"Züri wie neu":Zürich hat seine eigene "Nörgler-App"

"Züri wie neu": Ärger in Zürich: "Wieder Möbel von ausziehenden Nachbarn zum Abholen auf der Straße."

Ärger in Zürich: "Wieder Möbel von ausziehenden Nachbarn zum Abholen auf der Straße."

(Foto: Stadt Zürich)

Missstände online melden - das ist für manche Zürcher in den vergangenen Jahren zum Hobby geworden. Nun können sie sich auch per Smartphone-App beschweren.

Von Charlotte Theile, Zürich

Ein weißes Schränkchen, angesagter Shabby-Chic, steht an einer ruhigen Straße unweit des Zürichsees. Man kann es mitnehmen, das wäre gratis. Was man auch tun kann: Das Möbel fotografieren, das Bild hochladen, einen GPS-Tag setzen, anonym das Ungeheuerliche beschreiben: "Wieder Möbel von ausziehenden Nachbarn zum Abholen auf der Straße."

Die App, auf der dieser Eintrag am Dienstag veröffentlicht wurde, heißt "Züri wie neu". Ein Angebot der Stadt Zürich, mit dem Bürger ermutigt werden sollen, auf Missstände hinzuweisen. Matthias Stürmer, der an der Universität Bern im Bereich Digitale Nachhaltigkeit forscht, findet das großartig. Er hält die App für ein "effizientes Werkzeug, mit dem Verwaltung und Bürger in Kontakt treten können". Zwar gibt es Anwendungen wie diese seit einigen Jahren, auch in Konstanz, Brandenburg und Arnsberg können sich die Bürger per Smartphone bei ihrer Stadt beschweren. "Ich glaube trotzdem, sie sind noch viel zu wenig bekannt und verbreitet", sagt Stürmer. In Bern etwa gebe es die als "Nörgler-App" bekannt gewordene Anwendung noch nicht. Seine Forschungsstelle hat die User von "Züri wie neu" vor Kurzem zu ihrer Zufriedenheit befragt, die Auswertung läuft, schon jetzt steht für Stürmer fest: "Die App hat viele Fans."

Missstände online melden - das ist für manche Zürcher in den vergangenen Jahren zu einer Art Hobby geworden. "Ein Nutzer meldet etwa zweimal die Woche einen Schaden", berichtet Stürmer. Er komme inzwischen auf mehr als 300 Einträge. Die meisten Nutzer hätten aber bisher erst ein- bis dreimal eine Meldung gemacht.

Mehr 8000 Meldungen sind eingegangen

Online lassen sich die Meldungen einsehen, mehr als 8000 sind seit der Einführung im Jahr 2013 auf "Züri wie neu" eingegangen. Der Blick in diese Listen ist auch ein Blick ins Herz einer Stadt. Während in Zürich kleine Graffiti an Mülleimern, nicht erfolgte Heckenrückschnitte in Parkplatznähe, fehlender Mörtel zwischen Pflastersteinen ("Gefährlich für Velos") gemeldet werden, sind die Sorgen in Neuruppin, Brandenburg, etwas andere: tiefe Schlaglöcher, Baufirmen, die ihren Schutt wochenlang auf der Straße liegen lassen, Gullis, die kein Wasser mehr aufnehmen können. Dazu Meldungen wie diese: "Gegenüber der Poststr. 29 ist ein altes Auto abgestellt, der Besitzer soll verstorben sein, der Auspuff hängt runter wurde wenigstens zwei Monate schon nicht bewegt." Neuruppin forscht nach: Der Pkw habe gültigen TÜV und eine Anwohner-Parkkarte. Ob der Besitzer verstorben sei, dürfe man aus "datenschutzrechtlichen Gründen" nicht sagen.

Sowieso, Datenschutz. Die meisten Nutzer von "Züri wie neu" und anderen Plattformen melden ihre Beobachtungen anonym. Wer seinen Klarnamen verwendet, protzt gerne noch mit akademischen Titeln: "Dipl. Ing. MSc. ETH". Wer gemeldet wird, kann hingegen regelrecht bloßgestellt werden: wenn der Müll vor der Haustür überquillt oder ein Anwohner meldet, dass am Höfliweg 20/22 ein Motorrad steht, Kennzeichen ZH 86020, aus dem Öl und Benzin auslaufen.

"Stasi ist nicht der richtige Begriff"

Der Berner Forscher Matthias Stürmer betont, alle Meldungen würden von der Stadt Zürich gelesen, bevor sie veröffentlicht würden. Dass Bürger zu Spionen erzogen würden? "Glaube ich nicht." Und überhaupt: Es gehe um Vergehen wie Littering, nicht um politische Überzeugungen. "Stasi oder Überwachungsstaat sind daher nicht die richtigen Begriffe." Das Feedback, das die App bekomme, zeige vielmehr, dass sich so das Wohlbefinden der Bürger steigern lasse, auch die "Behördenakzeptanz": Wenn schnell und kompetent auf die Anfragen reagiert werde, fühlten sich die Bürger ermutigt, ernst genommen.

"Züri wie neu" verspricht: Jede Anfrage werde innerhalb von fünf Arbeitstagen abschließend beantwortet. Soweit auf der App nachvollziehbar, wird das eingehalten, oft geht es sogar schneller. "Die Wasserversorgung hat das Problem behoben", heißt es dann, oder: "Wir haben Ihr Anliegen an die Stadtpolizei weitergeleitet". Bitter wird es, wenn die Stadt mitteilen muss: "Die Überprüfung hat ergeben, dass es sich hier um Privatgrund handelt." Hin und wieder scheint die Stadt Zürich dem Eifer ihrer Bürger aber auch Grenzen setzen zu müssen: "Allgemeine Verschönerungs- und Verbesserungsvorschläge" seien nicht willkommen, heißt es im FAQ.

Wie es nun mit dem Schränkchen weitergegangen ist? Am Mittwochmorgen bekam der Nutzer eine lebenskluge Antwort: "ERZ Entsorgung + Recycling Zürich holt den gemeldeten Abfall bis spätestens am Mittwoch, 3. August ab." Wer das Möbelstück retten will, kann sich also noch etwas Zeit lassen.

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