Sozialversicherung:Krankenkassen-Beiträge sind eine Chance für Gabriel

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Gabriel könnte das Bismarck'sche Erbe in Sachen Sozialgesetzgebung weiterführen. (Foto: Getty Images)

Der Wirtschaftsminister will, dass die Arbeitgeber wieder die Hälfte aller Beiträge zur Krankenkasse zahlen. Die Forderung ist überfällig.

Kommentar von Cerstin Gammelin

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat sein Repertoire an Wortmeldungen und Gesten an diesem Mittwoch um eine tatsächlich bemerkenswerte Forderung erweitert. Angesichts absehbar steigender Krankenkassenkosten will der Vizekanzler zur paritätischen Finanzierung der Beiträge durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer zurückkehren. Der Wahlkämpfer Gabriel verlangt damit eine Reform des Sozialstaates, die zugleich sozialdemokratisch, zeitgemäß und logisch ist.

Sozialdemokraten ziehen ihr Selbstverständnis seit jeher vor allem aus dem Empfinden, sich um Gerechtigkeit zu bemühen. Was sie freilich nicht daran hinderte, vor zehn Jahren, als sie schon einmal mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer großen Koalition regierten, die paritätische Kostenteilung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern mal eben abzuschaffen. Die Beiträge der Unternehmer wurden eingefroren, steigende Kosten über Zusatzbeiträge für Arbeitnehmer und Steuerzuschüsse finanziert.

Arbeitnehmer wieder schlechter gestellt

Sicher, rein finanziell betrachtet, sind die zusätzlichen Belastungen für die Arbeitnehmer bis heute nicht exorbitant hoch. Aber darum geht es auch nicht. Das verheerende Signal, das die Sozialdemokraten (und natürlich die Union) damals aussendeten, war ein anderes. Eingeführt hatte die Sozialgesetze vor mehr als hundert Jahren der damalige Reichskanzler Otto von Bismarck, um sozialen Spannungen und Not entgegenzuwirken.

Krankenkassen
:Mehr Geld von Firmen

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel will Unternehmen stärker an den Krankenkassenbeiträgen beteiligen. Arbeitnehmer sollen so entlastet werden.

Nun aber stellte eine Regierung Arbeitnehmer plötzlich wieder schlechter als Arbeitgeber. Und das mit Billigung der Partei, deren Vorgänger dem Reichskanzler erst die Sozialgesetzgebung abtrotzten.

Gabriels Forderung, zur paritätischen Finanzierung zurückzukommen, bedient also das eigene Klientel. Aber über die Rolle als Parteichef hinaus kann er seine Kompetenz als Vizekanzler und Wirtschaftsminister ausspielen. Denn das wichtigste Argument, mit dem die große Koalition damals deren Abschaffung begründete, existiert nicht mehr. Heute geht es deutschen Firmen gut, sie produzieren zu wettbewerbsfähigen Kosten und sind ausgelastet. Die deutsche Wirtschaft ist der Motor, der die Länder der Euro-Zone mit ins Wachstum zieht.

Sicher werden die Union und auch die Arbeitgeber vehement davor warnen, die Lohnzusatzkosten wieder zu erhöhen, und stattdessen dafür plädieren, die Finanzierung so zu lassen, wie sie ist. Oder, bei finanziellen Engpässen, notfalls die staatlichen Zuschüsse für den Gesundheitsfonds zu erhöhen. Schließlich steigen die Steuereinnahmen stetig an. Die Bundesregierung kann seit zwei Jahren mit einem ausgeglichenen Haushalt wirtschaften und plant es auch, weiter zu tun - und das trotz unvorhergesehener Milliardenausgaben für Hunderttausende Flüchtlinge. Geld ist also genug da.

Aber genau das wäre der falsche Weg. Der Staat darf sich nicht darauf einlassen, immer höhere Zuschüsse aus dem Staatshaushalt an Sozialkassen zu überweisen. Erst kommen die Krankenkassen, dann die Rentenkassen, schließlich die Pflegekassen.

Es wird jede Bundesregierung der Zukunft überfordern, solchen Verpflichtungen nachzukommen. Auch wenn es jetzt noch nicht so aussieht: Irgendwann werden die Zinsen wieder steigen, werden Kredite teurer, wird der deutsche Staat deutlich mehr Geld brauchen, um seine Schulden zu refinanzieren.

Davon unabhängig muss der Grundsatz gelten, Unternehmer gleichermaßen an den Kosten der Sozialleistungen zu beteiligen. Auch, wenn dabei die Lohnzusatzkosten steigen. Firmen profitieren davon, dass Arbeitnehmer ihre Aufgaben erledigen, dass sie an Produktionsbändern arbeiten und Dienstleistungen erbringen. Das Argument, dass deutsche Unternehmer dadurch weniger wettbewerbsfähig werden, verliert zudem an Durchschlagskraft, wenn man sich ansieht, wie die Kosten der Sozialversicherungen in anderen Staaten Europas aufgeteilt sind. In Belgien und Frankreich etwa zahlen Arbeitgeber zwei Drittel der Beitragssätze, Arbeitnehmer ein Drittel. Und das ohne Beitragsbemessungsgrenze wie in Deutschland, wohlgemerkt.

Inhaltlich ist an Gabriels jüngster Forderung also nichts auszusetzen. Bleibt nur abzuwarten, ob es ihm gelingen wird, sie durch die nächsten Monate bis zur Bundestagswahl zu tragen.

Es ist nicht überliefert, ob der frühere Reichskanzler Bismarck zu den Vorbildern des Vizekanzlers Gabriel zählt. Wahrscheinlich eher nicht, was angesichts dessen Politik insgesamt nicht verwundert. Aber dennoch hat Gabriel jetzt gewissermaßen die Chance, das Bismarck'sche Erbe in Sachen Sozialgesetzgebung weiterzuführen.

© SZ vom 18.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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