Nachruf:Der Bauzaunkönig

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Daniel Josefsohn, der als Fotograf für "Tempo", "jetzt" und "MTV" die Bildwelt des Pop und des Punk der Neunzigerjahre wie niemand sonst deutete, ist gestorben.

Von Gerhard Matzig

Daniel Josefsohn, dessen Vater nach dem Krieg auf einem Schiff von Israel nach Hamburg kam, wurde erst einmal ein begnadeter Skater. Das war lange, bevor seine Fotos aus Tempo und jetzt zu dem wurden, was sie jetzt sind: Ikonen der Neunzigerjahre. Ein Tanz mit Pop und Punk, Alltag und Kunst, Werbung und Style, Glamour und Politik, Satire und Ironie, Schönheit und Poesie. "Schönheit für den Bauzaun", wie das Josefsohn nannte, der Bauzäune und Plakate noch mehr mochte als Bilder und Museen.

Damals war die Halfpipe die eine Hälfte von Josefsohns Lebenswelt. Die andere Hälfte nahmen die Pokerrunden ein, die der Papa in seinen Clubs illegal organisierte. Zum Beispiel im "Big Apple". Das war "ein böser, ein richtig böser Club", erzählte Josefsohn im Interview später. Den Schlüssel hatte er von der Putzfrau bekommen, und nach der Schule war halt vor dem Club. Beim Pokern kann man Jahre auf den Royal Flush warten. Im Leben auch. Die Neunzigerjahre warteten so gierig, lebenshungrig und allesumarmend auf das eine, das ganz große Blatt - ohne zu bemerken, dass sie es längst in Händen hielten. Diese Ironie hat sich das Leben wohl ganz bewusst für die ironischste aller Dekaden aufgehoben.

Von Daniel Josefssohn stammt etwa die "Miststück"-Kampagne. (Foto: Daniel Josefsohn)

Das entscheidende Blatt für Josefsohn kam dann übrigens in Form einer Kamera, bezahlt im Mai 1989 vom Geld des Bewährungshelfers und gedacht als Therapie für den damals 28-Jährigen, denn die Dinge sind nicht immer das, wonach sie aussehen. Doch davon und von den schönen nackten Frauen mit Stormtrooper-Helmen oder dem "Miststück" später mehr.

Erst also: Skater-Karriere, Poker-Karriere, Punk-Karriere, Drogen-Karriere - und schließlich noch die Bankeinbruch-Karriere. Das war das Ende - und das Ende war ein Anfang. Vielleicht sollte man ja nicht von der Muse geküsst, sondern vom Bewährungshelfer betreut werden. Jedenfalls muss man sich das erstaunliche Leben des Daniel Josefsohn als Halfpipe vorstellen. Wo beginnt, wo endet sie?

Skater erhöhen in der halben Röhre das Tempo durch "Pumping", das Aufschaukeln. Der Trick ist: genau den richtigen Augenblick zu erwischen, da sich in einem Umschlagpunkt alles ändert, oben, unten, vorne, hinten. Timing ist alles. Und alles kann auch eine Frage der Perspektive sein.

Die Umstände von Josefsohns Tod, der im Alter von 54 Jahren in Berlin am Samstagmorgen gestorben ist und einen sechsjährigen Sohn und die Lebensgefährtin zurücklässt, sind übrigens immer noch ungeklärt. Josefsohn war eher kein Mann für schnell geklärte Umstände.

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(Foto: Daniel Josefsohn)

Mit den Star Wars-Masken inszenierte Josefsohn eine ganze Serie an Bildern. Er selbst stellte sich als Stormtrooper auf den Tiananmen-Platz und ahmte damit einen Demonstranten von 1989 nach - bis die Polizei kam.

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(Foto: Daniel Josefsohn)

"Ein kleiner Schritt für mich, ein großer für die jüdische Seele": 2012 stand Josefsohn auf der Spitze des Bayreuther Festspielhauses.

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(Foto: Daniel Josefsohn)

Das Bild der Frau in einer weinroten Burka, die ein Sticker mit der Aufschrift "Disco sucks" ziert, gehört zu Josefsohns bekanntesten.

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(Foto: Daniel Josefsohn)

Wie ironisch Josefsohn fotografierte, zeigt der Titel dieser Aufnahme, die 2004 in Tulsa, Oklahoma, entstand. Er nannte es "Wichsvorlage".

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(Foto: Daniel Josefsohn)

"Fleurop" betitelte Josefsohn dieses Foto eines Gewehrlaufs im Bougainville-Busch. Die Waffe gehört seiner Nichte, die in Israel lebt und gerade ihren Militärdienst abgeschlossen hatte, als Josefsohn 2008 das Bild aufnahm.

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(Foto: Daniel Josefsohn)

Auch mit Nichts schuf er eindrückliche Aufnahmen.

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(Foto: Daniel Josefsohn)

Josefsohn war von 2010 bis 2012 Kreativdirektor der Berliner Volksbühne: Als Plakatmotiv für das Theaterstück "Die Sonne" inszenierte Josefsohn dieses Model mit riesigen Plüschflügeln in Island.

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(Foto: Daniel Josefsohn)

Sein erster Museumsbesuch nach dem Schlaganfall: Daniel Josefsohn in einer Ausstellung von Martin Kippenberger in Berlin. "Die Ironie der Ironie der Ironie", kommentierte Josefsohn das Bild vor Kippenbergers Selbstporträt.

Das Unklare, Unscharfe, Unsichere, das Schillern eines Lebens, das im gleichen Augenblick schön und hässlich und darin besonders verletzlich erscheint, der Umschlagpunkt, jener Augenblick, von dem man nicht weiß, ob er ein Ende oder einen Anfang markiert: Das war - in einer Reihe mit Fotografen wie Juergen Teller - seine Kunst, die er im rasenden Tempo erschuf. So entstand Mitte der Neunzigerjahre auch die legendäre Plakatkampagne für den Sender MTV, die zur zwiespältigen Hommage an die Slacker-Kultur und den popkulturellen Hedonismus jener Zeit wurde. Josefsohn hatte sein Thema gefunden. Die schon damals "authentischen", alltäglichen Porträts für den Bauzaun, die betitelt waren mit "Miststück", "fauler Sack" oder "konsumgeile Göre". Waren sie Anfang oder Ende einer Ära? War es Kritik oder war es Party? Und waren die nackten, starken, weißen aber mit irritierenden "Star Wars"-Helmen ausgestatteten Herrenmenschenfrauen aus dem Jahr 2008 in der Pose des von Josefsohn verehrten Helmut Newton Hommage, Karikatur oder die neue deutsch-amerikanische Freundschaft?

Josefsohn, der seit einem Schlaganfall 2012 halbseitig gelähmt war und sich danach als Künstler neu erfand, war ein Fotograf, der die Fragen mehr suchte als die Antworten. Weil die Neunzigerjahre alles, wirklich alles im Überfluss des Lebens hatten, überließen sie die Antworten dem Rest. Oder dem Tod.

© SZ vom 16.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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