Auszeichnung:Glück und Elend

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Die Fotografin Johanna Schlüter erhält den Kulturförderpreis des Landkreises - auch für ihre Arbeit über den vom Untergang bedrohten Künstlerslum Kathputli Colony in Neu-Delhi

Von Matthias Pfeiffer, Starnberg

Wie kann man sich einen indischen Künstlerslum vorstellen? Sicher tauchen jetzt in den Köpfen die wildesten Bilder auf. Wer im Juni den Tutzinger Keller besuchte, konnte sich davon einen realistischen Eindruck machen. Die Fotodesign-Studentin Johanna Schlüter stellte dort ihre Bachelorarbeit aus. Ihre Bilder zeigen die Bewohner der indischen Kathputli Colony, einer der weltgrößten Künstlergemeinschaften. Für diese und andere Arbeiten wird sie im Herbst den Kulturförderpreis des Landkreises Starnberg erhalten.

Zum Repertoire der 24-Jährigen zählt aber nicht nur die Reisefotografie. Auf ihrer Website www.johannaschlueter.de erhält man auch einen Einblick in ihre Porträt- und Modebilder. Diese breite Aufstellung kann man als kreativen Schlenker betrachten. "An der Uni war Modefotografie ein Pflichtfach. Es hat mir Spaß gemacht, die Menschen zu fotografieren, weniger die Mode selbst. Meine freien Projekte waren dann sehr porträtlastig".

Die Bilder auf ihrer Website kann man unmöglich einfach durchscrollen. Der Blick der Personen, das Spiel von Licht und Kontrasten - all das ist viel mehr als realistische Darstellung. Man vertieft sich in die Aufnahmen, das Interesse gilt auf einmal der Geschichte der Personen - auch wenn viele der Porträtierten einfach aus ihrem Freundeskreis kommen, wie Schlüter verrät. Das Augenmerk auf den Menschen, gepaart mit ihrer Reiselust, führte fast logisch zur Reportage-Fotografie.

"Auf meine Art wollte ich auch etwas festhalten, das es bald nicht mehr geben wird": Johanna Schlüter. (Foto: Georgine Treybal)

Die Fotografie hat Johanna Schlüter eigentlich schon seit den frühen Kindertagen begleitet. "Meine beiden Eltern sind Fotografen. Seit ich denken kann, hatte ich immer eine Kamera zur Verfügung". Die Entscheidung, selbst Fotografin zu werden, war deshalb naheliegend. Nach dem Abitur schickte Schlüter eine Bewerbungsmappe an die Hochschule München. Dort wurde sie 2011 in den Studiengang Fotodesign aufgenommen. Betrachtet man die Zahl der Bewerber und der letztendlich Studierenden, wird klar, welches Niveau verlangt wird. "In der Regel gibt es fast 400 Bewerber, von denen dreißig bis vierzig genommen werden".

Eine normale Fotografenausbildung wäre für Johanna Schlüter aber nicht in Frage gekommen: "Die ganze Technik, Standardporträts und Passbilder haben mich weniger interessiert. Ich wollte lernen, wie man ein Thema umsetzt und seinen eigenen Stil entwickelt".

Ihre Studienzeit führte sie unter anderem zu thailändischen Bergvölkern, aber auch in näher gelegene Gebiete. Für eine Arbeit zum Thema "Heimat" fotografierte sie Flüchtlinge im Mühltal. Ihre Bachelorarbeit brachte sie dann schließlich zur Kathputli Colony in Neu-Delhi. Seit den Fünfzigerjahren leben in diesem Slum Gaukler, Akrobaten, Puppenspieler und andere Künstler zusammen. Seit einigen Jahren müssen die circa 2800 Familien mit der Räumung ihres Zuhauses rechnen. Die Regierung will auf dem Gelände ein Einkaufszentrum und Eigentumswohnungen errichten. Johanna Schlüter kam auf dieses Thema durch Zufall. "Ich wusste eigentlich nur, dass ich reisen wollte. Im Internet habe ich dann den Trailer zum Dokumentarfilm 'Tomorrow We Disappear' gefunden, in dem die drohende Räumung thematisiert wurde". Nach weiteren Recherchen war der Entschluss gefasst. Schließlich geht es hier um mehr als nur um exotische Fotos. "Auf meine Art wollte ich auch etwas festhalten, das es bald nicht mehr geben wird". Die Organisation lief fast schon reibungslos. "Ich habe einen Fotografen angeschrieben, der schon mal dort war. Über ihn habe ich auf Facebook Kontakt zu einem Bewohner aufgenommen, der mir auch bei der weiteren Organisation geholfen hat. Durch das Goethe-Institut in Delhi habe ich noch einen Übersetzer gefunden. Ich hätte nicht gedacht, dass alles so einfach funktionieren würde".

Auch der Kontakt mit den Bewohnern klappte problemlos. Wie Johanna Schlüter meint, sind es die Künstler gewohnt, fotografiert zu werden, und wollen, dass ihre Geschichte in die Welt getragen wird. Von den vielen Gesprächspartnern bleibt ihr vor allem einer in Erinnerung. "Wir haben oft mit einem Puppenspieler geredet. Er hat - auf eine für uns naive Art - immer vom Glück gesprochen, davon, dass man eigentlich nichts braucht. Da kamen mir schon die Tränen. Diese Menschen haben überhaupt nichts, aber sind trotzdem so lebensfroh." In ihrer Arbeit wird das auf eine Art deutlich, wie es vielleicht nur die Fotografie zeigen kann: auf der einen Seite die verfallenen Hütten und der ernste Blick in eine ungewisse Zukunft, auf der anderen Seite leuchtende Augen und die Farbenfreude, die dieses Leben haben kann.

Diese Kontraste haben auch die Jury des Kulturpreises überzeugt. Schlüter selbst hatte gar nicht gewusst, dass es diese Auszeichnung gibt; erst auf Anraten von Elisabeth Carr, der Leiterin der "Kunsträume am See", schickte sie eine Mappe ein. Gegen Ende Juli bekam sie Bescheid, dass sie und der Inninger Nachwuchskameramann Christopher Bodenstein die mit 3000 Euro datierten Förderpreise gewonnen haben. Nun musste sie sich erst mal vor Glückwünschen retten, auch bei ihrem Nebenjob im Starnberger Breitwand Kino. "Ich hätte nicht gedacht, dass das so viele Leute wissen. Als ich hier beim Filmfestival gearbeitet habe, haben mir viele Besucher gratuliert", erzählt sie. Lachend und bescheiden fügt sie hinzu: "Das was mir schon ein bisschen peinlich."

Demnächst wird es Johanna Schlüter vielleicht nach Berlin verschlagen. "Im März beginnt dort eine Weiterbildungsklasse für eine Bildredaktion. Es würde mich interessieren, bei einer Zeitschrift oder einem Verlag zu arbeiten, der selbst etwas mit Reisen zu tun hat. Außerdem ist es nicht schlecht, etwas Festes zu haben. Die Selbstständigkeit alleine ist eben immer etwas unsicher." Auf jeden Fall soll es um die Welt gehen. Daheim ist die Motivsuche oft etwas schwieriger: "An fremden Orten fällt mir viel mehr auf, das nicht nur für mich, sondern auch für den Betrachter der Fotos interessant sein könnte."

© SZ vom 19.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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