Start-ups:Vier Gründer, vier Ideen, ein Ziel

Start-ups: Anja Fischer verleiht Campingbusse. Das Schnäppchen-Portal Urlaubsguru ist eine deutsche Erfolgsgeschichte (Bild Mitte). Thomas Becher stieg bei der Deutschen Bank aus und gründete das Fintech-Unternehmen Fintura.

Anja Fischer verleiht Campingbusse. Das Schnäppchen-Portal Urlaubsguru ist eine deutsche Erfolgsgeschichte (Bild Mitte). Thomas Becher stieg bei der Deutschen Bank aus und gründete das Fintech-Unternehmen Fintura.

  • Immer weniger Menschen gründen eine Firma. Wer es wagt, hat aber oft eine gute Idee.
  • Vier Start-up-Gründer erzählen, was sie sie antreibt und welche Schwierigkeiten es gibt.
  • Der SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin zeichnet die innovativsten Gründer mit dem Gipfelstürmer-Preis aus.

Von Elisabeth Dostert, Harald Freiberger, Lea Hampel und Michael Kuntz

Anja Fischer hat fast immer gut gelaunte Kunden. "Entweder sie fahren in den Urlaub, oder sie kommen aus dem Urlaub. Nörgler sind deshalb fast nie darunter", sagt die 39-Jährige und klingt vergnügt. Die gute Laune ihrer Kunden ist nur ein Grund für ihre eigene gute Laune. Es sind ihre Kunden in ihrem eigenen Unternehmen. Das macht ihr Freude.

Anja Fischer ist Agraringenieurin, sie hat fast ein Jahrzehnt in Weihenstephan, nördlich von München, für die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft gearbeitet. Ihre Aufgabe fand Fischer spannend. Aber die Bürokratie, der politische Einfluss und der geringe Gestaltungsspielraum störten sie. Sie wollte selbst entscheiden, wie, wann und an was sie arbeitet. "Ich wollte unbedingt gründen", erzählt sie, "erst mal war fast egal, was, Hauptsache, unabhängig." Ihre Firma Ecocamper verleiht Campingbusse an Leute, die nicht gleich ein Auto kaufen wollen, denen es aber zu teuer und zu aufwendig ist, sich ein großes Wohnmobil zu leihen. Ihre Busse sind schlicht, die Ausstattung ist übersichtlich: kleine Küche, große Matratze. Stühle oder Zusatzzelte können Kunden dazumieten. So macht Fischer selbst gerne Urlaub.

Es wäre übertrieben zu sagen, dass Anja Fischer eine Ausnahmefigur ist. Aber ganz bestimmt liegt das, was sie macht, nicht im Trend. Die Deutschen gründen nicht mehr so gerne. Wie aus dem Gründungsmonitor der staatlichen Förderbank KfW hervorgeht, ist die Zahl der Existenzgründer im vergangenen Jahr um 17 Prozent auf 763 000 gesunken. In der Zahl sind alle enthalten: Handwerker, Ärzte, Rechtsanwälte, Bäcker, Fußpfleger, Online-Händler und Reisebüros.

Hohe Beschäftigung, weniger Firmengründungen

Der wichtigste Grund dafür, dass der Drang zur Selbständigkeit nachlässt, ist eigentlich positiv: "Der gute Arbeitsmarkt trübt die Gründungslust deutlich", sagt Georg Metzger, der Autor des KfW-Gründungsmonitors. Denn wer einen festen Job hat, ist nicht so sehr geneigt, das Risiko einer Gründung einzugehen - eine mögliche Pleite inklusive. Das zeigt sich daran, dass die Zahl der "Notgründer", also der Menschen, die sich selbständig machen, weil sie ihren Job verloren haben, binnen nur eines Jahres um fast 30 Prozent auf 207 000 gesunken ist.

Etwas aber stimmt die Experten der KfW dennoch optimistisch: Unter jenen, die sich in Deutschland selbständig machen, gibt es mehr innovative Gründer, mehr Unternehmen, die wirklich etwas Neues entwickelt haben: ein neues Produkt, eine neue Dienstleistung, ein neues Geschäftsmodell - oder auch nur einen neuen, innovativen Weg, etwas in unserer zunehmend digitalen, vernetzten Welt zu vertreiben. Die Zahl dieser innovativen Gründer stieg im vergangenen Jahr von 92 000 auf 95 000.

Sie sitzen in Berlin, München oder Hamburg - also dort, wo es inzwischen als überaus trendy gilt, wenn man ein Start-up gründet oder dafür arbeitet; sie sitzen aber auch in der deutschen Provinz, denn Deutschlands Erfinder und Gründer verteilen sich seit jeher über die gesamte Republik, noch in der letzten Ecke des Münsterlandes oder des Schwarzwaldes findet sich ein "Hidden Champion", ein heimlicher Marktführer.

