Todesstrafe:Todesstrafe ist ein Zeichen von Schwäche

Todesstrafe: Auf der Großkundgebung auf dem Veranstaltungsareal im Stadtviertel Yenikapı in Istanbul hatte Erdoğan am vergangenen Wochenende vor einem Millionenpublikum seine offene Haltung zur Wiedereinführung der Todesstrafe bekräftigt.

Auf der Großkundgebung auf dem Veranstaltungsareal im Stadtviertel Yenikapı in Istanbul hatte Erdoğan am vergangenen Wochenende vor einem Millionenpublikum seine offene Haltung zur Wiedereinführung der Todesstrafe bekräftigt.

(Foto: AFP)

Nicht einmal der türkische Präsident kann glauben, dass die Todesstrafe neue Putschisten abschreckt. Trotzdem möchte Erdoğan sie wieder einführen. Die EU muss ihre Position deutlich machen - ohne Überheblichkeit.

Kommentar von Matthias Drobinski

Auch wenn das den Kritikern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nicht gefällt: Die Todesstrafe und die Demokratie schließen sich so wenig aus wie die Todesstrafe und der Rechtsstaat. Die Vereinigten Staaten und Japan sind Demokratien und Rechtsstaaten, sie töten trotzdem Menschen im Namen des Rechts und des Volkes.

In Frankreich enthauptete die Guillotine 1977 den letzten Sträfling; in der Weimarer Republik wurden 184 Todesurteile vollstreckt. Bis 1998 stand die Todesstrafe in Bayerns Landesverfassung, in der hessischen steht sie noch heute. Seit 40 Jahren erst sind sich Europas Staaten einig, dass dem Kapitalverbrechen nicht die Kapitalstrafe folgen soll; Überheblichkeit rechtfertigt das nicht.

In den Territorialstaaten der frühen Neuzeit war die Todesstrafe für König und Fürst so wichtig wie Krone und Zepter: Sie war Zeichen der Herrschaft über das Land. Nur der Herrscher durfte Menschen töten. Der Gauner am Galgen war das erschreckende Zeichen des Gewaltmonopols, das aber insgesamt ein Land befriedete. Das Todesurteil war das Symbol der absoluten Herrschaft. In ihm leben bis heute der Rachegedanke und das reflexhafte Rechtsempfinden vieler Menschen angesichts der furchtbaren Tat: Rübe runter.

Todesstrafe dient vor allem der Diktatur

Man kann nun nüchtern fragen: Kann die Todesstrafe heute noch das Recht und die politische Stabilität sichern, wie einst der Galgen des Königs? Schaut man sich die Liste jener weltweit 56 Staaten an, die derzeit die Todesstrafe anwenden, bleibt als Fazit: Sie dient vor allem der Diktatur.

Sie hilft in China wie Iran, die Botschaft zu verbreiten: Mache, was dir gesagt wird, sonst bist du tot. Die Todesstrafe gibt es zudem in instabilen Staaten, wo sie gegen Separatisten oder Terroristen gerichtet ist - was oft die Minderheiten im Land trifft.

Den Zielen demokratischer Staaten dient der staatlich angeordnete Tod aber nicht. Es gibt, zum Beispiel in den USA, keinen Beleg, dass die Todesstrafe Morde verhindert - wer tötet, tut das nicht, weil er rational Kosten und Nutzen der Tat abwägt. Es dient auch in den Vereinigten Staaten immer weniger dem Rechtsempfinden, wenn, so makaber wie paradox, nach irgendwie humanen Hinrichtungsmethoden gesucht werden muss.

Und schließlich ist die Vorstellung überwunden, dass der Rechtsstaat wie einst das Gottesgnadentum seine Legitimation dadurch zeigt, dass er über Leben und Tod richtet und Fehlurteile als Kollateralschaden ansieht.

Todesstrafe garantiert Unfrieden in der Türkei

Es sind also Gründe jenseits der Rationalität, die auch Demokratien und Rechtsstaaten an der Todesstrafe festhalten lassen - oder die, wie in der Irgendwie-immer-noch-Demokratie Türkei, den Autokraten Erdoğan bewegen, über ihre Wiedereinführung nachzudenken.

Es ist in den USA das Erbe einer rauen Kolonistengesellschaft. Es ist in Japan die Vorstellung, dass die Gemeinschaft Herrin über den Einzelnen ist. Es sind, wie in der Türkei, Staaten, in denen Zusammenhalt und Zivilität fragil sind. Dort ist die Versuchung der Herrscher groß, über die Todesstrafe zu versuchen, das Gewaltmonopol zu halten, Sicherheit und Zivilität zu gewinnen.

Doch die angebliche Politik der Stärke ist ein Zeichen der tiefen Verunsicherung. Nicht einmal Erdoğan kann glauben, dass die Todesstrafe neue Putschisten abschrecken könnte. Auch in der Türkei garantiert sie den Unfrieden, sonst nichts.

Jemand mit diesem Staatsverständnis hätte nichts in der Europäischen Union zu suchen. Die Diskussion mit der Türkei muss da klar und scharf sein. Nur muss, wer sie von europäischer Seite führt, bedenken: Es ist nicht lange her, dass Europa ähnlich dachte. Und niemand weiß, ob in einem verunsicherten Europa die Debatte nicht wiederkehrt. Der menschliche Umgang auch mit dem verabscheuungswürdigsten Täter - er ist immer gefährdet.

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