."

Kalaschnikows, Pistolen, eine Pumpgun

Vor seiner Festnahme im Oktober 2015 aber soll L. mindestens 20 Monate lang von Heidelberg aus einen regen Handel mit Waffen betrieben haben. Unter dem Pseudonym "Dosensuppe" soll er in einem Forum im Darknet damit geprahlt haben, der "größte Waffen- und Munitionsverkäufer Europas" zu sein. Nach Erkenntnissen der Ermittler galt er neben "Max Mustermann" als einer der wenigen deutschen Händler im Darknet, die nahezu jede Waffe besorgen konnten. Der Mann hinter dem Decknamen, ein Mechatronik-Student aus Unterfranken, war im Frühjahr zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt worden.

Kalaschnikows, Skorpion-Maschinenpistolen, eine Pumpgun, Pistolen von Walther und Beretta - alles kein Problem für Christian L. Selbst eine MP5-Maschinenpistole von Heckler&Koch wollte der Mann, der nach einer Optiker-Ausbildung beruflich nie Fuß fassen konnte, für 4500 Euro beschaffen können, um sich seine Sammelleidenschaft finanzieren zu können. Eine Verkaufsliste aus dem Darknet, die ihm zugeordnet wurde, weist den Zustand der Waffen, die Verfügbarkeitsdauer und Extras wie Schalldämpfer aus: "Zu allen Bestellungen gibt es 50 Patronen dazu." Das Bundeskriminalamt (BKA) beobachtet den Verkauf von Waffen und Drogen mit diesem Service-Charakter im Internet bereits seit Längerem mit Sorge.

Ausgangspunkt der Ermittlungen war ein Fund am Flughafen Köln/Bonn im November 2014, als der Zoll Waffenteile in einem Paket aus den USA entdeckte, das an den Angeklagten adressiert war. Drei Pistolenläufe waren in einem Musik-Receiver versteckt. Im Darknet war der User "Dosensuppe" den Strafverfolgungsbehörden schon viel länger aufgefallen. Mit Verschlüsselungssoftware und einem polnischen Bankkonto, über das er die Verkäufe abwickelte, war er lange unentdeckt geblieben. Vor einer Hausdurchsuchung im Februar 2015 wollte er noch groß ins Geschäft mit Pistolen der österreichischen Firma Glock einsteigen.

Im Darknet gab "Dosensuppe" an, im Rhythmus von 14 Tagen Glock-Modelle besorgen zu können, jene Waffe also, die David S. bei seinem Amoklauf am vergangenen Freitag am Olympia-Einkaufszentrum in München benutzte. Der 18-jährige Schüler suchte offenbar seit Mai nach einer solchen Pistole mit 250 Schuss Munition und, wenn möglich, Ersatzmagazinen. Er sei bereit, zwischen 2300 und 2600 Euro zu bezahlen, schrieb der User "Maurächer" im Darknet. Nach Informationen des Spiegel soll sich dahinter David S. verborgen haben, der sich letztlich eine wieder funktionstüchtig gemachte Theater-Waffe aus der Slowakei besorgen konnte.

Keine Verbindung zum Amoktäter

Eine Verbindung zwischen dem Angeklagten und dem Münchner Amoktäter habe es zwar nie gegeben, betont die Staatsanwältin am Dienstag. Christian L. habe aber Menschen wie David S. einen einfachen Zugang zu illegalen Waffen ermöglicht. Da ist zum Beispiel der 18-jährige Lehrling aus Baden-Württemberg, der mit einer Pumpgun auf Verkehrsschilder schoss. Da ist ein 21-jähriger Engländer, der mit der zugestellten Maschinenpistole einen Mord plante. Da ist ein Tschetschene, der mit der bestellten Kalaschnikow vor einer islamistischen Fahne posierte. Da ist ein Rechtsradikaler, der im Darknet als "Sturmsoldat" auftrat und bereits einen Bombenanschlag verübt hat.

Außerdem soll L. Munition an einen Mann in Frankreich geschickt haben, der bei einer Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit den Anschlägen von Paris einen Polizisten erschossen hat. Er habe das "Risiko verdrängt", sagte der Angeklagte am Montag. Vor seiner Festnahme hatte er Waffen an die Adresse seiner Großmutter schicken lassen, einen Colt versteckte er bei seiner Mutter.

Das Urteil gegen Christian L. wird an diesem Donnerstag gesprochen. Der Angeklagte bestritt bis zuletzt, sich hinter "Dosensuppe" zu verbergen. Er sei nur der Gehilfe eines Waffenhändlers gewesen, der unter diesem Namen im Darknet auftrat, habe ab und an Pakete für ihn verschickt. Die Staatsanwaltschaft beantragte für Christian L. eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren.

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