Old und New Economy gehören zusammen

Die innovativen Gründer von heute sind Menschen wie Kevin Valdek und Risto Vahtra mit ihrer 2015 in Berlin gegründeten Firma High Mobility. Für das US-Magazin Fortune zählt das Start-up schon jetzt zu den "zehn wichtigsten und einflussreichsten" Unternehmensgründungen, wenn es darum geht, die Autoindustrie zu digitalisieren. High Mobility wertet über sogenannte Wearables, also am Körper befestige Computersysteme, die Gesundheitsdaten des Fahrers aus. Von diesen Daten hängt ab, ob das Auto ganz oder teilweise autonom fährt. Die Fahrzeuge können ihren Besitzer auch an einer Geste erkennen.

Zu den Geldgebern von High Mobility gehören die Beteiligungsgesellschaft IBB und ein Konsortium um Fabian von Kuenheim; sein Vater Eberhard war mehr als zwei Jahrzehnte Vorstandschef des Autokonzerns BMW. Dass die "Alten" den "Jungen" Geld leihen, ist nicht ungewöhnlich: Old Economy und New Economy gedeihen in Deutschland seit jeher gemeinsam; jeder profitiert vom anderen. Das zeigt auch der Hightech-Gründerfonds.

Zwei Fonds wurden bislang aufgelegt, der erste 2005 mit einem Volumen von 272 Millionen Euro, der zweite 2011 mit 304 Millionen Euro. Zu den Investoren zählen neben der staatlichen Förderbank KfW und dem Bundeswirtschaftsministerium auch etablierte Konzerne wie BASF, B. Braun, Daimler oder Tengelmann Ventures. Für den dritten Fonds mit einem angestrebten Volumen von 300 Millionen Euro werden momentan potenzielle Investoren angesprochen.Die beiden bestehenden Fonds sind derzeit in knapp 270 Unternehmen investiert, darunter beim Brillen-Onlinehändler Mister Spex oder bei der Next Kraftwerke GmbH aus Köln, die sich selbst als virtuelles Kraftwerk bezeichnet, das die Erzeuger und Verbraucher von Strom vernetzt.

Die Digitalisierung verändert die Bankenwelt radikal

Von der Industrie haben die Deutschen - und damit ihre Gründer - schon immer etwas verstanden; die Banken und Versicherungen, von Deutscher Bank bis Allianz, haben das Land ebenso geprägt - und so ist nur konsequent, dass auch die Zahl der sogenannten Fintechs immer größer wird. Das sind junge Unternehmen, die den alteingesessenen Banken und Versicherungen Konkurrenz machen.

Zum Beispiel das Start-up von Thomas Becher, der von seinem Schreibtisch in Frankfurt auf die beiden Türme der Deutschen Bank blickt. Vor nicht allzu langer Zeit ging Becher dort selbst noch täglich ein und aus. Er war unter anderem in der Mittelstandsfinanzierung tätig. 2014 gründete er dann die Firma Fintura, die mit mehr als zehn Mitarbeitern Kredite für Mittelständler vermittelt.

Das Büro liegt im Frankfurter Nordend: viel Licht, lässige Möbel, eine Gemeinschaftsküche. Becher trägt weißes Hemd, gedeckte Hose, er ist 37 Jahre alt. Er spricht schnell, wirkt seriös und erfahren. "Ich habe keinen einzigen schlechten Tag bei der Bank gehabt", erinnert sich Becher. Aber irgendwann wurde ihm die Bank fremd. Becher sollte für Geschäftskunden eine Online-Plattform aufbauen, als digitale Angebote noch nicht so sehr in Mode waren. Als das fertig war, fehlte plötzlich das Marketingbudget. Becher musste zusehen, wie das Projekt "verhungerte".

Dazu die vielen Committees, Gremien, Sitzungen. "Ich habe irgendwann realisiert, dass sich die Bankenwelt durch die Digitalisierung radikal verändert", sagt Becher - und entschied, dass er lieber zu den Angreifern gehören will. Heute rufen ehemalige Kollegen an und fragen ihn nach einem Job. "In der Bank erlebe ich eine starke Verunsicherung und Lähmung, viele sind frustriert. Die merken auf einmal, dass alle von Fintech reden, aber sie sind nicht Teil davon. Das tut weh, viele fragen sich, was macht das mit unserem Arbeitsplatz?"

