Diebstahl:Autos knacken ist Teamarbeit

Diebstahl: Weniger Autos, dafür teure Modelle: Die Diebstahl-Statistik im Überblick.

Weniger Autos, dafür teure Modelle: Die Diebstahl-Statistik im Überblick.

(Foto: SZ-Grafik)

Früher reichte ein Kleiderbügel, dann kam die Sicherheitstechnik. Die Diebe haben reagiert - und gehen so trickreich vor wie nie.

Von Hans Leyendecker

Die Geschichte des Autodiebstahls hat ihre Epochen und ihre eigenen Ausdrücke. Die Vokabel "Joy Ride" beispielsweise verwendet heute kaum noch jemand. Früher konnten mit dem Begriff, den man mit "Spaß-Fahrt" übersetzen kann, durchaus viele Leute etwas anfangen. Gemeint waren Gelegenheitsdiebstähle von Autos. Meist waren die Täter junge Leute. Sie gelangten mit einem umgebogenen Kleiderbügel oder hakenförmigen Metallstreifen ("Slim Jim") in einen Wagen, der ihnen gefiel. Oft war es ein Sportwagen oder irgendeine Luxuskarosse. Dann machten sie einen Trip mit dem Auto und stellten es danach irgendwo ab. Sie waren einfach freche Diebe, die ihren Spaß haben wollten. Profis waren sie nicht.

"Heute gestohlen - morgen in Polen". Der Spruch stimmt längst nicht mehr

Das hat sich geändert. Heute ist Autodiebstahl ein arbeitsteiliges Geschäft, das von Banden organisiert wird und gewerbliche Strukturen hat. Die Räuber arbeiten mit Elektronikgeräten wie "Jammern" oder Decodern, überwinden Wegfahrsperren, manipulieren Funkfernbedienungen und Autos werden oft auf Bestellung geklaut. Schritt für Schritt hat sich das Gewerbe gewandelt. Richtig in Gang gekommen ist organisierter Kraftfahrzeugdiebstahl Anfang der 1970er-Jahre, vor allem für Kunden in den Öl-Staaten. Orientalische Großkaufleute orderten telefonisch oder per Telex (E-Mails gab es damals natürlich noch nicht) Farbe und Baujahr, vorzugsweise Mercedes und BMW. Kleinkriminelle beschafften die Autos, Spezialisten fälschten Papiere und Fahrgestellnummer, Schleuser-Trupps besorgten den Transit via Damaskus, Amman und, seltener, Beirut. In vielen deutschen Großstädten existierten Filialen von Schieber-Organisationen, die Aufträge irgendeiner Zentrale entgegennahmen.

Dann implodierte der Ostblock und viele gestohlene Kraftwagen wurden nun in dieser Richtung über die Grenze geschafft: Im Westen wurde oft geklaut, was Kunden im Osten bestellten. Bevorzugtes Ziel war Polen, wo Banden den Diebstahl organisierten. Grenzbeamte und Polizei in Polen waren zunächst überfordert. Ihnen fehlten Technik, Logistik und Spezialkenntnisse. Manchmal durchbrachen die Fahrer der gestohlenen Autos auch Sperren mit Vollgas und ohne Rücksicht auf Menschen. Es kursierte der böse Spruch "Heute gestohlen - morgen in Polen". Der Spruch stimmt längst nicht mehr. Polen hat viel gemacht, um diese Form der Kriminalität zu bekämpfen. Die Polizei arbeitet inzwischen mit einem Hologramm-System, das europaweit vorbildlich ist.

Mitte der Neunzigerjahre, als immer mehr Autos mit elektronischen Wegfahrsperren gesichert wurden und es noch wenig Möglichkeiten gab, diese Sperren zu knacken, verlegten sich die Schieber auf Absprachen mit unehrlichen Autobesitzern. Sie studierten Verkaufsanzeigen, sprachen Inserenten an, die ihren Daimler, BMW oder Audi verkaufen wollten, und schlugen ein Geschäft vor: Sie bekamen für ein paar Stunden den Originalschlüssel und fertigten spurenlos Kopien an. Die Kriminellen zahlten einen ordentlichen Kaufpreis für das gebrauchte Auto, dann meldeten die unehrlichen Verkäufer bei ihrer Versicherung das Auto als gestohlen. Dieses Betrugskarussell war vor zwanzig Jahren eine Seuche. Eigentlich anständige Leute machten sich zu Komplizen von Schiebern.

Inzwischen organisieren Banden ihr Geschäft so arbeitsteilig wie noch nie in der Geschichte des Autodiebstahls. Späher spüren lohnende Autos auf. Sie werden "Resident" genannt, als wären sie Agenten. Spezialisten brechen die Autos auf und schließen einen Computer an. Sie knacken mit manipulierter Software die Wegfahrsperren und programmieren Funkschlüssel-Rohlinge auf das Auto. Sie dringen in das elektronische System des Wagens ein. Kuriere, die nichts über die Hintermänner wissen, bringen die Fahrzeuge dann meist über die Grenze. Litauen ist ein beliebtes Transitland der Autoschieber. Von dort werden die gestohlenen Wagen meist nach Russland, Usbekistan oder Tadschikistan gebracht.

Nur einer von zehn Fällen wird laut Polizeistatistik aufgeklärt

Die Technik der Autodiebe wird zwar immer raffinierter. Gleichzeitig aber geht die Zahl der Autodiebstähle in Deutschland seit Jahren kontinuierlich zurück. Das hängt zum einen damit zusammen, dass sich die Hersteller der Wagen trotz aller Unzulänglichkeiten um neue Sicherheitssysteme bemühen und zum anderen die Autonachfrage im östlichen Europa gesunken ist. Nach polizeilichen Statistiken sind 60 Prozent der Autodiebe Deutsche. Seit den Neunzigerjahren hat die Zahl der ausländischen Tatverdächtigen stark zugenommen. Die Aufklärungsquote liegt bei bescheidenen zehn Prozent.

Ein großes Problem ist der Diebstahl aus Autos und von Auto-Teilen geblieben, auch wenn die Zahlen stark zurückgegangen sind. Im Jahr 1995 registrierten die deutschen Versicherer noch 652 000 sogenannte Teilentwendungen, etwa von Radios oder Navigationsgeräten, 2014 waren es immerhin noch 117 000 Fälle.

Wenn die Statistik stimmt, dann ist Frankfurt an der Oder der gefährlichste Ort für Luxuswagen. Fast 900 von 100 000 zugelassenen Wagen werden dort im Schnitt gestohlen. Görlitz, Berlin und Dresden sind auch ziemlich gefährliche Orte. In Süddeutschland können sich Autobesitzer dagegen vergleichsweise sicher fühlen. In Garmisch-Partenkirchen werden, so die Statistik, ganz selten Autos gestohlen. Die Quote liegt bei sieben je 100 000 Wagen.

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