Internet-Zensur:Wie Google das Werk eines Schriftstellers einfach zerstörte

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Dennis Coopers Blog ist weg.

(Foto: imago)

Das Unternehmen löschte das Blog des Punk-Autoren Dennis Cooper - wohl wegen zu viel Sex und Gewalt. So wird ein Konzern zum Kontrolleur großer Literatur.

Von Bernd Graff

Da erscheint nur noch diese Mitteilung von Google: "Das Blog wurde entfernt. Hast du hier deinen Blog erwartet? Lies dazu: 'Ich finde meinen Blog nicht. Woran liegt das?'" Tja, woran liegt das? Das fragte sich der hierzulande relativ unbekannte Dennis Cooper Mitte letzten Monats. Da erschien diese Mitteilung als das Einzige, was von seinem fast anderthalb Jahrzehnte betriebenen Blog übrig geblieben war.

Cooper, Jahrgang 1953, ein gebürtiger Kalifornier, ist eine schillernde Künstlerpersönlichkeit. Er gründete in der britischen Punkszene Mitte der Siebzigerjahre das Little Caesar Magazin, aus dem später der Verlag "Little Caesar Press" hervorging. Er gewann mit seinen Romanen Preise für schwule Literatur, arbeitet mit Musikern wie John Zorn, Peter Rehberg und Malern wie Pari Pittman zusammen. Vielleicht kennt man seine fünfteilige Romanreihe "George Miles".

Der österreichische Schriftsteller Clemens Setz hat über das Verschwinden von Coopers Blog in der taz berichtet. Er nennt Coopers Arbeiten "Meisterwerke". Im New Yorker hat Cooper nun dargelegt, wie er diesen verstörenden Moment erlebte: Er wurde ohne vorherige Benachrichtigung, die Google zweifelsfrei möglich gewesen wäre, aus einer laufenden Sitzung geworfen. Nachfragen bei Google wurden schlichtweg ignoriert. Dabei, wie er beteuert, habe er doch gar nichts Sexuelles gepostet.

Also woran liegt es? Wie immer liegt es natürlich daran, dass die Betreiber von "Blogger", der öffentlichen Plattform für Blogs, die zum Imperium des Internetgiganten Google gehört, das Blog abgeschaltet haben. Verschwinden und Verlust sind also keinem Versehen, Netzwerkzusammenbruch oder Festplattencrash geschuldet, sondern einer beabsichtigten Aktion: der gewollten Löschung.

So etwas geschieht, wenn der Betreiber es für angemessen hält. Oft sind es Internetnutzer, die Beschwerde führen und den Betreiber auf anstößige Inhalte eines Blogs hinweisen. Inzwischen unterhalten die Betreiber Inspektionseinheiten für die mehr oder weniger grobe Sichtung und gegebenenfalls Ausfilterung der bei ihnen publizierten Angebote.

Mail, Blog, Kunst - alles weg

Da Google ein amerikanisches Unternehmen ist, sind dort oft Stilllegung und endgültige Abschaltung das Mittel der Wahl, wenn man an Darstellungen sexueller Aktivität in Wort und Bild Anstoß nehmen kann oder könnte, während - das muss man dazu sagen - Hasskommentare und politischer Extremismus oft unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fallen und auf Sendung bleiben können.

Löschungen wegen Anstößigkeit gibt es oft, das ist inzwischen ein gängiger hygienischer Standard im Netz. In solch einem Fall reklamiert der Blogbetreiber sein Hausrecht, der Zensurvorwurf prallt an ihm ab. Ein kommerziell agierendes Unternehmen darf mit seinem Eigentum schließlich machen, was es will; es besteht keine Pflicht, ein Angebot aufrechtzuerhalten, und Rechenschaft für sein Tun und Lassen muss das Unternehmen auch nicht ablegen. Ein Recht darauf, dass ein Angebot später einmal geändert, fortgeführt oder überhaupt wiederhergestellt wird, besteht entsprechend ebenso wenig.

In dem aktuellen und für "Blogger" hochnotpeinlichen Fall hat der Betreiber aber ohne jede Vorwarnung nicht nur Blog und E-Mail-Account, sondern eben ein gewaltiges literarisches Werk vernichtet, das der Schriftsteller Dennis Cooper kontinuierlich aufgebaut hatte. Sein "DCs Blog" beinhaltete ungezählte Bilder, Animationen, Texte, Links, es war Labor und Museum zugleich für die noch junge Internetkunst wie -literatur und ihre neuen Narrative und Ausdrucksformen. Ja, auch für einige verstörende Posts zu Sex, Tod und Gewalt.

Im digitalen Nirwana

"DCs Blog" war kein aufgeräumter Schrebergarten, aber auch keine Porno-Plattform. Aber so ist Kunst, sonst wäre sie banaler Alltag. Und nun ist alles weg: E-Mail, Blog, Kunst.

Nun wandte sich der New Yorker in dieser Angelegenheit an Google und erfuhr, dass man sich nicht äußern wolle. Die New York Times hat sich ebenfalls eingeschaltet und sich bei Google erkundigt. Die Zeitung erfuhr wenigstens, dass man von dem Fall wisse. Doch "den spezifischen Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen" von Google werde man "aufgrund juristischer Überlegungen nicht weiter diskutieren". Was immer das heißen mag.

Cooper kann seine Arbeit nun nicht einmal mehr auf seinen persönlichen Rechner herunterladen, seine E-Mail-Kontakte und Korrespondenz bleiben perdu. Inzwischen hat sich die Autorenvereinigung "P.E.N. America" an Google gewandt, und es gibt eine Petition auf "Change.org", die sich mit dem dringenden Appell an die Google-Chefs richtet, Blog und E-Mail von Dennis Cooper wiederherzustellen oder ihm wenigstens Back-ups seiner Arbeit auszuhändigen. Je nachdem dürfte dies aber sogar für Google schwierig werden, wenn es die Daten tatsächlich gelöscht hat. Cooper muss sich darauf gefasst machen, dass sein Werk von Jahrzehnten im digitalen Nirwana aufgelöst wurde.

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