Politikum:Wie der Tod eines Jungen den Fremdenhass in Belgien offenbart

Theo Francken

Politiker wie er sollen dem Hass im Netz den Weg bereitet haben: Theo Francken, belgischer Staatssekretär und Politiker der nationalistischen N-VA.

(Foto: Virginia Mayo/AP)

Ein 15-jähriger Belgier mit marokkanischen Wurzeln stirbt beim Quad-Fahren - und im Netz entlädt sich die blanke Menschenfeindlichkeit. Politiker machen die flämischen Nationalisten mitverantwortlich.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Ramzi Mohammed Kaddouri war 15 Jahre alt, als er am vergangenen Samstag nach einem Unfall mit einem Quad in Marokko, der Heimat seiner Eltern, starb. Er hatte mehrere Tage im Koma gelegen. In seiner Heimatstadt Winterslag bei Genk in der belgischen Provinz Limburg galt er als freundlicher, talentierter Junge, der gut Fußball spielte und in einem Kinderhilfswerk aushalf. "Ramzi hatte das Herz am rechten Fleck", sagt Bürgermeister Wim Dries. "Er war ein engagierter Junge."

Die Zeitung Het Belang van Limburg meldete seinen Tod in dieser Woche unter der Überschrift: "Junger Flame stirbt beim Sturz mit einem Quad in Marokko". Die Reaktion in den sozialen Netzwerken war weniger Mitleid oder Bedauern als eine Welle von Hass und Rassismus. "Seit wann ist ein Ziegenficker ein Flame?", "Wieder einer weniger", "Der Junge geht mit gutem Beispiel voran", "Wahrscheinlich war das Quad in Flandern geklaut" - Hunderte solcher Kommentare tauchten im Netz auf, viele davon auf der Facebook-Seite der "Flämischen Verteidigungsliga".

Die 2013 gegründete rechtsextreme Gruppe kämpft gegen "Masseneinwanderung und die Islamisierung Flanderns" und zählt 23 000 Mitglieder. Die Seite ist inzwischen nicht mehr aufrufbar, das Zentrum für Chancengleichheit leitete eine Untersuchung ein, nachdem Anzeigen wegen Rassismus eingegangen waren.

"Wer ständig von Krieg und vom Kampf der Kulturen spricht, befördert so etwas"

Die Beschimpfungen haben eine intensive politische Debatte ausgelöst. Etliche Politiker und Kommentatoren warfen den flämischen Nationalisten von der Neu-Flämischen Allianz (N-VA) vor, solchen verbalen Ausfällen seit Jahren durch polarisierende Rhetorik den Boden bereitet zu haben. "Wer ständig von Krieg und vom Kampf der Kulturen spricht, befördert so etwas", sagte der Grünen-Politiker Kristof Calvo. Dass auch mehrere N-VA-Politiker die Attacken verurteilten - der für Asyl und Migration zuständige Staatssekretär Theo Francken schrieb auf Twitter, Menschen, die sich über den Tod eines Kindes freuten, seien krank -, sei nicht mehr als "Heuchelei", so Calvo. Das mache ihn wütend, schließlich erkläre die Partei "Fremdenfeindlichkeit und Rassismus schon seit geraumer Zeit zum Mainstream".

Die N-VA ist Belgiens stärkste Partei und Teil der in Brüssel regierenden Koalition. Ihr wichtigstes Ziel ist die Unabhängigkeit Flanderns, doch steht sie auch der Einwanderung kritisch gegenüber. Damit hat sie dem rechtsextremen Vlaams Belang viele Wähler abgenommen. Ihre Wortführer arbeiten gern mit populistischen Mitteln. Sie operieren meist am Rand des Vertretbaren, hin und wieder übertreten sie die Grenze, um zu provozieren.

So sagte der N-VA-Innenminister Jan Jambon nach den Anschlägen vom März wider besseres Wissen, ein "beträchtlicher Teil" der Brüsseler Muslime habe vor Freude in den Straßen getanzt. Staatssekretär Francken fragte nach dem "wirtschaftlichen Mehrwert" von marokkanischen oder kongolesischen Einwanderern. Ein N-VA-Amtsträger in der Stadt Aalst bezeichnete islamistische Terroristen als "Bartaffen", ein generell für Muslime verwendetes Schimpfwort. "On les aura - wir werden sie kriegen" sei ein besseres Motto, als "für den Weltfrieden zu knutschen", wie die Verfechter der "politischen Korrektheit" es forderten.

N-VA-Politiker wehren sich energisch

N-VA-Politiker wiesen die Vorwürfe empört zurück. "Ich bin kein Rassist und werde auch nie einer sein", sagte Francken, der eine restriktive Asylpolitik verantwortet. Wenn er so etwas höre, falle er vom Stuhl. "Ich setze mich nur für eine energische und humane Migrationspolitik ein." Seine Parteikollegin Zuhal Demir warf den Grünen vor, selbst zu polarisieren. Sie fühle sich beleidigt, wenn die N-VA in Verbindung mit den rassistischen Verwünschungen gebracht werde. Das Ziel der N-VA sei "kompliziert", sagt der Politologe Pascal Delwit: eine respektable demokratische Partei zu bleiben und gleichzeitig eine xenophobe Wählerschaft zu bedienen.

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