Das Problem der Finanzierung

Bernhard Landgraf sitzt auf der anderen Seite des Schreibtisches: Er leitet den Bereich Sonderfinanzierungen bei der Hypo-Vereinsbank und sieht sich als klassischer Unternehmensfinanzierer. Er finanziert nicht Gründer in der ersten Phase, sondern zum Beispiel Menschen mit Branchenerfahrung, die sich selbständig machen, solche, die eine Firma übernehmen, Freiberufler wie Architekten und Steuerberater, Handwerker, Ärzte und andere Heilberufe. Für Tech-Unternehmen hat die Hypo-Vereinsbank ein eigenes Team in Berlin gegründet, um den speziellen Anforderungen der jungen Szene gerecht zu werden.

"Wichtig ist ein fundierter Businessplan, der die Chancen und Risiken des Geschäftsmodells kurz und verständlich erläutert", sagt Landgraf. "Die Zusammenfassung sollte keine zehn oder 20 Seiten lang sein und nicht zu viel Fachchinesisch enthalten." Die Qualität der Businesspläne sei in den vergangenen Jahren besser geworden. Seine Mannschaft, 16 Gründungsspezialisten an sechs Standorten in Deutschland, bekomme im Jahr gut 1500 Kreditanfragen von Gründern mit einem Bedarf von mehr als 100 000 Euro. An die Gründer verlieh die Hypo-Vereinsbank im vergangenen Jahr gut 250 Millionen Euro. "Kleinstgründern" vermittelt die Bank das sogenannte Startgeld der KfW. "Wir haben in den vergangenen sechs Jahren rund 7000 Konzepte mit einem Bedarf über 100 000 Euro gesehen", sagt Landgraf.

Vergibt eine Bank ein Darlehen, schaut sie jahrelang in die Bücher

Anja Fischer, die Frau mit den Campingbussen, fiel durch einige Raster, als sie gründen wollte: Existenzgründerwettbewerbe richten sich oft an Studenten, sie war bereits 36 Jahre alt. Außerdem wollte sie nebenberuflich gründen und vorerst ihren Job behalten, zur Sicherheit. Von vornherein hatte sie Bedenken, zu einer großen Bank zu gehen. Weil sie vorerst nur einen zweiten Bus und professionelle Ausbauten für beide Fahrzeuge wollte, brauchte sie nur etwa 40 000, keine 100 000 Euro - doch oft reden Banken erst ab diesem Betrag mit Gründern, "darunter gilt das als Mikrokredit". Und wirklich ernst genommen werde man erst ab 250 000 Euro.

Außerdem fürchtete sie den bürokratischen Aufwand. Gründet man mit einem Kredit von der Bank, werden in den Jahren danach die Bücher und die Geschäftserfolge geprüft, erneut also Papierkram, Gespräche, Fremdbestimmung - das Gegenteil von der Unabhängigkeit, die sie sich von einer Gründung versprach. Schließlich fand sie eine Finanzierung bei einer kleinen Genossenschaftsbank. Sie überzeugte den gleichaltrigen Berater mit ihrer Idee so, dass er am liebsten gleich selbst einen Campingbus gemietet hätte.

"Urlaubsguru" gehört zu den erfolgreichsten deutschen Start-ups

Daniel Krahn und Daniel Marx brauchten keine Geldgeber, ihre Firma Uniq GmbH ist zu 100 Prozent eigenfinanziert. Sie landeten mit ihrem "Urlaubsguru" einen Treffer. Mit inzwischen mehr als 100 Leuten durchforsten sie das Internet nach Reiseschnäppchen und präsentieren dann 25 bis 30 auf ihrer Seite: ein individuell zusammengestellter Mix aus gerade besonders günstigen Flügen und Hotels. Die Angebote sind in der Regel zeitlich befristet. Wer zu spät kommt, geht leer aus - und das kann mitunter schnell passieren. Damit kein Frust entsteht, gibt es noch ein Callcenter; dort können Kunden gezielt und nach eigenen Wünschen Reisen suchen lassen.

Den Urlaubsguru gibt es jetzt seit vier Jahren. Das Schnäppchenportal für Reisesüchtige ist eine der größeren Erfolgsgeschichten unter den Start-ups in Deutschland: Von 2012 bis 2015 stieg die Zahl der Besucher von 25 000 auf 19 Millionen. Aus 3333 Facebook-Fans wurden 3,4 Millionen. Wenn jemand einer Empfehlung folgt und eine Reise bucht, bekommt der Urlaubsguru eine Provision.

Anja Fischer besitzt mittlerweile vier Busse. Vor allem in den Sommermonaten sind sie ausgebucht, da könnte sie mehr Fahrzeuge gebrauchen. Leben kann sie mittlerweile davon, aus den roten Zahlen möchte sie spätestens 2023 raus sein, zehn Jahre nach der Gründung. "Es ist viel Arbeit und am Anfang finanziell problematisch", sagt sie. Gelohnt hat es sich trotzdem, schon wegen der Freiheiten, die sie jetzt genießt. "Ich würde es jederzeit wieder machen."

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