Großbritannien:Von wegen Tea Time

BRITAIN'S PRINCE OF WALES DRINKS TEA AT A GUEST HOUSE IN THE LAKE DISTRICT

An ihm liegt es jedenfalls nicht, wenn die Briten weniger Tee trinken: Prince Charles im Lake District im Jahr 2004.

(Foto: REUTERS)

Junge Briten mögen das Nationalgetränk nicht mehr. Traditionalisten werten das als untrügliches Zeichen dafür, dass die Insel dem Untergang geweiht ist.

Von Christian Zaschke

In seinem berühmten Essay "A Nice Cup of Tea" hat der englische Autor George Orwell elf Regeln für das Teetrinken aufgestellt. Jede dieser Regeln sei golden, schreibt Orwell in seinem Text, der erstmals 1946 im Londoner Evening Standard erschien. Die Teekanne sei vorzuwärmen, auf Zucker sei zu verzichten und, ganz wichtig: Erst komme der Tee in die Tasse, dann die Milch.

George Orwell war ein eminent kluger Mann, der grundsätzlich in fast allem recht hatte, aber dieser letzte Punkt ist unter Briten heute ebenso umstritten wie vor 70 Jahren. Bei vielen Teetrinkern gilt als ausgewiesener Banause, wer nicht zuerst die Milch in die Tasse gibt und dann erst den Tee.

Orwell schrieb, dass es in der Milchfrage vermutlich in jeder Familie zwei Denkschulen gebe, aber dass er selbst zweifellos richtigliege. Diese Besserwisserei war natürlich nicht ganz ernst gemeint, denn bekanntlich besteht Britishness zu ungefähr gleichen Teilen aus Selbstironie - und eben Teetrinken. Umso alarmierender ist eine just im Vereinigten Königreich veröffentlichte Studie, derzufolge die Briten immer weniger Tee trinken. Der Guardian wertet das Ergebnis als untrügliches Zeichen dafür, dass die Insel dem Untergang geweiht ist.

Das Marktforschungsinstitut Mintel hat ermittelt, dass der Verkauf von Teebeuteln zwischen 2013 und 2015 in Großbritannien um 14 Prozent zurückgegangen ist. Für dieses Jahr wird bereits ein weiterer Rückgang um fünf Prozent erwartet.

Angst vor Teein und Zahnverfärbung

Schuld sind - die älteren Briten dürften es geahnt haben - die jungen Leute. Ein Drittel der Menschen im Alter zwischen 55 und 64 Jahren trinkt mindestens fünf Tassen schwarzen Tee am Tag, doch lediglich 16 Prozent der 16- bis 34-Jährigen erreichen die gleiche Zahl. Einer der Gründe dafür ist laut Mintel die Eitelkeit: Die jüngeren Briten befürchteten Zahnverfärbungen. Außerdem sei ihnen der hohe Teein-Gehalt nicht geheuer.

Das Bild der zu allen Tageszeiten und bei allen Gelegenheiten teetrinkenden Briten ist weltweit ein Klischee, doch tatsächlich ist der Konsum seit Jahrzehnten rückläufig. 1974 verbrauchte jeder Einwohner des Königreichs im Schnitt 68 Gramm schwarzen Tee pro Woche. Heute sind es noch 25 Gramm. Die Verkaufszahlen von Früchte- und Kräutertees steigen zwar, doch zum einen nicht stark genug, um den Rückgang beim Schwarztee auszugleichen, zum anderen würden die meisten Briten diese Mischungen nicht als echten Tee bezeichnen.

Auf der Insel wird traditionellerweise schwarzer Tee mit Milch getrunken, in der formvollendeten Variante aus einer feinen Porzellantasse. Bei Bauarbeitern wiederum ist der "builder's tea" beliebt, ein sehr starker Tee mit Milch und viel Zucker, der in einem Becher serviert wird. Der Begriff "Tea Time" für den Tee am Nachmittag wird übrigens vor allem außerhalb Großbritanniens verwendet, da es auf der Insel grundsätzlich immer Zeit für eine Tasse Tee ist. Trotz des Rückgangs trinken immer noch 84 Prozent der Briten jeden Tag Tee, landesweit werden täglich 165 Millionen Tassen geleert. Lediglich zwei Prozent der britischen Teetrinker gehören in der Milchfrage keiner der beiden Denkschulen an: Sie genießen ihren Tee pur.

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