Augsteins Welt:Mitbestimmung!

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Die Mitbestimmung in deutschen Unternehmen ist eine gute Sache. Jetzt versucht man sie auszuhebeln.

Von Franziska Augstein

Leute, die ein paar Aktien kaufen, weil sie Aktionärsversammlungen aufmischen wollen, haben die verschiedensten Motive, lautere und lächerliche. Im Fall des Jungunternehmers Konrad Erzberger, der einige Aktien des großen Tourismusunternehmens Tui erwarb, scheint die Sache ziemlich klar: Er will die deutsche Mitbestimmung aushebeln. Das Gleiche hatte er schon bei Hornbachs Baumarkt und dem Konzern Baywa versucht. Nun sieht er Oberwasser: Ein Berliner Gericht hat sein Ersuchen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Der Jungunternehmer ist bedeutungslos, interessant ist, dass der EuGH in Luxemburg das Ansinnen angenommen hat.

Die deutsche Mitbestimmung in Unternehmen sieht vor, dass ab einer Stärke von 2000 Beschäftigten die Hälfte des Aufsichtsrats von Seiten der Arbeitnehmer bestückt sein muss. Leute, die für Tochtergesellschaften im Ausland arbeiten, dürfen aber nicht mitwählen und sich nicht wählen lassen. Da hakt die Klage ein. Die deutsche Mitbestimmung widerspreche dem europäischen Recht, das die freie Wahl des Arbeitsplatzes vorsieht: Wenn ein Mitarbeiter aus Deutschland ins Ausland versetzt werde, gehe er seines passiven und aktiven Wahlrechts zum Aufsichtsrat seiner Firma verlustig. Das sei nicht in Ordnung (siehe Artikel 45 AEUV). Außerdem würden dadurch Arbeitnehmer wegen ihrer Staatsbürgerschaft diskriminiert, weil in den ausländischen Tochtergesellschaften deutscher Konzerne zumeist keine Deutschen beschäftigt seien, die Ausländer seien von vorneherein ausgeschlossen, also: diskriminiert. Auch dagegen stehe, sagt die Klage, europäisches Recht (Artikel 18 AEUV).

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel. (Foto: ipad)

Diese zwei Argumente sind nicht neu. Etliche juristische Gutachten wurden dazu schon verfasst. Sie erbringen auf komplizierte Weise, was der Normalverstand eingibt: Wer im Ausland arbeitet, unterliegt den dort gültigen Gesetzen. Wo das deutsche Mitbestimmungsgesetz nicht gilt, kann es nicht eingeklagt werden. Kaum jemand wird bei einer - meist mit einer Beförderung verbundenen - Versetzung ins Ausland den Verlust seines passiven und aktiven Wahlrechts in einen deutschen Aufsichtsrat als Schaden wahrnehmen. Umgekehrt könnten, wenn wir das Argument spaßeshalber ernst nehmen, zum Beispiel Franzosen sich beschweren, dass sie, nach Deutschland versetzt, dort nicht mehr außergewerkschaftliche Streiks anberaumen dürfen, weil das - anders als in Frankreich - in Deutschland verboten ist. Ähnliches gilt für die angebliche Diskriminierung: Wenn Beschäftigte deutscher Konzerne im Ausland nicht an den Wahlen zum Aufsichtsrat beteiligt werden, so liegt das nicht an ihrer Nationalität, sondern an den Gesetzen des Landes, in dem sie arbeiten.

Der EuGH hat nun das Ansinnen des Berliner Gerichts aber angenommen. Warum? Seit Jahren arbeitet der EuGH an der Vereinheitlichung des europäischen Rechts. Martin Höpner vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung ist dem nachgegangen und hat ermittelt, dass der EuGH auf diesem Weg liberale Wirtschaftspolitik zufällig unterstützt. Anders gesagt: Der kleinste gemeinsame Nenner in der europäischen Wirtschaftspolitik ist dem EuGH recht. Und weil in keinem Staat so viel Mitbestimmung herrscht wie in Deutschland, passt die nun möglicherweise nicht mehr ins Gefüge. Das Urteil des EuGH wird für 2017 erwartet.

Und die deutschen Gewerkschaften, was machen die? Der DGB hat erst mal seine Hans-Böckler-Stiftung mit Gutachten beauftragt, die fast niemand liest. Der DGB fühlt sich in der Defensive - warum auch immer, aber das hemmt.

Sollte der Europäische Gerichtshof die Mitbestimmung in Deutschland zunichte machen, dann gäbe es wirklich noch einen Grund weniger, für die EU zu sein.

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel.

© SZ vom 29.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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