Olympia:Durchbricht Julian Reus die Zehn-Sekunden-Grenze?

Leichtathletik-DM in Kassel

10,01 Sekunden, deutscher Rekord. Schon wieder: Julian Reus.

(Foto: dpa)

Vor dem Abflug nach Rio unterbietet der Sprinter seinen eigenen Rekord über 100 Meter. Um Historisches zu schaffen, fehlen ihm nur noch Hunderstel.

Von Anna Dreher

Am Freitag in Mannheim hat Julian Reus mal wieder nichts wahrgenommen. Er ist zur Maschine geworden und hat nicht den kleinsten Fehler gemacht, einhundert Meter lang. Danach war er wieder Mensch, schaute auf die Zeitanzeige und jubelte. 10,01 Sekunden, deutscher Rekord. Schon wieder.

Deutlicher konnte Reus seine gute Form vor den Olympischen Spielen in Rio eigentlich nicht zeigen. Doch im Anschluss an seinen Lauf kamen trotzdem wieder diese Fragen auf, nach der magischen Zeit von unter zehn Sekunden, der Reus wieder einmal einen Schritt näher gekommen ist. "Ich habe nicht mitgezählt, wie oft ich gefragt wurde. Ich bin das Thema nur noch leid", sagte der 28-jährige Sportsoldat bei der Olympia-Verabschiedung der Sprinter und Springer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Loswerden wird ihn das Thema wohl trotzdem nicht.

"Ich sehe jetzt nicht den Rekord, sondern meine Entwicklung"

Reus könnte der erste deutsche Sprinter werden, der die Zehn-Sekunden-Marke durchbricht und wäre damit erst der zweite Weiße nach dem Franzosen Christophe Lemaitre (9,92), dem das gelingt. Der Sprint-Bundestrainer Roland Stein traut es ihm jedenfalls zu: "Er ist extrem fokussiert, ein harter Arbeiter. Er hat seinen Plan für das ganze Jahr und den zieht er durch. In diesem Bereich läuft man nicht mal 'ne Zehntel schneller - da geht es scheibchenweise", sagt Stein. "Vielleicht ist es ganz gut, dass es noch nicht vor Olympia passiert ist."

Reus ist zur richtigen Zeit richtig gut geworden. Nach seinem deutschen Rekord (10,03) im Juni beim Meeting in Zeulenroda hatte er bei den Europameisterschaften Anfang Juli in Amsterdam als Medaillenhoffnung noch die Endläufe über 100 und 200 Meter verpasst. Bei leichtem Gegenwind war Reus im 100-Meter-Halbfinale nur 10,22 Sekunden gelaufen. Das bei seinen zweiten Olympischen Spielen zu verhindern, ist dem in Erfurt lebenden Sprinter wichtiger als diese magische Zahl.

"Ich sehe jetzt nicht den Rekord, sondern meine Entwicklung. Ich war eigentlich immer in der Lage, um die 10,10 Sekunden zu laufen", sagte Reus, der im August über die 100 Meter im Einzel und in der Staffel sowie über die 200 Meter startet. "Das ist es, was für mich zählt - auch in Richtung Rio: dass ich sehr stabil laufen kann. Die Zeit und die Konstanz sind für mich wichtig, nicht so sehr der einzelne Rekord."

Angetrieben wird der schnellste Deutsche dennoch von dem Ziel, die beste Leistung für einen perfekten Lauf abzurufen - also im Idealfall unter zehn Sekunden zu bleiben. Er trainiert dutzende Stunden in der Woche, seit er mit 18 Jahren nach seiner Zeit auf einem Sportinternat in Erfurt, Wettkämpfen und Lehrgängen beschloss, Profi zu werden. Reus betreibt viel Aufwand für wenige Hundertstelsekunden und für die anschließende Genugtuung, die er in dieser Form nirgendwo anders erleben kann als auf der Tartanbahn. Er weiß ja, wofür: "Wenn ich abends auf der Couch liege, sage ich mir: Geil, du hast dich gequält, das wird sich auszahlen."

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