Fachkräftemangel:Auf Lehrlingssuche in Spanien

Spanischer Auszubildender Fernando Cardona Gomez

Der spanische Azubi Fernando Cardona Gómez studiert mit seiner deutschen Kollegin Jacqueline Hofmann in der Stuttgarter Lehrwerkstatt des Bosch-Konzerns einen Schaltplan.

(Foto: Franziska Kraufmann/dpa)

Unternehmen mit Nachwuchsproblemen suchen ihre Azubis auch im EU-Ausland. Dabei kann viel schief laufen. Wie es richtig geht, zeigt eine Heidelberger Reinigungsfirma.

Von Miriam Hoffmeyer

Wirklich furchtbar, da sind sich Mario und Leticia einig, war es im Winter. Wenn sie am frühen Morgen Schaufenster von außen putzen mussten. "Das war so kalt", sagt Leticia Ayala Lara und schüttelt sich noch nachträglich. Zum Glück hat sie das jetzt hinter sich. Anfang August hat die junge Spanierin ihre Ausbildung bei Breer Gebäudedienste Heidelberg als Jahrgangsbeste abgeschlossen. Gleich darauf wurde sie zur Ausbildungsleiterin ihres Unternehmens befördert. Schon im Frühling war Leticia dabei, als die neuen Azubis in Spanien ausgewählt wurden.

Auch Mario Gómez Pajares hat die Gesellenprüfung mit Einser-Durchschnitt bestanden, künftig ist er für das Facility Management bei Breer zuständig. Der 29-Jährige aus der Nähe von Madrid hatte sich nach der Schule zunächst zum Bauzeichner ausbilden lassen. Doch wie so viele seiner Altersgefährten fand er mitten in der Finanz- und Wirtschaftskrise keine Stelle.

Mario jobbte in der Bäckerei seines Vaters und suchte im Internet nach Alternativen, dabei stieß er auf die Werbung der deutschen Außenhandelskammer in Madrid für Lehrstellen in Deutschland. "Ich dachte erst, das ist ein Witz - eine Ausbildung im Putzen! So was gibt es bei uns nicht", erzählt er. Leticia, gelernte Chemikantin aus der zentralspanischen Stadt Ciudad Real, war ebenfalls arbeitslos: "Ich saß nur zu Hause bei meinen Eltern herum."

Unbesetzte Lehrstellen im deutschen Handwerk, junge Arbeitslose aus Spanien - aus Sicht des mittelständischen Unternehmers Karl Breer war es logisch, beides zusammenzubringen. 2011 kam er im Andalusien-Urlaub mit Servicekräften ins Gespräch, die über die hohe Jugendarbeitslosigkeit klagten. Für Breer war das ein Schlüsselerlebnis: "Wir haben seit Jahren große Probleme, unsere Ausbildungsplätze zu besetzen, hier in Heidelberg machen ja 70 Prozent der Kinder Abitur."

Betriebe werden durch Fördergelder unterstützt

Das Gebäudereinigungshandwerk mit seinem schlechten Image hat es in der Konkurrenz um Nachwuchs besonders schwer. Breer tat sich mit zwei anderen Heidelberger Handwerksbetrieben zusammen und suchte für seine Idee Unterstützung bei der Stadt.

Trotzdem wären die jungen Spanier wohl kaum dauerhaft nach Deutschland gekommen, wenn die Bundesregierung damals nicht das Programm "MobiProEU" zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa aufgelegt hätte. Aus den Fördergeldern werden zahlreiche Hilfen finanziert, welche die Betriebe nicht tragen können oder wollen: ein fünfmonatiger Deutsch-Intensivkurs im Heimatland, Sprachunterricht während der Lehre, Zuschüsse zur Ausbildungsvergütung, sozialpädagogische Betreuung, Reisekosten.

"Mathe an der Berufsschule ist für sie der reine Kindergarten!"

Bisher kamen ungefähr 10 000 junge EU-Ausländer zur Ausbildung nach Deutschland, fast 70 Spanier gingen nach Heidelberg. Die meist gut qualifizierten Bewerber werden in Mangelberufen gebraucht: als Altenpfleger, Kellner, Hotelfachleute, Dachdecker, Installateure oder eben Gebäudereiniger. Das städtische Unternehmen "Heidelberger Dienste" koordiniert die regionalen Projektpartner, darunter Ausbildungsfirmen, Kammern und die Arbeitsagentur.

