Spurensuche:Wie der Tegernsee zur Krimi-Kulisse wird

Spurensuche: Die Bücher von Andreas Föhr heben sich von der Masse der Regionalkrimis ab.

Die Bücher von Andreas Föhr heben sich von der Masse der Regionalkrimis ab.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Bei einer Wanderung mit Autor Andreas Föhr wird klar, was in seinen Büchern echt ist - und wo er die Landschaft etwas verändern muss.

Von Antje Weber

Noch sieht hier alles friedlich aus. Es grünt sehr grün rund um den Wanderparkplatz Siebenhütten, die Sonne blinzelt durch die Wolken über den Bergen, das Flüsschen Weißach plätschert leise in Richtung Kreuth. Und auch Andreas Föhr, ein Schlaks mit Jeans und Käppi, der jetzt am Auto seine Wanderschuhe anzieht, scheint auf den ersten Blick ein freundlicher Mensch zu sein.

Andererseits: Weiß man's? Es ist dies schließlich eine Gegend, in der sich schon Ungeheuerliches zugetragen hat. Wenige hundert Meter aufwärts zum Beispiel, in Richtung Siebenhütten, hat sich einmal ein Maibaum von einem Helikopter gelöst und pfeilgerade durchs Dach eines Autos gerammt. Noch weiter oben war die Arzttochter Bianca tagelang in einer Hütte gefangen, bevor sie eine dramatische Flucht zu den Blaubergen wagte.

All dies steht im Krimi "Wolfsschlucht" (Knaur) von Andreas Föhr, der bei solchen Verbrechen rund um den Tegernsee seit Jahren erfolgreich das ungleiche Duo Clemens Wallner und Leonhardt Kreuthner ermitteln lässt. Und eines ist nach der Lektüre klar, schon vor dem Aufstieg zu einigen Schauplätzen: Dieser Autor hat, so seriös er auch wirken mag, eine beängstigende Fantasie.

Und er setzt sie drastisch ein. Zum Beispiel bei dieser Szene, die am sanft ausgewaschenen Bachbett eines Weißach-Nebenarmes spielt, wo Föhr sich gerade für eine erste Pause auf eine Bank gesetzt hat: Man stelle sich hier einen BMW vor, silbermetallic, gepfählt vom Maibaum; Kommissar Wallner und sein Team stehen ergriffen vor dieser seltsamen Skulptur, als sich plötzlich ein Ungetüm von Harvester-Traktor auf der Schotterpiste nähert.

Darin sitzt, wie könnte es anders sein, Polizist und zugleich Anarchist Kreuthner alias "Leichen-Leo", der als Urbayer auf den Maibaum scharf ist. Er rüttelt und schüttelt, bis die Greifarme den Stamm aus dem Wagen gezogen haben. Nun jedoch kommt ein VW-Bus angefahren, besetzt mit jungen Burschen, die den Maibaum ebenfalls gern besäßen. Kreuthner in seinem Harvester-Monster lässt sich nicht bremsen: Er drischt mit dem Baum wild auf den Wagen ein und fegt ihn dann vom Weg. "Hier irgendwo rutscht der Bus die Böschung runter", sagt Föhr, mit einer ungefähren Handbewegung. So ganz kann man das wüste Geschehen nicht mit der Landschaft in Einklang bringen: "Manchmal muss die Landschaft literarisch gefügig gemacht werden", sagt der Autor entschieden, und: "Ein paar Dinge sind immer authentisch, der Rest ist dazugedichtet."

Was konstruiert ist, und was nicht

Gab es deswegen schon Klagen von ortskundigen Einheimischen? "Nein, komischerweise noch nie", sagt Föhr. Vielleicht liegt es daran, dass er sich gut überlegt, wann er sich dichterische Freiheit gönnt. Die Ermittlungsarbeit sei "relativ realistisch beschrieben", hat ihm der Chef der Kripo Miesbach bestätigt, den er bei jedem Buch befragt.

Und wenn Föhr zum Beispiel einen Kiosk nennt, bei dem neben "Coffee to go" auf der Tafel "auch zum Mitnehmen" steht, dann weiß er: Den gibt es bestimmt so ähnlich. Beim Bräustüberl Tegernsee dagegen, das jeder kennt, muss die Beschreibung stimmen. Oder bei der Papierfabrik Louisental in Gmund, die Föhr selbst bestens kennt: "Meine Mutter hat dort ihr halbes Leben gearbeitet, ich auch als Schüler und Student. Im Winter musste man da morgens im Mangfalltal bei minus 15 Grad erst einmal Eis hacken."

