Boazn-Geschichten:Stilvoll am Tresen

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Nach der Oper auf ein Bier in die nächste Boazn, geht denn das? Im kurzen Schwarzen, mein Freund im Anzug. Wir gehen trotzdem. Gegenseitiges Mustern und Unbehagen

Von Esther Diestelmann

Ich im kurzen Schwarzen, mein Freund Christian im Anzug, passende Krawatte. Wir kommen aus der Oper und haben Durst. Ein einfaches Bier soll es sein - nach all der Hochkultur umringt von Champagner-Trinkern. Obwohl wir so aussehen, als gehörten wir zur Horsd'œuvre-verschlingenden Meute, sehnen wir uns nach Bier und Currywurst. Eigentlich gehen wir am liebsten in die nächste Boazn. Aber so? Werden wir da überhaupt bedient? Oder hält man uns für verrückte Yuppies, die sich im Laden verirrt haben?

Wir gehen trotzdem. Christian hält mir die Tür auf. Drei Gesichter am Tresen drehen sich zu uns. Die Münder geöffnet, die Blicke erstarrt. Die Männer mustern uns. Unbehagen auf beiden Seiten macht sich breit. Bei uns, weil unsere Befürchtungen wahr zu werden scheinen. Bei den drei Männern, weil sie kurzerhand an sich herunterschauen und dabei auf fleckige T-Shirts und Jogginghosen blicken. Optisch prallen Welten aufeinander. Christian sagt: "Servus. Habts es zwoa Hoibe für uns?" Der Mann hinterm Tresen entspannt sich. Der Dialekt vom Mann im Anzug scheint ihn zu überraschen. "Freili", sagt der Mann mit tiefer Stirn, Pferdeschwanz und Iron-Maiden-Shirt. "Wo kimts es zwoa her?", fragt er. "Aus der Oper", sage ich. "Da war i scho lang nimma", sagt er. "Aber a Krawatten steht mir scho a", sagt er. Auf den Satz hat Christian gewartet. Schon in der Oper hat er begonnen, seine Krawatte zu lockern. Mit einem Handgriff zieht er sie sich vom Hals und reicht sie dem Mann hinterm Tresen. Als hätte der jahrelang nichts anderes gemacht, bindet er sich ohne Spiegel einen doppelten Windsor-Knoten. Streift die Krawatte mit durchgestrecktem Rücken über sein Iron-Maidon Shirt. Er stellt uns zwei Schnäpse hin. Auf meine Boazn mit Stil, sagt er.

© SZ vom 30.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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