511 300 Lehrstellen

haben deutsche Betriebe zwischen Oktober 2015 und Juli 2016 angeboten. Im selben Zeitraum meldeten sich 509 600 Schulabgänger für eine Berufsausbildung. Ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz hängen stark vom Berufswunsch ab. Mehr Lehrstellen als Bewerber gibt es derzeit im Hotel- und Gaststättengewerbe, am Bau, in einigen Handwerksberufen und bei Berufskraftfahrern. Anders verhält es sich bei Büro- und Verwaltungsberufen, in der Tierpflege, in der Medienbranche und in künstlerisch-kreativen Berufen. Hier übersteigt die Zahl der Bewerber die der Stellen.

"Damit es ein Erfolg wird, muss man eine Vertrauensbasis schaffen, bevor die jungen Leute überhaupt in Deutschland angekommen sind", erklärt Lars Stüber von den Heidelberger Diensten. "Wir halten von Anfang an regelmäßig Kontakt über Skype und veranstalten während des Intensivkurses einen Infotag in Madrid, um auch die Familien zu überzeugen."

Nach einem Betriebspraktikum in Heidelberg beginnt die reguläre Ausbildung. "Das schulische Niveau unserer spanischen Azubis liegt weit über dem, was in der gewerblichen Ausbildung üblich ist", hat Karl Breer festgestellt. "Mathe an der Berufsschule ist für sie der reine Kindergarten!" Die Chemikantin Leticia war auch in Werkstoffkunde unterfordert. Schwer fand sie dagegen die Sprache. "Aber die Lehrer und die Mitschüler in der Berufsschule haben uns viel geholfen", sagt die 26-Jährige. Die Schulleitung änderte den Stundenplan der Spanier, strich großzügig ein paar Mathematikstunden und ersetzte sie durch zusätzlichen Deutschunterricht.

Spanisch-deutsche Mischung

Dass Leticia und Mario ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben, liegt wohl auch daran, dass in ihrem Jahrgang bei Breer neben zwei anderen Spaniern auch zwei deutsche Azubis waren. Dadurch kamen sie leichter in Kontakt zu anderen Mitschülern an der Berufsschule. Der nächste Azubi-Jahrgang bestand dagegen ausschließlich aus Spaniern. "Das war ein Fehler", sagt der Unternehmer. Alle brachen die Ausbildung wieder ab. Der dritte Jahrgang, der im vergangenen Herbst anfing, ist wieder spanisch-deutsch gemischt. Um die jungen Leute stärker an den Betrieb zu binden, gibt es öfter gemeinsame Ausflüge. Und einmal pro Woche treffen sich die Azubis und andere Mitarbeiter zum Fußballspielen.

Intensiver Deutschunterricht, gemeinsame Freizeit mit Kollegen, Unterstützung zum Beispiel bei Behördengängen - diese Kombination sei wesentlich für den Erfolg, meint Karl Breer. Diese Erfahrungen ließen sich nach Einschätzung von Experten auf ein Programm zur Ausbildungsförderung für Flüchtlinge übertragen, über das derzeit in der Bundesregierung und der Bundesagentur für Arbeit nachgedacht wird. Das Programm für junge EU-Ausländer endet hingegen mit dem Jahrgang, der in diesem Herbst die Ausbildung beginnt. Breer will trotzdem weiter Nachwuchskräfte aus Spanien anwerben. Die Projektpartner in Heidelberg versuchen derzeit, dafür neue Fördergelder zu gewinnen.

Die Spanier, die ihre Ausbildung bei Breer abbrachen, suchten sich übrigens Aushilfsjobs in der Region. Jetzt verdienen sie mehr als Azubis, aber weniger als Fachkräfte. Leticias und Marios Aufstieg in der Firma sei ein wichtiges Vorbild für andere Azubis aus dem Ausland, meint Karl Breer: "Man muss die beruflichen Perspektiven stark betonen, um den Lockruf des schnellen Geldes zu parieren."

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