Jetzt ist erfreulicherweise August; beim Weiterwandern kommt man dennoch kaum ins Schwitzen: Schon schiebt sich die Almwirtschaft Siebenhütten ins Blickfeld. Idyllisch liegen hier statt sieben nur noch drei Hütten an den Bachlauf geschmiegt - "fast kitschig", findet Föhr. Man kann sich jedenfalls gut vorstellen, wie hier Kommissar Wallner bei Erdbeerkuchen mit den Kollegen die verworrene Lage bespricht. Allerdings sitzt Wallner meist in der Hütte und nicht, wie die Ausflügler an diesem Tag, an Holztischen draußen in der Sonne.

Der Krimi von Föhr spielt schließlich - man ahnt es angesichts des Maibaum-Diebstahls - im Frühjahr. Föhr ist daher vor zwei Jahren eigens Ende April hier herauf gelaufen. Er kannte Siebenhütten zwar schon aus der Kindheit - seine gesamte Schulzeit hat der gebürtige Allgäuer am Ortsrand von Gmund gewohnt, heute lebt er nach vielen Münchner Jahren in der Nähe von Wasserburg -, doch er wollte es noch einmal genau wissen. "Da stand schon einiges vom Buch", sagt Föhr, und das sei dann der geeignete Zeitpunkt zum Gegenchecken.

Überhaupt, erzählt er beim Weiterlaufen, habe es in "Wolfsschlucht" eigentlich um einen Banküberfall gehen sollen: "Das hat aber nicht funktioniert." Bei diesem Krimi hat er ohnehin "furchtbar viel umgestellt". Die Einstiegsidee, ein Schauprozess von Saufkumpanen in einer Wirtschaft mit tödlichen Folgen, sei ihm übrigens beim Autofahren gekommen.

Föhr identifiziert sich mit Kommissar Wallner

Im Auto fällt Föhr ohnehin viel ein; auch beim Duschen prasseln die Ideen, oder beim Bergsteigen: "Nicht beim Raufgehen, da ringe ich eher mit der Luft, aber beim Runtergehen." Sehr oft wandere er allerdings nicht mehr, gesteht Föhr. Außerdem recherchiert er viel im Internet - Google Earth sei "sehr praktisch"; damit hat er zum Beispiel das Ringbergschloss bei Kreuth erkundet, Schauplatz einer weiteren irrwitzigen Maibaum-Szene.

Ein kurzer Stopp im Wald, die Journalistin zieht ein Halstuch aus dem Rucksack. "Ist Ihnen kalt?", fragt Föhr besorgt und erklärt, ohne die Antwort abzuwarten: "Mir ist grundsätzlich kalt!" Ein Satz, bei dem Föhrs Leser vermutlich kichern: Schließlich ist sein Kommissar Wallner dafür berühmt, selbst bei Sommerwetter noch in der Daunenjacke dazusitzen. "Das hat autobiografische Züge", gibt Föhr denn auch sofort zu. Dass sich der studierte Jurist, der seine Sätze druckreif auf Hochdeutsch formuliert, eher mit dem überkorrekten Wallner als dem bayerischen Urviech Kreuthner identifizieren kann, wirkt insgesamt nicht gerade überraschend.

Zur Person

Wer Jura studiert, bekommt damit viel Material für Kriminalromane frei Haus geliefert. Rechtsanwalt Andreas Föhr, 1958 im Allgäu geboren und am Tegernsee aufgewachsen, machte sich Anfang der Neunzigerjahre als Autor selbständig und schrieb zunächst Drehbücher für TV-Serien wie "Der Bulle von Tölz". 2009 begann er mit "Der Prinzessinnenmörder" - ausgezeichnet mit dem Friedrich-Glauser-Preis - eine Krimi-Serie mit Kommissar Clemens Wallner und Polizeiobermeister Leonhard Kreuthner, die am Tegernsee spielt; sechs Krimis, zuletzt 2015 "Wolfsschlucht", sind in dieser Reihe bisher erschienen. Jüngst hat Föhr mit "Eisenberg" zusätzlich eine Anwalts-Serie gestartet, die in München spielt. Verbrechen zahlt sich für ihn jedenfalls aus: Seine Tegernsee-Krimis haben bereits eine Gesamtauflage von rund einer Million Exemplare erreicht.

Weiter geht der Weg durch den Wald, bis der sich zu einer Wiese öffnet, auf der eine Holzhütte mit Bergblick steht. Hätte die arme Bianca aus dem Krimi hier festgehalten werden können? Durchaus, urteilt Föhr und deutet auf die kleinen Fenster: "Die sind bei den Hütten durch Eisenstäbe oft einbruchsicher." Ist Bianca nicht aber durch ein Loch in der Hüttenwand entkommen? "Bei Altbauten gibt es immer seltsame Dinge, die man sich nicht erklären kann - ich muss es ja wissen, ich habe es geschrieben!"

