Buchvorstellung:Flucht vor dem Lärm

Buchvorstellung: Der alte Ludwigskanal (Ludwig-Donau-Main-Kanal) vereint Stille und Nostalgie. Er ist zuverlässig retro.

Der alte Ludwigskanal (Ludwig-Donau-Main-Kanal) vereint Stille und Nostalgie. Er ist zuverlässig retro.

(Foto: Thilo Sebald)

Vom Baumwipfelpfad über den Ludwigskanal bis zum Entmüdungsbecken: ein neues Buch über bisweilen auch laute Orte der Stille in Bayern

Von Hans Kratzer

Der Lärm ist ein treuer Begleiter des modernen Menschen. In der S-Bahn, auf der Straße, im Kaufhaus und im Bierzelt - überall kracht, surrt und scheppert es ohne Unterlass. Und wenn doch einmal Stille droht, dann werden sofort freiwillig die Kopfhörer aufgepflanzt und die Ohren - uzuzuzuz - akustisch bombardiert. Die Welt wird permanent lauter und die Stille immer rarer. Junge Menschen wissen oft gar nicht mehr, wie sich Stille anhört. Wenn der Lärm ausnahmsweise eine Pause einlegt, reagieren sie dementsprechend irritiert.

Menschen wie der Schlafforscher Jürgen Zulley sehen die Zunahme des Lärms und die Beschleunigung des Lebens mit Sorge. Es gilt mittlerweile als chic, den Schlaf zu verkürzen, um das Leben noch effektiver zu gestalten. "Das ist absurd", sagt Zulley, "zu wenig Schlaf macht krank, dumm, dick und alt." Stille und Schlaf sind ein untrennbares Paar, weshalb die Autoren Dietmar Brucker und Heike Burkhard gut daran getan haben, eine Begegnung mit dem Schlafforscher in ihr Buch über Orte der Stille in Bayern aufzunehmen. Es sind zwei von den Zwängen der Ökonomie bedrohte Lebensgüter, mit denen leider kein Staat zu machen ist. Im Schlaf und in der Stille konsumiert, produziert und kommuniziert der Mensch nicht. Das bsitzt also keinen Marktwert.

So betrachtet, drängt sich die Frage auf, ob es in Bayern überhaupt noch ruhige Orte gibt. Bruckner und Burkhard präsentieren in ihrem Buch mehr als 30 Orte der Stille, von denen manche insofern kurios anmuten, als sie keineswegs astreine Paradiese der Stille sind. Den Baumwipfelpfad in Neuschönau muss man beispielsweise schon zeitig in der Früh aufsuchen, um jene Stille zu erleben, die man in einem Wald erwartet. Tagsüber mutierten die touristisch ausgerichteten Wipfelpfade sehr schnell selber zu Lärmquellen. Unter dem Ansturm der Besucher und der Schulklassen wird eine Anlage wie in Neuschönau geschwind zu einem kleinen Luise-Kiesselbach-Platz im Wald, wie es Bruckner griffig formuliert. Überzeugender wirkt da schon die Autobahnkirche in Trockau, zwischen Pegnitz und Bayreuth. Sie ist seit 2010 in Betrieb und sah im vergangenen Jahr 25 000 Menschen, die dem Stress der Autobahn entkommen wollten. Unfälle, Baustellen, Stau - das ist die Trias der Mobilität, die scharf kontrastiert zur tiefen Stille in der Kapelle, in der ein Autofahrer auch innerlich den Fuß vom Gas nimmt.

Eine der attraktivsten Empfehlungen Bruckners ist der Ludwigskanal. 178 Kilometer lang, führt er von Kelheim bis Bamberg, schon bei seiner Einweihung 1846 war er leicht aus der Mode. Nur 17 Jahre war er in Betrieb, dann hatte ihm die Eisenbahn den Rang abgelaufen. Aus der innovativen Idee wurde ein Monument der Vergänglichkeit, unnütz, aber sehr romantisch. Zur Beschleunigung einst gebaut, entschleunigt der Kanal inzwischen gründlich. Wer am Kanal war, kommt weniger hektisch zurück, als er hingegangen ist, schreibt Bruckner.

Obligatorisch ist in einem solchen Werk das stille Örtchen, ein Bretterverschlag mit Herzchen in der Tür. Im Freilandmuseum Bad Windsheim kann man dieses Relikt noch erleben. Bruckner nennt das Freiluft-WC einen "ultimativen Rückzugsort". Hierhin rettet sich, wie es der Schriftsteller Peter Handke ausformuliert hat, wer der zudringlichen Welt mal kurz den Riegel vorzuschieben wünscht. "Hier kann dich die Welt mal am Arsch lecken." Das Buch listet durchaus überzeugende Orte der Stille auf, den Sternenpark Rhön etwa, das Kloster Metten, den Friedwald in der Fränkischen Schweiz, den Finanzgarten im Zentrum von München und sogar die Allianz Arena an spielfreien Tagen. Der Leser erfährt, das Entmüdungsbecken werde so gut wie nie genützt. Schuld daran ist ein Paragraf, wonach ein Bademeister anwesend sein muss, wenn fünf Spieler sich zusammen entmüden. "Das ist aber selbst dem FC Bayern zu blöd", schlussfolgern die Autoren.

Sie scheuen auch nicht davor zurück, reichlich schräge Vorschläge zu machen, etwa die BR-Sendung "Münchner Runde" ohne Ton zu genießen. Da hätte man sich doch lieber Hinweise auf die echten Oasen der Stille gewünscht, etwa die schalltoten Räume auf dem Gelände des Herzogenauracher Autozulieferers Schaeffler oder das von der Außenwelt abgeschottete Bunkerkrankenhaus in Gunzenhausen. Stillere Orte als diese wird es im Freistaat wohl nicht geben.

Dietmar Bruckner und Heike Burkhard, Orte der Stille in Bayern, Gmeiner Verlag, 192 Seiten, 14,99 Euro.

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