Und so weiß Föhr auch, wie solch eine Flucht in finsterer Nacht weitergehen kann - obwohl er selbst hier noch keine Nacht verbracht hat und bei der Frage etwas erschreckt guckt. Bianca jedenfalls rennt von der Hütte in Richtung Wolfsschlucht, um ihren Entführer und dessen Husky hinter sich zu lassen. Doch es kommt noch ärger: Ein Wolf taucht auf, "damals wurde hier tatsächlich einer gesehen", sagt Föhr. Das alles ist schlimm genug, doch im Roman fängt es auch noch an zu regnen - sehr gefährlich, weil Bianca nun versucht, die Felsen der Blauberge hochzuklettern. "Das ist glitschig und steil", sagt Föhr und deutet auf die Felswände: "Jedes Jahr stürzen hier Menschen ab. Das prominenteste Opfer ist das Marei vom ,Brandner Kaspar', das bei einem Gewitter in der Wolfsschlucht umkommt."

Angesichts von so viel Unheil ist eine Pause angebracht, und glücklicherweise geht an diesem Tag die einzige Gefahr von ein paar Kindern aus, die ein grasendes Kalb streicheln wollen. Von der Hütte aus kann man sich das ruhigen Blutes ansehen; Föhr sitzt jetzt dort auf einer Bank und erinnert sich an seine Anfänge. Der Anwalt für Patent- und Urheberrecht begann in den Neunzigerjahren zunächst, mit einem Freund zusammen Drehbücher für Serien wie "Der Bulle von Tölz" oder "Die Rosenheim-Cops" zu schreiben; viele dieser Serien würden übrigens am Tegernsee gedreht, erzählt er, zum Beispiel bei Gut Kaltenbrunn am Nordende, für ihn einer der schönsten Plätze am Tegernsee. Das Drehbuchgeschäft sei jedoch zunehmend "mühsam geworden", sagt der 58-Jährige: "Ich bin froh, dass ich im Moment sehr gut von meinen Romanen leben kann."

Wie sich Föhrs Krimis von der Regio-Massenware abheben

Die Idee zum ersten Buch "Der Prinzessinnenmörder" reifte in Föhr über mehrere Jahre hinweg. 2008 kam es heraus, erhielt sogleich den Friedrich-Glauser-Preis und profitierte natürlich auch vom Boom der Regionalkrimis. Bei diesem Label windet sich Föhr allerdings; er wollte einfach einen Krimi schreiben, sagt er, und ihn "dort spielen lassen, wo ich mich auskenne".

Tatsächlich heben sich Föhrs Krimis von der Regio-Massenware wohltuend ab: Er liefert sorgfältig konstruierte, komplexe Plots - "manchmal vielleicht eine Umdrehung zu viel", gibt er zu -, die mit süffigen Dialogen von gut wiedererkennbaren Typen belebt werden. Einen Roman pro Jahr schreibt Föhr, für zwei weitere Wallner/Kreuthner-Krimis hat er bereits Verlagsverträge. Auf keinen Fall sollen die Bücher aber, wie bei anderen solcher Krimiserien, "immer humoriger werden: Das Verbrechen muss im Vordergrund stehen".

Um dem Verbrechen noch mehr zu frönen, hat Föhr gerade eine neue Serienheldin erfunden, von der er nach dem Abstieg bei einer Suppe in Siebenhütten erzählt. Es ist eine Münchner Anwältin, die in "Eisenberg" mit Morden an Frauen konfrontiert wird - und mit dem eigenen Ex-Freund, den sie als Verdächtigen verteidigen soll. Ein schwieriger Fall, denn er verhandelt die große Frage: Kann man einem Menschen jemals seine Unschuld glauben?

"Das Thema Psychopathen hat mich schon immer sehr fasziniert", sagt der Autor dazu, wie auch das Thema Nationalsozialismus, das seinen Wallner-Krimi "Totensonntag" prägte. Was die Serienmörder angehe, sagt Föhr und löffelt ungerührt weiter Suppe, so sei es ja gang und gäbe, dass brave Familienväter zehn Frauen umbrächten, ohne dass jemand etwas merke. Natürlich sei das eine Ausnahme: "Ich glaube, dass die wenigsten Menschen in der Lage wären, jemanden umzubringen", sagt er. Es soll wohl beruhigend klingen.

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